"Zurück zum alten Stadtbussystem!" Das fordern die Bewohnerinnen und Bewohner im Stadtteil Oberndorf und am Bergl. Und sie stehen damit nicht allein. Seit zum 1. Januar in Schweinfurt auf das neue Stadtbussystem 2.0 umgestellt wurde und Stadt und Landkreis dem Verkehrsverbund Nahverkehr Mainfranken (NVM) beigetreten sind, regt sich überall Protest. Es gab mehrere Unterschriftensammlungen gegen das neue Stadtbuskonzept. In Oberndorf werden jetzt sogar Stimmen für ein Bürgerbegehren laut.
Mirko Hrnjak hatte keinen leichten Stand. Drei Stunden lang musste sich der Leiter Personenverkehr und Fahrzeugtechnik bei den Stadtwerken Schweinfurt die geballte Kritik der Oberndorfer gegen das neue Stadtbussystem anhören. Der SPD-Ortsverband hatte angesichts der vielen Beschwerden aus der Bevölkerung zu einem Informationsabend in den Pfarrsaal der Christkönig-Kirche am Bergl eingeladen. Der Saal war rappelvoll, an die 100 Bürgerinnen und Bürger waren gekommen. Das Thema brennt allen unter den Nägeln.
Neue Linien, neue Taktung, neue Haltestellen, neue Preise, neues Bezahlsystem – in allen Bereichen empfinden die Menschen eine "massive" Verschlechterung. "Eigentlich war doch am Bergl alles in Ordnung", sagt Vorsitzende und SPD-Stadträtin Marianne Prowald. Mit lautstarkem Beifall pflichten ihr die Anwesenden bei.
Über ein Kilometer bis zur neuen Haltestelle
Ein Hauptproblem sind die Haltestellen. "Warum wird die Breslau Straße nicht mehr mit dem Bus angefahren?", will Georg Weiß wissen. Früher gab es hier zwei Haltestellen. Eine wurde stillgelegt, die andere an die Oskar-von-Miller-Straße versetzt. "An einen gefährlichen Ort, ungeschützt bei schlechten Wetterverhältnissen", sagt Weiß. Die Überquerung der Straße dort sei lebensgefährlich. Eine Erzieherin bestätigt, dass auch für die Schulkinder die Verkehrssituation gefährlich sei.
Was noch dazu kommt: Die Wege zu den neuen Haltestellen sind weiter als vorher. Über einen Kilometer müsse man laufen. Für Menschen mit Rollator oder Rollstuhl eine Herausforderung. Genauso wie das Busfahren selbst. Denn an den neuen Haltestellen gebe es keinen barrierefreien Zugang, moniert Elmar Rachle. Er habe jüngst einer älteren Dame beim Aussteigen geholfen. "Sie war fix und fertig" und habe geweint.

Ein weiteres Problem: Mit der neuen Taktung sei man viel länger unterwegs als früher. Eine Frau berichtet von eineinhalb Stunden, die sie abends mehr an Zeit für den Nachhauseweg benötige.
Eine junge Frau weiß, dass auch Busfahrer nicht zufrieden sind mit dem neuen System. Es gebe verkehrstechnische Probleme auf manchen Linien und sehr viel Kritik von den Busfahrgästen.
Fehlende Wartehäuschen sollen ersetzt werden
Stadtwerke-Vertreter Hrnjak sagt, als Verkehrsbetrieb müsse man den geltenden Nahverkehrsplan umsetzen und das große Ganze im Blick haben. Jede Busminute mehr, die beispielsweise auf einer Schleifenfahrt entsteht, um eine bestimmte Haltestelle anzubieten, koste sehr viel Geld. Deshalb die neue Linienführung mit Hin- und Rückfahrten auf der gleichen Linie sowie einheitlicher Taktung. Durch die Stärkung des Roßmarkts als zentraler Busbahnhof werde die Innenstadt sehr gut angebunden und damit die Attraktivität unterstützt.
Was die fehlenden Wartehäuschen an den neuen Haltestellen anbetrifft, sicherte er zu, dass hier nachgerüstet werde. Auch die Barrierefreiheit an den Bushaltestellen stehe ganz oben auf der Agenda. Besonders in Oberndorf am Berliner Platz. Bis September sollen entsprechende bauliche Maßnahmen erfolgt sein.
Ticket-Terminals sitzen zu hoch
Als großes Problem kristallisiert sich auch das neue Bezahlsystem heraus. Sofern man kein Deutschlandticket oder eine Monats- bzw. Jahreskarte hat, muss man beim Ein- und Aussteigen an einem Terminal im Bus seine EC- oder Kreditkarte, sein Handy oder eine Prepaidkarte hinhalten. Menschen im Rollstuhl schaffen das nicht, sagt Elmar Rachle. Die Terminals sitzen zu hoch.

Überhaupt: Viele ältere Menschen seien mit dem digitalen System überfordert. "Ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung wird hier aussortiert", monierte Stadträtin Ulrike Schneider (Zukunft./ödp). Auch, weil die Tickets teurer geworden sind. Früher gab es die Flexikarte mit 1,70 Euro pro einfache Fahrt. Jetzt sind es 2,40 Euro. Hin und zurück also 4,80 Euro. Menschen mit schmalem Geldbeutel könnten sich das Busfahren nicht mehr leisten, hieß es.
Ingenieur spricht von Mehrkosten von einer halben Million Euro im Jahr
Hartmut Bach hat den neuen Fahrplan mal durchgerechnet. Der Schweinfurter Ingenieur kommt zu dem Ergebnis, dass 36 Prozent der Fahrten gestrichen wurden. Gleichzeitig ergäben sich durch die neue Taktung längere Stillstandzeiten, was zu Mehrkosten von einer halben Million Euro im Jahr führe. Ein "teurer Schildbürgerstreich".
Ines Bender wollte wissen, wie diese Mehrkosten "eingefangen" werden. Kassensturz wird laut Hrnjak erst im August gemacht. Er räumte aber jetzt schon ein, dass der Kostenrahmen wohl nicht eingehalten werde. "Wir müssen zurück zum alten Stadtbussystem", schlussfolgert Stadträtin Schneider und bekommt bei einer Abstimmung im Saal volle Zustimmung.
Eine junge Ingenieurin gibt Hrnjak noch eine Weisheit aus der IT-Welt mit: "Never change a running system" – Verändere nie ein laufendes System.