Schon der erste Blick in der Großen Halle der Kunsthalle stößt den Besucher mit der Nase darauf, worum es bei Thomas Baumgärtels Ausstellung „German Urban Pop Art“ geht: politische Kunst. Auf dem Boden ein rotes Ölfass, hundertfach markant in gelb mit dem Ausdruck CO2 besprüht, der chemischen Formel für Kohlendioxid. Dahinter ein mehrere Meter hohes Portrait der Klimaaktivistin Greta Thunberg in gelbem Ölzeug, mit dem Spruch „Freitags schulfrei“.
Oder, man muss nur den Standort wechseln, dasselbe Fass mit Blick auf das Portrait von Bunderskanzlerin Angela Merkel, ganz in Gelb, Merkel mit rotem Kostüm, über ihr „Wir schaffen das“ – Klimakrise, Flüchtlingskrise, Rechtspopulismus? Dicht an dicht die Themen dieser Zeit, voller Hintergründigkeit, die Baumgärtels Kunst seit Jahrzehnten auszeichnet: Man sollte genau hinschauen. Bei Merkels Bild zum Beispiel ist auf dem gelben Hintergrund weitere Schrift zu lesen, sich wiederholend steht da: „Die schaffen uns“ Wer schafft da wen? Die Politiker das Volk, weil es vorgeblich zu viele Flüchtlinge gibt? Oder weil die Politiker die Lösung der Klimakrise nicht energisch genug angehen, die neben den vielen Kriegen ein wichtiger Grund für das Elend der Flüchtlinge ist, dem sie entkommen wollen?
Auch bei Thunberg provoziert Baumgärtel: Will sie freitags schlicht nicht in die Schule, weil bald Wochenende ist? Oder geht es um mehr, um Ernsteres? Auf dem Boden steht neben dem CO2-Fass auch ein kleineres mit einem Bild von einer Frau und ihrem Kind darauf gesprayt, es sind Baumgärtels Ehefrau und sein Kind.
„Man kann und soll viel mehr entdecken, als man auf den ersten Blick sieht“, erklärt Jan Soldin, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Kunsthalle, seinen Kuratoren-Ansatz. Der weitere Blick durch den Raum bestätigt das, da ist die britische Königin mit einem blauen Auge vom Brexit, da ist der chinesische Präsident, wie er einen Apfel isst, Symbol für den biblischen Sündenfall, darüber steht der Spruch „Demokraten essen Bananen“.
Ja, die Banane, die Frucht, mit der Baumgärtel berühmt wurde, die für seinen Anspruch steht „Kunst politisch relevant zu machen“, so Jan Soldin, sie ist allgegenwärtig in der Ausstellung. Auf seinem ganz neuen Werk als Corona-Banane gesprayt auf einem alten Verkehrsschild für Durchfahrt verboten, natürlich mit dem Klassiker der Baumgärtel-Kunst, dem Bild des bräsig lachenden Altkanzlers Helmut Kohl umrahmt von lauter Bananen.
Die Spraybanane ist das Alleinstellungsmerkmal des 60 Jahre alten Künstlers in der zeitgenössischen deutschen Kunst. Sie ist am Eingang der Kunsthalle zu finden, Baumgärtel ist lange eng mit Schweinfurt verbunden, stellte hier 2009 aus und war vor einem Jahr zum zehnten Geburtstag der Kunsthalle beim Museumsfest vor Ort. Bereits 2003 hat er seine berühmte Banane noch in der Alten Reichsvogtei bei einer Ausstellung verewigt. „Die Spraybanane ist für mich Ausdruck meines Freiheitskampfes, einer Freiheit, die nicht selbstverständlich ist und die gegen die Feinde der Demokratie und die Feinde der Kunst- und Meinungsfreiheit verteidigt werden muss“, erklärt Baumgärtel sein abwechslungsreich eingesetztes Hauptkennzeichen.
Die Intentionen hinter der Schweinfurter Ausstellung fasst er im Pressetext der Kunsthalle so zusammen: „Ich will aufzeigen, dass wir in Deutschland unsere eigene Sprüh- und Alltagskunst entwickelt haben die letzten 40 Jahre, die eng verknüpft ist mit unserer starken Demokratiebewegung und unserem Freiheitskampf. Wir müssen nicht immer nur in die USA oder nach Großbritannien schauen! Deshalb setze ich bewusst auf die Farben Schwarz, Rot und Gelb. Die Banane ist ja schon schwarz und gelb – und sie ist eine zutiefst deutsche Frucht!“
Die deutliche politische Prägung schafft im übrigen jede Menge Bezugspunkte zur Sammlung der Kunsthalle, die erst im vergangenen Jahr neu gestaltet wurde und als Schwerpunkt die zeitgenössische deutsche Kunst nach 1945 hat. Straßenkunst a la Baumgärtel in der Großen Halle der Kunsthalle wirkungsvoll zu präsentieren, ist nicht einfach. Der Künstler hatte vergangenes Jahr erst eine eindrucksvolle Ausstellung mit 300 Arbeiten in einer leerstehenden, schmutzigen, dunklen Halle in Köln, optimale Voraussetzungen für eine Street-Art-Ausstellung, wie er sagt. Jan Soldin aber ist es gelungen, den Baumgärtel-Kosmos auch in der Kunsthalle erstrahlen zu lassen. Vor allem ist es ihm gelungen, dass man gerne verweilt und genauer hinschaut.
German Urban Pop Art. Thomas Baumgärtel in der Großen Halle der Kunsthalle, bis 8. November. Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr, Donnerstag bis 21 Uhr. Jeden ersten Donnerstag im Monat freier Eintritt. Infos: www.kunsthalle-schweinfurt.de Begleitprogramm: 18. Oktober, 14 bis 16 Uhr: Alles Banane? Street-Art-Workshop im Atelier (ab 12 Jahre), Anmeldung bei Maria Schabel (9721) 514746, maria.schabel@schweinfurt.de, Kosten: vier Euro.