Martina Vierengel öffnet ein Eisenfass. Ein fauliger Geruch macht sich breit. Jauche. "Wir müssen wieder mehr nutzen, was da ist, statt fossile Ressourcen für die Herstellung von Kunstdünger zu verschwenden. Wie unsere Vorfahren müssen wir wieder stärker in Kreisläufen denken, müssen die Vielfalt des Ackers wieder zurück auf den Acker bringen. Zum Beispiel mit Jauche", erklärt die 49-Jährige, während sie die verwesenden Quecken, Disteln und Ackerwinden im Fass aufrührt.
Wir sind in Bergrheinfeld auf einem Feld der ökologisch wirtschaftenden "Solidarischen Landwirtschaft (SoLaWi) Schweinfurt und Umgebung e.V.", wo Vierengel seit Herbst 2023 als Gemüsegärtnerin in die Lehre geht. Gemüsegärtner, ein Beruf mit Zukunft – könnte man meinen. Schließlich steigt die Nachfrage nach regionalen und ökologisch hergestellten Produkten.
Zudem ernähren sich immer mehr Menschen vegetarisch oder vegan. Die Anzahl der Gemüsebaubetriebe aber sinkt seit Jahren. Und als Gemüsegärtner arbeiten, sich den Buckel krumm und die Hände schmutzig machen, das wollen auch immer weniger Menschen.

In der Berufsschule in Schweinfurt nur noch eine Gemüsegärtnerin in der Ausbildung
Das gilt nicht nur, aber auch für den Landkreis Schweinfurt, wie ein Blick in die Berufsschule III in Schweinfurt zeigt. Im diesjährigen Ausbildungsjahrgang kommt auf 14 Garten- und Landschaftsgärtner nur noch eine Gemüsegärtnerin: Martina Vierengel. Die Greßthalerin hat viele Jahre als Bauzeichnerin gearbeitet. Sie ist Mutter zweier erwachsener Töchter und auch schon Großmutter. Nicht ohne Selbstironie bemerkt sie daher: "Ich bin eine Oma, die nochmal eine Ausbildung macht. Aber hey, für eine Kehrtwende ist es schließlich nie zu spät."
Fragt man Vierengel, warum sie trotz ihres Alters den behaglichen Schreibtisch gegen das raue Feld getauscht hat, nennt sie nicht persönliche Gründe, sondern Grundsätzlicheres: "Es gibt eine zentrale Frage, die mich schon länger umtreibt: Wie können wir Menschen auf der Erde leben und uns von ihr ernähren, ohne sie kaputtzumachen? Mit unserer aktuellen Art zu wirtschaften und mit unserer Logik von gestern können wir die Probleme von heute und morgen nicht mehr lösen. Wir müssen umkehren, zurück zu unseren Wurzeln."

Inspiration und Ideen für ihre Umkehr fand Vierengel unter anderem beim Agrarwissenschaftler und Landwirt Felix zu Löwenstein. "Wir werden uns ökologisch ernähren oder gar nicht mehr" heißt der Titel seines 2011 erschienenen Buchs. Auch der Agraringenieur Dietmar Näser hat Vierengel mit seinem Buch "Regenerative Landwirtschaft" darin bestärkt, dass eine Umkehr machbar ist.
"Für eine Kehrtwende ist es schließlich nie zu spät."
Martina Vierengel.
Die angehende Gärtnerin lässt ihren Blick über das Bergrheinfelder Feld voller sattem, grünen Gemüse schweifen. Dort arbeitet sie jetzt bei jedem Wind und Wetter. Sie räumt ein: "Es war ein langer Weg bis hierher." Eine wichtige und sehr frühe Station auf ihrem Weg sei das Gemüsebeet gewesen, das ihr in ihrer Kindheit die Mutter im Familiengarten überließ.
"Ich baute dort Radieschen, Salat und Ringelblumen an. Auch eine Tomate war immer dabei. Wenn Mutter am Tisch dann erwähnte, dass das Abendessen von mir, aus meinem Beet kommt, machte mich das immer wahnsinnig stolz", erinnert sich Vierengel. Sie sagt, sie empfinde große Dankbarkeit für das Saatkorn, das ihre Mutter in frühen Jahren in ihr gelegt hat und das erst viel später im Leben aufkeimen sollte.

Eine extrem wichtige Zeit für ihre Umkehr sei auch die Corona-Pandemie gewesen. Kein Ehrenamt, das sie am Abend, nach der eigentlichen Arbeit, noch erfüllen habe müssen. Und auch den Vater habe sie wochenlang nicht besuchen können. "Ich hatte plötzlich Zeit, mal wieder alleine im Garten zu sitzen, und konnte mich plötzlich wieder spüren. Es krochen Gefühle in mir hoch, die durch das Rennen im täglichen Hamsterrad lange verschüttet waren", so Vierengel. "Erst da merkte ich, wie sehr ich mit meinem Beruf als Bauzeichnerin haderte, wie erschöpft und kraftlos ich war." Die Greßthalerin zog die Reißleine – sie kehrte um zu ihren Wurzeln, quasi zum Gemüsebeet ihrer Kindheit.
Auf dem Gemüsefeld der SoLaWi ist heute Erntetag. Die Mitglieder – bei der SoLaWi "Ernteteiler" genannt – können sich auf Rettich, Spitzkohl, Kopfsalat und Pak Choi freuen. Während Vierengel die prallen Pak Choi Köpfe in Kisten packt, stellt sie fest: "Ja, meine jetzige Arbeit ist anstrengender als die vorherige, aber auch abwechslungsreicher."

Noch einmal kommt sie darauf zu sprechen, warum wir umdenken und -kehren müssen: "Wir können nicht mehr ganzen Regionen das Wasser abgraben, weil wir das ganze Jahr Erdbeeren essen wollen. Wir können die schlechten Bedingungen, zu denen Menschen in anderen Teilen der Welt unser Billig-Gemüse aus dem Discounter produzieren, nicht mehr ignorieren. Was wir brauchen sind klein strukturierte Betriebe, die auf kleinen Flächen produktiv und rentabel sind, die das Gemüse direkt in der Region vermarkten und dabei auf Bodenfruchtbarkeit und Artenvielfalt achten, eben so wie mein Ausbildungsbetrieb, die SoLaWi."