Das Windkraft-Vorbehaltsgebiet WK 61 südwestlich von Gerolzhofen, wo ABO Energy vier Windräder errichten möchte, wirkt sich auf das dort geplante Baugebiet "Am Nützelbach III" stärker aus, als es der Stadt und künftigen Bauherren dort lieb sein kann.
Denn wie sich jetzt herausstellt, sollen zwischen dem äußersten Rand von WK 61 und den nächstgelegenen Grundstücken im vorgesehenen Baugebiet nur 700 Meter liegen. So sieht es ein zwischen der Stadt und der Regierung von Unterfranken gefundener Kompromiss vor. Ohne diesen wäre das Baugebiet wohl kaum realisierbar.
Inwieweit hat das WK 61 den Zuschnitt des Baugebiets "Am Nützelbach III" beeinträchtigt?
Als der Stadtrat im Juli die Planung des neuen Baugebiets direkt im Anschluss an das Baugebiet "Am Nützelbach II" beschlossen hat, lagen Pläne für ein Baugebiet mit 30 Grundstücken für Mehr- und Einfamilienhäuser vor. Während der jüngsten Stadtratssitzung am 21. Oktober legte Planer Frank Braun von der Planungsschmiede Braun (Würzburg) eine Karte vor, die nur noch 25 Baugrundstücke vorsieht. Im Vergleich zur vorherigen Planung haben sich die Grün- und Ausgleichsflächen im Süden des Baugebiets vergrößert.

Begründet wurde das Zurechtstutzen der bebaubaren Flächen mit dem Einhalten eines Mindestabstands von 700 Metern bis zum WK 61. Dies sei mit der Regierung von Unterfranken vereinbart worden. Damit sei man "gut bedient", sagte Braun. Seine im Juli vorgestellte Planung hatte diesen Mindestabstand zum WK 61 bei mehreren Baugrundstücken im Süden des Baugebiets nicht eingehalten.

Was ist aus den 800 Metern Mindestabstand geworden?
Grundsätzlich schreibt der Regionalplan für Main-Rhön vor: Zwischen Wohngebieten und Gebieten, in denen Windenergieanlagen (WEA) errichtet werden, sind mindestens 800 Meter Abstand einzuhalten. Maßgeblich ist dabei der geringste gemessene Abstand zwischen dem geplanten, nächstgelegenen Baugrundstück und dem äußersten Rand des bestehenden Vorbehaltsgebiets. Hierbei handle es sich um ein "hartes Ausschlusskriterium", teilt die Regierung von Unterfranken auf Anfrage dieser Redaktion mit. Trotzdem könnten die Abstände in begründeten Einzelfällen um bis zu 100 Meter unterschritten werden.
Wie begründet sich die Sonderregel für das Baugebiet "Am Nützelbach III"?
Dass sie als höhere Landesplanungsbehörde in diesem Fall einen Mindestabstand von nur 700 Metern akzeptiert, begründet die Regierung von Unterfranken damit, dass diese Ausnahme bereits für den Bebauungsplan für das Baugebiet "Am Nützelbach II" galt. Dieses Sonderrecht habe man auch für "Am Nützelbach III", direkt im Anschluss, eingeräumt – unter einer Bedingung: Die zusätzliche Nutzung des Windgebiets darf dadurch nicht weiter eingeschränkt werden. Deshalb habe man die zunächst vorliegende Planung mit einem Mindestabstand von nur 650 Metern abgelehnt. Dies dürfte Planer und Stadt also nicht überrascht haben.
Was ist mit einem Mindestabstand von 1000 Metern, der für zentrale Orte gilt?
Nach Auskunft der Regierung wurde der zusätzliche Puffer von 200 Metern zu den 800 Metern Mindestabstand von der Regionalplanung im Jahr 2014 bei Ausweisung des WK 61 berücksichtigt, als "weiches Ausschlusskriterium". Damit sollten zentrale Orte einen weiteren Flächenpuffer eingeräumt bekommen, damit diese nicht Wohngebiete ausweisen, die dann in bestehende Windgebiete und WEA hineinwirken.

Diesen Spielraum zur Siedlungstätigkeit habe die Stadt Gerolzhofen bei der Entwicklung der Bebauungspläne für die ersten beiden Baugebiete am Nützelbach genutzt. Seinerzeit galt laut Regierung zwar grundsätzlich der Regionalplan, die Kommunen genossen im Zuge der sogenannten 10H-Regel in Bayern eine "hohe kommunale Planungshoheit". Indem sie höhere Abstände anlegten, ließen sich damit WEA in den regionalplanerisch ausgewiesenen Flächen unterbinden.

Ende 2022 hat der Freistaat die 10H-Regel deutlich gelockert – etwa eineinhalb Jahre nachdem der Gerolzhöfer Stadtrat den Grundsatzbeschluss zum Baugebiet "Am Nützelbach III" getroffen hatte.
Stellt eine solche Ausnahme beim Mindestabstand eine Ausnahme dar?
Den Erfahrungen der Regierung zufolge vermeiden Kommunen die Ausweisung von Siedlungsgebieten in der Nähe von Windkraftgebieten eher, "um eben nicht in entsprechende Konflikte hineinzukommen oder die im Zuge der Energiewende wieder beginnenden Windvorhaben in den Windgebieten des Regionalplans zu gefährden", wie es aus Würzburg heißt.
Als Beispiel für eine Ablehnung einer Bauleitplanung führt die Regierung die geplante Ausweisung von Bauplätzen in Pusselsheim an. Diese wurde untersagt, weil der Mindestabstand von 800 Metern zum Windkraft-Vorranggebiet WK 19 nicht eingehalten worden wären; wobei für dieses nochmals strengere Kriterien gelten als für ein Vorbehaltsgebiet wie WK 61.
Werden zwischen dem Baugebiet "Am Nütztelbach III" und dem ersten Windrad tatsächlich nur 700 Meter liegen?
Mitnichten. Denn, wie Gerolzhofens Bürgermeister Thorsten Wozniak auf Nachfrage erläutert, müssen WEA, um eine Genehmigung zu erhalten, geltende Maximalwerte für Schallschutz (55 Dezibel tagsüber, 40 Dezibel nachts), aber auch für Schattenwurf (30 Minuten am Tag, 30 Stunden im Jahr) einhalten. Diese gelten unabhängig vom Abstand der Anlagen zur Wohnbebauung. Laut Regierung heißt das: Sollten die Immissionsschutzwerte einer WEA die Vorgaben unterschreiten, kann einer Unterschreitung der Mindestabstände im Einzelfall zugestimmt werden.

Die exakten Standorte der geplanten vier WEA im Windpark "Geiersberg" stehen laut des Investors ABO Energy noch nicht fest. Auf einer Projektseite im Internet erklärt der Investor, mindestens 800 Meter zu den angrenzenden Siedlungsflächen einzuhalten.
Welche Auswirkungen erwartet die Stadt auf den Verkauf von Baugrundstücken?
Bürgermeister Wozniak geht davon aus, die Grundstücke im Baugebiet "Am Nützelbach III" gut verkaufen zu können – "zumindest an alle, die sich nicht an der Optik von Windkraftanlagen stören". Er baut auf die seinen Worten nach "fantastische Lage" der Wohngebiete am Nützelbach. Ob die Aussicht auf möglicherweise vier große WEA (Nabenhöhe: 179 Meter) die Euphorie schmälert, muss sich zeigen.
Ob und wie die notwendig gewordene Verkleinerung der bebaubaren Fläche im Baugebiet sich auf die Grundstückspreise dort auswirken wird, möchte der Bürgermeister derzeit nicht beurteilen. Über die Konditionen der Grundstücksvergabe habe der Stadtrat noch nicht entschieden.