„Irgendwo müssen wir doch hin mit unserer Verantwortung“ – der Kriegsversehrte Beckmann steht vor seinem einstigen Oberst. Der hatte ihm im Krieg die Verantwortung für einen Spähtrupp übertragen, der in einen Hinterhalt geraten war. Nun lassen ihn die Toten nicht mehr los, und er will sie wieder zurückgeben, die Verantwortung. Damit er endlich in Frieden schlafen kann.
Probenbesuch auf Schloss Maßbach. Christian Schidlowsky erarbeitet mit dem Ensemble „Draußen vor der Tür“ von Wolfgang Borchert. Das Stück war lange Zeit als vor allem zeitgeschichtlich relevantes Schlüsselwerk der Nachkriegsliteratur Teil des Kanons. Nun sind wieder deutsche Soldaten im Kriegseinsatz, erleben Furchtbares und kehren traumatisiert zurück. Und so kehrt „Draußen vor der Tür“ auf die Theaterbühnen zurück – in Leipzig, Freiburg oder Saarbrücken zum Beispiel. In Maßbach ist Premiere am 1. April, die Vorstellungen in Schweinfurt sind am 6., 7., 11. und 12. April, jeweils 19.30 Uhr.
Schidlowsky transponiert das Stück bewusst nicht in die Gegenwart. Es gibt keine Anspielungen auf Afghanistan. Im Gegenzug hat er aber Stichworte wie Russland oder Sibirien gestrichen. Dennoch spielt der Faktor Zeit eine Rolle: Der Regisseur bettet das Stück in eine Rahmenhandlung ein: Eine Theatertruppe tingelt seit 60 Jahren mit einen Anti-Kriegs-Stück durchs Land. Bis einer der Schauspieler ob der offensichtlichen Sinnlosigkeit dieses Tuns einen Koller bekommt.
Wie eben jener Beckmann, der Kriegsheimkehrer, den die Toten nicht mehr loslassen und von dem die Lebenden nichts wissen wollen. So verschwimmen die Grenzen immer wieder – zwischen den beiden Handlungsebenen, zwischen Traum und Wirklichkeit, zwischen den Personen: das fünfköpfige Ensemble reicht die Figur des Beckmann sozusagen durch – jede und jeder ist einmal Beckmann.
Groteske Varieté-Szene
In der Oberst-Szene ist Georg Schmiechen Beckmann, der bei Obersts zu Hause reinschneit. Die Familie ist zu Tisch, der stinkende, abgerissene Eindringling kommt ungelegen. Schidlowsky entwirft eine minutiös getimte Annäherung des kleinen Soldaten an den erst gönnerhaften, dann reservierten und schließlich höhnischen Oberst, den Ingo Pfeiffer mit großem Vergnügen spielt. Was wie eine peinliche, aber beherrschbare Störung der Privatsphäre beginnt, schlägt um in eine groteske Kabarett-Nummer: Beckmann singt ein schüchtern-sehnsüchtiges „Schlaf, Kindlein, schlaf“, die Familie Oberst – Vater, Mutter, Tochter, Schwiegersohn – übernimmt in krachiger Varieté-Manier: „Maikäfer flieg, der Vater ist im Krieg, die Mutter ist in Pommerland, Pommerland ist abgebrannt“.
Borchert inszenieren, heißt auch, eine Geschichte erzählen, die eigentlich jeder kennt. Oder zu kennen glaubt. Wie all die Hintergrundberichte im Fernsehen: „Wir wissen doch schon alles“, sagt Schidlowsky. Und spürt deshalb die Möglichkeiten der Überzeichnung, der Verfremdung, der Fokussierung auf. „Man kann den Text viel stärker unter satirischen Aspekten lesen, wenn man weiß, dass Borchert eine Vorliebe fürs Kabarett hatte“, sagt er.
Den Schauspielern – neben Schmiechen und Pfeiffer und sind das Iris Faber, Susanne Pfeiffer und Jens Eulenberger – hat Schidlowsky zu Beginn der Probenarbeit drei Kostüm-Kisten hingestellt: eine mit Militär-Kleidern, eine mit Zirkus- und eine mit Orchester-Kleidern. Jeder sollte aus jeder Kiste ein Stück nehmen. Und so steht Iris Faber etwa in Springerstiefeln, Leoparden-Body und Frack auf der Bühne. Jens Eulenberger kombiniert überdimensionale Clownschuhe mit absurd voluminöser Bundeswehrunterwäsche.
So wird das Ensemble zur ewigen Vagantentruppe, die ihren Thespis-Karren durch verwüstetes Land schleppt, und irgendwann nicht mehr weiß, warum. „Wir stellen auch die Frage, was passiert, wenn einer nicht mehr kann“, sagt Schidlowsky.