Es ist vielleicht eines der schönsten Kirchenlieder überhaupt: der Marienhymnus "Agni Parthene" aus der Feder des Nektarios von Ägina. Nach dem musikalischen Heiligen ist etwa die Russisch-Orthodoxe Kirche im nahen Bischofsheim benannt. Orthodoxie, das hat etwas Zeitloses und Entrückendes, so auch in der Kapelle des heiligen Einsiedlers Antonios. Das Gotteshaus liegt, etwas versteckt, unterhalb des katholischen St. Anton und der Casa Vielfalt an der Deutschhöfer Straße in Schweinfurt. Erzpriester Martinos öffnet die Tür für eine Führung im Sinne zwischenkirchlicher Begegnung.
Albrecht Garsky begrüßt überkonfessionell 45 Gäste. Der Leiter der katholischen Erwachsenenbildung Schweinfurt und Martinos Petzolt haben sich im Theologiestudium kennengelernt. Als Presbyteros vertritt Petzolt von Würzburg aus 7000 Griechisch-Orthodoxe in ganz Unterfranken: Griechen in der Diaspora, die ihre Sprache oft nicht mehr lesen oder schreiben, aber sprechen und singen können, in den Gottesdiensten. Mehr als die Hälfte seiner Gemeindemitglieder sei jünger als 40, freut sich Martinos. Kinder und Säuglinge seien von Anfang an mit dabei.
Die Karwoche beginnt hier mit dem Lazarussamstag
Der Besucher betritt eine Welt heller Kronleuchter und bunter Ikonen. Was als Erstes auffällt: Es herrscht kein Frontalunterricht, die Gemeinde nimmt reihum Platz. Die Karwoche beginnt hier mit dem Lazarussamstag. Zu Ostern wird nicht allein die "Anastasis" Jesu gefeiert, sondern die künftige Auferstehung aller Menschen, wie beim wiedererweckten Lazarus.
Schon dem Namen nach erheben die Orthodoxen, die "Rechtgläubigen", den Anspruch, die älteste, ursprüngliche Kirchengemeinschaft der Christenheit zu sein. Die Einzelkirchen, gleich ob arabisch, slawisch oder griechisch, verstehen sich meist gut, im Wortsinn, dank einheitlichem Ritus. Eine Besucherin liest Texte auf Deutsch beim Kurzgottesdienst, zu dem sich die Ikonostase öffnet, die ikonengeschmückte Wand vor dem Altarraum. An jedem dritten Sonntag des Monats gibt es in Schweinfurt eine Liturgiefeier.

Orthodoxie, das wird oftmals mit religiösen Betonköpfen gleichgesetzt. Tatsächlich geht es bei den Griechen, laut Martinos, recht locker zu, außerhalb der strengen Liturgie. "Die Last des Alten, aber auch die Freude, das alte Erbe zu erhalten" – für den Presbyteros schwingt in dem Wort "orthodox" beides mit. Den Kaiser in Byzanz gibt es nicht mehr, einst weltlicher wie geistlicher Herrscher aller Rechtgläubigen. Sein Doppeladler ist in der Kirche noch präsent. Manchmal herrschte eine Kaiserin: Für Martinos ein Zeichen der Gleichberechtigung, wie die Diakoninnen.
Dass die Priester männlich (nicht unbedingt bärtig) sein sollen, wird mit der Männerrunde des Abendmahls begründet. Martinos ist Familienvater, womit er weder Mönch noch Bischof werden dürfte. Auch nach der osmanischen Eroberung Konstantinopels, 1453, sitzt mit Bartholomaios der wichtigste Patriarch im heutigen Istanbul, als Erster unter Gleichen.
In Schweinfurt beten Ukrainer und Russen gemeinsam
Das Schisma von 1054 hat Katholiken und Orthodoxe gespalten, im Streit um die Dreieinigkeit und das lateinische Wort "filioque", im Glaubensbekenntnis. Für die Westkirchen steht fest, dass der Spiritus sanctus aus Gottvater "und dem Sohn" hervorgeht. Bei den Griechen gehen sowohl Sohn als auch Heiliger Geist, Pneuma hagion, aus dem Vater hervor. Der feurige, alleserfüllende Gotteshauch scheint geradezu ihr seelenwärmender Lebensgeist zu sein.
Dass im Gewölbe Eiseskälte herrscht, liegt daran, dass hier mal ein Brauereikeller untergebracht war. "Oben" gibt es derzeit Unruhe, durch den Ukrainekrieg, mit neuen Kirchenspaltungen. Aus Martinos´ Sicht schwelgt das Moskauer Patriarchat in der Idee des "Heiligen Russland" und grenzt sich einseitig ab. In Schweinfurt beten Ukrainer und Russen gemeinsam, in der Friedenstraße. Schismen habe es schon einige gegeben, sagt der Erzpriester: "Das geht auch wieder vorbei."