Florian Loos steht in einem seiner grün daliegenden Weinberge in der Dingolshäuser Lage Köhler. Oben strahlt die Sonne vom weiß-blauen Himmel, unten lacht das Winzerherz. Er hat gerade eine pralle Riesling-Traube gepflückt und auf das Refraktometer gelegt, mit dem der Zuckergehalt und damit der potenzielle Alkoholgehalt gemessen werden kann. Nach einem kurzen Moment der Spannung zeigt die Digitalanzeige 93 Grad Oechsle an. "Ein Top-Wert, das wird eine schöne Spätlese", freut sich der Chef des Weingut Loos.
Vermutlich schon nächste Woche, spätestens die Woche darauf, werden dieser Riesling und der Weiße Burgunder gelesen sein. Dann hätte Loos seine Ernte komplett eingefahren, nachdem diese mit der Lese für die Traubensäfte am 26. August begann. Die Qualität bezeichnet er besser als erwartet, bedingt auch durch die diesjährige Witterung. "Was wir bisher gelesen haben, ist super gut."

Fruchtigkeit als Charakter des 2023er-Jahrgangs
Wie Loos stecken viele Winzer mitten in der hektischen Hochsaison. Wer einen Moment Rede und Antwort stehen kann, ist überaus zufrieden. "Nach Winzers Wunsch, überraschend positiv", lautet das knappe Urteil von Marco Barth aus Michelau. Sein Weingut bewirtschaftet 27 Hektar Rebfläche und ist damit nach eigenen Angaben das größte seiner Art im Raum Gerolzhofen.

Seit 28. August ist sein Betrieb mit der Lese beschäftigt, die vier Tage später als im Vorjahr begann. Den Anfang machten die Sorten Solaris, Ortega und Regent für den Federweißen. Diese Woche hat er Bacchus und Müller-Thurgau heimgeholt; am Samstag will er mit dem Silvaner beginnen, bevor mit den spätreifenden Sorten Riesling und Johanniter die letzte Fuhre vielleicht Ende nächster Woche heimgebracht wird.

Alle Zeichen sprechen für einen guten Jahrgang: Säure, Mostgewicht und Ertrag. Von durchschnittlich 80 bis 85 Hektoliter pro Hektar (hl/ha) geht Barth aus. Bei den Weißweinen deutet sich eine extreme Lagerfähigkeit an, weil der Alkoholgehalt höher ist. Und beim Aroma erwartet er eine "schöne Lebendigkeit". Der Portugieser (mit 93 Grad Oechsle) könnte ein frischer, halbtrockener Rotwein werden. Für Florian Loos wird der 2023er-Jahrgang vermutlich mit seiner Fruchtigkeit in Erinnerung bleiben.
Regen nach langer Wärmeperiode war hilfreich für die Trauben
Verantwortlich dafür ist die Regenperiode Ende Juli und Anfang August. Nach heißen Wochen sorgte das Nass für einen Wachstumsschub der Trauben. Nach Ansicht von Michael Scheller vom Bocksbeutelweingut in Stammheim hätte der Regen zwar gerne etwas früher kommen können. Das hätte ihm so manche Arbeit mit der Bewässerung erspart. Scheller hat erst am Mittwoch mit der Lese des Bacchus, der ersten von elf Rebsorten, begonnen. Das sind zehn Tage später als im überaus heißen Vorjahr.
Gleichwohl sei er heuer mit dem Wetter zufrieden, weil es mit dem Regen doch noch besser wurde, als man im heißen Juni und Juli erwarten konnte. Hilfreich für die Traubenentwicklung war aus seiner Sicht der Umstand, dass die Nächte kühler waren als in den Hitzejahren 2018 und 2022, und außerdem am Tag keine Spitzentemperaturen über allzu lange Zeiträume zu verzeichnen waren.

Ein sehr kleiner Weinberg mit nur 0,16 Hektar Fläche steht am Rande des Gerolzhöfer Stadtteils Rügshofen, hinter dem Anwesen von Winfried Ernst, der hier Öko-Weinbau betreibt. Bereit seit 1990 führt der Vorsitzende des örtlichen Weinbauvereins seinen Betrieb nach den Richtlinien des Verbandes Bioland.
Immer mehr naturnaher und biologischer Anbau und PIWI-Rebsorten
"Arbeiten im Einklang mit der Natur" ist sein Motto beim Ausbau der roten Rebsorte Regent und des weißen Johanniters. Damit die Stare ihm die saftigen Beeren nicht kurz vor der Ernte abluchsen, hat er blaue Schutznetze über die Rebstöcke gespannt. "Sonst wäre nichts mehr da", so Ernst. Am Samstag steht nun der große Tag in seinem Mini-Weinberg an: Die Lese wird zum Familienerlebnis, jeder hilft mit.

Der Zuckergehalt, den er beim Regent nochmals überprüft, liegt aktuell bei 86 Grad Oechsle. Er erwartet einen guten Kabinett: "Es wird ein guter, aber kein Jahrhundert-Jahrgang." Die kühlen Nächte und warmen Tage seien gut für ein fruchtiges Aroma gewesen. "In Richtung Waldfrüchte wäre toll", hofft Ernst. Der Ertrag wird bei 70 hl/ha liegen. Während die jungen Anlagen unter dem trockenen Frühjahr gelitten haben, hätten die alten Stöcke dies "gut weggesteckt". Wie viele andere Winzer setzt er seit Jahren auf eine Tröpfchenbewässerung.

Das Weingut Loos setzt seit 2016 ebenfalls auf einen biologischen Anbau und ist zertifizierter Naturland-Partner. Marco Barth baut seine Weine naturnah und nachhaltig aus. "Wir lehnen uns an den ökologischen Weinbau an", sagt er.
Auch auf den Klimawandel reagieren die Winzer: Winfried Ernst aus Rügshofen und immer mehr Weingüter pflanzen bei der Neuanlage sogenannte PIWI Rebsorten an. Diese sind widerstandsfähiger gegen Hitze und Pilzkrankheiten. Das Weingut Barth in Michelau will diesen Anteil von aktuell 15 Prozent auf rund ein Drittel seiner Fläche in den nächsten fünf Jahren ausweiten. "Wer das nicht macht, bekommt Probleme", glaubt Barth.