Nur selten haben wir die Möglichkeit, mitten in einem Kunstwerk zu stehen – bei großen Außenskulpturen etwa oder raumgreifenden Installationen. Normalerweise schauen wir von vorne auf ein Bild und von außen auf eine Skulptur. Was passiert, wenn diese Sehgewohnheiten nicht mehr greifen? Wenn ein Künstler einen ganzen Raum, der uns als White Cube mit Bildern an den Wänden und Plastiken auf dem Boden vertraut ist, in ein begehbares Werk verwandelt. Mit extrem einfachen Mitteln – der Farbe Grün und ein paar Arzneimittelschachteln. Neugierig?
Gehen wir zurück ins Jahr 1990. Der gebürtige Schweinfurter Herbert Warmuth hat an der Frankfurter Städelschule studiert. Er beschäftigt sich mit konstruktivistischer Malerei und fragt sich – wie vielen andere Künstler auch – was Malerei am Ende des 20. Jahrhunderts überhaupt noch sein kann. Wo ihre Grenzen, mehr noch, wo ihre Möglichkeiten auch außerhalb der Leinwand sein könnten. Gleichzeitig sucht er nach der einfachsten malerischen Geste.
Irgendwann fallen ihm die Verpackungen von Medikamenten ins Auge. Mit ihrem schlichten Design – meist ein farbiger Akzent auf weißem Grund – erinnern sie ihn an konkrete Malerei. Er hat die Idee, dieses farbige Element malerisch weiterzuführen: zuerst auf der Leinwand und später – was sich als noch spannender erweist – direkt auf der Wand. Dieses Projekt, für das der Begriff installative Wandmalerei ganz passend ist, beschäftigt Warmuth seit nunmehr 25 Jahren.
Nachdem er die Arzneimittelpackungen anfangs an farbig passende Hausfassaden geklebt hat, luden ihn bald Museen, Galerien und Firmen ein. So verwandelte Warmuth beispielsweise die Flure beim Hessischen Rundfunk in enge Farbschluchten und die Rotunde der Frankfurter Schirn in eine kleine blau-türkis-grüne Welt.
Die Kunsthalle Schweinfurt hatte bereits 2009 die Arbeit „Betamann-Sockel“ erworben und zeitweise auch ausgestellt: ein schlichter weißer Sockel, auf den Warmuth zwei Packungen Augentropfen geklebt und den hellblauen Streifen der Verpackung auf dem Sockel weiter geführt hatte. Nun war Herbert Warmuth eingeladen, sich mit der Raumsituation im Erdgeschoss auseinanderzusetzen und an ausgewählten Stellen einzugreifen. Der Titel dieser ungewöhnlichen Ausstellung „Grün und..“ bezieht sich auf den zentralen Ort, die Galerie im Quadrat, die er in einen grünen Raum verwandelt und auf seine Herkunft. Bis heute ist sein Geburtsort auch bekannt als Herstellungsort des brillanten, aber hochgiftigen Schweinfurter Grün.
Warmuth taucht die Wände des quadratischen Raums bis in Augenhöhe in ein helles Grün. Dessen Ausgangspunkt, die Schachtel Dulcolax, ist so klein, dass man sie erst einmal gar nicht sieht. Sie spielt auch nicht die Hauptrolle. Die spielt der Farbklang, den Warmuth mit zwei weiteren Grüntönen komponierte, mit denen er Stellwände im Raum streichen ließ. Der Besucher bleibt also nicht vor einem bestimmten Bild stehen, er kann sich im Raum bewegen und in jeder Position eine neue Farbkompositionen sehen. Das heißt, er wird zum Mitgestalter, das endgültige Bild entsteht erst in diesem Augenblick.
Das sind die Fragen, die Herbert Warmuth beschäftigen. Auch wenn ihn das Arzneimittel selbst weniger interessiert, dass es beim Betrachter Assoziationen und Gefühle auslösen kann, kalkuliert er mit ein. Seine Arbeiten haben immer auch diesen konzeptionellen Ansatz. Das Abführmittel Dulcolax hat der Betrachter vielleicht im Urlaub dabei, das Schmerzmittel Tramal erinnert ihn möglicherweise an heftige Schmerzen. Arzneimittel haben einen hohen Wiedererkennungswert, fast jeder kann mit den Verpackungen etwas anfangen, hat einen persönlichen Bezug dazu. Und Menschen, die sich für Design interessieren, können bestimmte Entwicklungen der vergangenen 25 Jahre ablesen.
Warmuths „Eingriffe“ beginnen bereits im Foyer mit einer grünen Wand und ziehen sich durch die gesamte Dauerpräsentation im Erdgeschoss. Im ersten Kabinett des Westflügels hat er in unmittelbarer Nähe von Rupprecht Geigers großem neonroten Kreis einen schmalen roten Streifen gesetzt. „Sobald ich die Packung angeklebt habe, habe ich den ganzen Raum besetzt“, sagt Herbert Warmuth. Der Besucher entscheidet, ob er diese Aussage nachvollziehen kann.
„Grün und..“: Die Ausstellung ist vom 6. März bis 12. Juli zu sehen und wird am Internationalen Museumstag, 17. Mai, vorgestellt.