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SCHWEINFURT: Mit der Kraft des Mains

SCHWEINFURT

Mit der Kraft des Mains

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    Mit der Kraft des Mains
    Mit der Kraft des Mains

    Oberhalb der Staustufe ist die Wasseroberfläche immer gleich glatt – egal, ob bei Trockenheit oder bei Hochwasser. Bei Hochwasser fließt der Fluss schneller, das kann man sehen, ansonsten wirkt der Main an der Schweinfurter Gutermannpromenade mehr wie ein See als ein Fluss. Im Sommer, wenn es länger nicht geregnet hat, liegt auch das Wehr träge da. Dann sind die mächtigen stählernen Klappen ganz oben, ihre gezackten Kanten ragen aus dem Fluss, dessen Wasser ausschließlich durch das Kraftwerk auf der jenseitigen Mainseite zwischen Wehr und Schleuse fließt. Dann paddeln die Enten und Schwäne unterhalb der Brücke vor sich hin, die über das Wehr zum Kraftwerk führt, und manchmal sitzen sogar ein paar Möwen auf den Wehrklappen.

    Derzeit halten sich Enten und Schwäne lieber in der Nähe des Ufers auf. Denn die Ruhe oberhalb des Wehrs ist trügerisch. Die Klappen sind offen, der Fluss stürzt sich mit Tempo und Wucht über die Staustufe. Unterhalb brodelt das Wasser, als würde es kochen. Der Kontrast zwischen der gläsernen Glätte der Abbruchkante und dem riesigen Wildwasserbecken darunter könnte größer nicht sein.

    Dieser Tage bleiben oft Spaziergänger stehen, um das Schauspiel der entfesselten Wasserkräfte zu bewundern. Den Fachmann beeindruckt das noch nicht wirklich: „Das sollten Sie an der Donau sehen. Da fällt das Wasser sechs, acht Meter. Hier sind es höchstens vier Meter“, sagt Richard Berghoff. Berghoff ist Betriebsleiter Mitte der E.ON Wasserkraft, die mit 75 Prozent an der Mainkraftwerk Schweinfurt GmbH beteiligt ist. Die restlichen 25 Prozent hält die Stadt Schweinfurt, die seit Jahrhunderten, genauer: seit dem Jahr 1397, das Recht hat, die Kraft des Mains zu nutzen. Die Mainkraftwerk Schweinfurt GmbH wiederum betreibt das Wasserwerk am Ende der Gutermannpromenade.

    Richard Berghoff hat sein Büro in Schweinfurt, er ist aber zuständig für alle Wasserkraftwerke der E.ON zwischen Mittelfranken und Nordhessen. Der Elektroingenieur ist es gewohnt, Fragen von Laien verständlich zu beantworten. Und beim Mainkraftwerk ist manches anders, als es sich der Laie vermutlich vorstellt. So stimmt schon die Gleichung viel Wasser = viel Strom nicht. Zweiter Irrtum: Das Wasser fließt nicht horizontal durch die Turbinen, wie etwa bei der klassischen Wassermühle, sondern von oben nach unten. Und drittens: Es ist nicht die Strömung des Flusses, die die Turbine bewegt, sondern der Siphon-Effekt, den jeder kennt, der schon einmal mit einem Schlauch eine Flüssigkeit von einem Behälter in einen anderen befördert hat. Man saugt die Flüssigkeit im Schlauch an, und schon fließt sie ohne weiteres Zutun von einem Behälter in den anderen – vorausgesetzt, der Spiegel im Ausgangsbehälter liegt höher als der Spiegel im Zielbehälter.

    Das liegt an dem physikalischen Phänomen, dass zwei unterschiedlich hohe, miteinander verbundene Flüssigkeitsspiegel dank Schwerkraft immer versuchen werden, sich anzugleichen. Und wenn die Austrittsöffnung des Schlauchs tief genug liegt, fließt eine Flüssigkeit am Anfang sogar ein Stück bergauf. Im Mainkraftwerk Schweinfurt, das ist eine Besonderheit, wird das Wasser sozusagen durch die Turbine gesaugt. Fachleute sprechen von einem geheberten Kraftwerk. Müsste das Kraftwerk aus irgendeinem Grund abgeschaltet werden, braucht man nur die Turbinenkammern zu belüften. Soll es wieder anlaufen, werden die Kammern mit einer Vakuum-Pumpe entlüftet.

    Wenn dieser Tage die braunen Wassermassen über die Staustufe zu Tal donnern, heißt das nicht automatisch, dass im Kraftwerk besonders viel Energie produziert wird. Denn je mehr Wasser im Main fließt, desto weiter öffnen sich – automatisch – die beiden Wehrklappen. Dadurch steigt der Wasserspiegel unterhalb der Staustube – das sogenannte Unterwasser –, wodurch sich wiederum die Fallhöhe verringert. Weniger Fallhöhe bedeutet weniger potenzielle Energie, bedeutet weniger Leistung, bedeutet weniger Strom.

    2000 Kilowatt kann jeder Generator unter optimalen Bedingungen produzieren, derzeit sind es gerade mal 800. Im Jahresmittel liefert das Mainkraftwerk Schweinfurt 19,6 Gigawattstunden in das Netz der Schweinfurter Stadtwerke. Das entspricht dem Verbrauch von fast 7000 Haushalten.

    Derzeit fließen 380 Kubikmeter Wasser pro Sekunde über die Staustufe, also 380 000 Liter, das entspricht etwa der Füllung von 5000 Badewannen. Ideal für das Kraftwerk wären 120 Kubikmeter pro Sekunde, erläutert Kraftwerker Rainer Spitzhirn. Dann wird die Fallhöhe von vier Metern optimal genutzt. Denn die Kraftwerker dürfen nicht einfach das Oberwasser, also den Spiegel vor dem Kraftwerk, aufstauen, damit die Fallhöhe stimmt. Das Oberwasser muss immer die gleiche Höhe haben, das ist für alle Staustufen gleichermaßen vorgeschrieben. In Schweinfurt muss der Mainspiegel immer etwas über 207 Meter über dem Meeresspiegel liegen.

    Worauf die Kraftwerker aber Einfluss haben, das sind die Wassermenge, die in die Turbinenkammern fließt, und die Einstellung der beweglichen Flügel der Laufräder. Auch diese Einstellungen erfolgen automatisch, und zwar so, dass die Turbine sich immer knapp 100 mal pro Minute dreht. Die Laufräder sind so genannte Kaplanturbinen. Sie sind benannt nach dem Österreicher Viktor Kaplan, der sie im Jahre 1913 entwickelte, und ähneln Schiffsschrauben.

    Ein Getriebe sorgt dafür, dass die 100 Umdrehungen der Turbine auf 600 Umdrehungen im Generator erhöht werden, was wiederum gewährleistet, dass der produzierte Strom immer eine Frequenz von 50 Hertz hat – die Frequenz des europäischen Stromnetzes. Mit Ausnahme der vergleichsweise winzigen Menge, die das Kraftwerk für den eigenen Bedarf abzweigt, geht die gesamte Produktion ins Netz der Schweinfurter Stadtwerke. Zwei Bodenleitungen führen über die Brücke und dann die Gutermannpromenade entlang zu den Transformatoren im Gebäude neben der Disharmonie, wo die 6 Kilovolt aus dem Kraftwerk auf 20 Kilovolt hochtransformiert werden.

    Draußen donnern die Wassermassen, drinnen brummen die Turbinen: Im Krafthaus ist es fast noch lauter als auf der Brücke über dem Wehr. Für Besucher stehen Helme und ein großes Glas mit rosa Ohrstöpseln bereut. In der hellen Halle sieht es ein bisschen aus wie im Deutschen Museum in München: sauber, aufgeräumt und irgendwie altertümlich. Was vermutlich daran liegt, dass das Mainkraftwerk im Jahr 1963 fertiggestellt wurde und sich seither nicht wesentlich verändert hat. Das Krafthaus, also die Halle in der die Generatoren stehen, atmet mit seinen schlanken Betonständern und den gedeckten Farben die sachliche Eleganz der frühen 1960er-Jahre. Die Hüllen der Generatoren sind in jedem Grün gestrichen, das man seit jeher mit Maschinen und Technik verbindet.

    An den Wänden und in den Nebenräumen hat längst die Elektronik Einzug gehalten, aber in der Halle selbst bestimmen mechanische und hydraulische Apparate das Bild. Die Einstellung der Flügel der Kaplanturbinen erscheint nicht etwa auf einem schicken Flachbildschirm, sondern lässt sich an einem kleinen Pfeil ablesen, der über einen Hebel und einen Seilzug mit der Turbinenkammer verbunden ist. „Das ist vermutlich eine der letzten mechanischen Anzeigen überhaupt“, sagt Kraftwerker Rainer Spitzhirn.

    Veraltet aber ist das Mainkraftwerk keineswegs. „Man hat damals schon optimal geplant und optimal gebaut“, sagt Betriebsleiter Richard Berghoff. Natürlich wurde seither experimentiert und entwickelt. Zum Beispiel mit liegenden Turbinen. Berghoff winkt ab: „Viel zu anfällig und wartungsintensiv.“ Zwei Prozent Optimierung könnte man in Schweinfurt vielleicht rausholen, sagt er, „aber dann müsste man alles abreißen und neu bauen“. Für die Gegebenheiten an diesem Standort sei die Anlage genau richtig dimensioniert. Eine dritte Turbine etwa stünde an 250 Tagen im Jahr still, weil es an Wasser mangelte. Ein Zuviel an Wasser kann im übrigen auch zum Stillstand führen. Dann müssen die Wehrklappen ganz nach oben gezogen werden, und die Fallhöhe reicht nicht mehr aus. Im Januar 2011 war das in allen Kraftwerken an Main und Regnitz der Fall.

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