Seit Mitte Februar steht der Kopf der umstrittenen Gemeinschaft "Go&Change", die in Lülsfeld (Lkr. Schweinfurt) ein ehemaliges Kloster bewohnt, vor Gericht. Am Freitag, 1. März, steht der dritte Verhandlungstag in Schweinfurt an. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum aktuellen Stand.
Worum geht es in dem Prozess am Landgericht Schweinfurt?
Die Staatsanwaltschaft Schweinfurt wirft Kai K. vor, eine Frau geschlagen, vergewaltigt und bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt zu haben. Dabei habe "konkrete Lebensgefahr" bestanden, heißt es in der Anklage. K. habe der Frau damit angebliche Dämonen austreiben wollen.

Wer sind die wichtigsten Akteure in dem Verfahren?
- Der Angeklagte: Kai K., 42, hat weder einen Beruf gelernt, noch übte er zuletzt einen aus. Seit 2017 lebt er als – laut Staatsanwaltschaft – "geistiger Führer" der Gemeinschaft "Go&Change" in einem früheren Kloster in Lülsfeld (Lkr. Schweinfurt). Nach seiner Verhaftung im Mai 2023 wurde er im Oktober in eine forensische Psychiatrie verlegt.
- Das mutmaßliche Opfer: Die 30-jährige Frau war seit 2019 Mitglied bei "Go&Change" und führte mit K. eine On-Off-Beziehung. Zweimal soll sie mit K. verlobt gewesen sein. Sie tritt als Nebenklägerin auf und wird von Anwalt Jürgen Zillikens vertreten. Laut dessen Internetseite verfügt er über "Spezialkenntnisse über Sekten und Psychogruppen".
- Die Richterin: Claudia Guba, seit Ende 2022 Vizepräsidentin des Landgerichts Schweinfurt und unter anderem Vorsitzende der 1. Großen Strafkammer. Ihr zur Seite stehen zwei weitere Berufsrichter, eine Schöffin und ein Schöffe.
- Die Staatsanwältin: Melanie Roth war Richterin am Landgericht und wurde Anfang 2023 zur Staatsanwältin ernannt. Erfahrung mit großen Prozessen hat sie: So war sie etwa am Prozess um die eingestürzte Schraudenbach-Brücke beteiligt.
- Die Verteidigung: Kai K. wird von zwei Pflicht- und zwei Wahlverteidigern vertreten. Zu letzteren zählt Hubertus Werner, er war zumindest in den ersten beiden Prozesstagen der Wortführer der Verteidigung. Er gilt als erfahrener Jurist und ist seit 1997 als Fachanwalt für Strafrecht tätig. Schwerpunkt seiner anwaltlichen Tätigkeit ist im Kapital-, Wirtschafts- und Revisionsrecht, heißt es auf seiner Homepage. Seine Kanzlei befindet sich in Landshut.
Was ist im Prozess um den "Go&Change"-Guru bisher passiert?
In den ersten beiden Prozesstagen kamen vor allem aktuelle und frühere Anhänger von "Go&Change" im Zeugenstand zu Wort. Sie lieferten Einblicke in die Gedankenwelt und das Leben der Gemeinschaft. So berichteten sie von sogenannten Prozessen. Dabei gehe es darum, "Schatten", also schlechte Persönlichkeitsanteile, "zu überwinden". Bei solchen Prozessen komme es auch zu harten Sexpraktiken. Die Idee, dass mächtige satanistische Zirkel existierten, ist laut den Aussagen bei "Go&Change" verbreitet.
Auffällig war zudem, dass mehrere "Go&Change"-Mitglieder auf Nachfrage des Gerichts nach Drogenkonsum in der Gemeinschaft schwiegen oder sich einen Anwalt nehmen wollten.
Wie ist die Strategie der Verteidigung von Kai K. im Prozess?
Vom ersten Prozesstag an versuchten die Anwälte von Kai K., die Glaubwürdigkeit der 30-jährigen Nebenklägerin in Zweifel zu ziehen. So forderten sie ein Glaubwürdigkeitsgutachten und stellten mehrere Anträge, etwa auf die Ladung von Zeugen, die das mutmaßliche Opfer als Mensch mit zwei Gesichtern darstellen würden. So sei die Frau manipulativ und habe extreme sexuelle Gewaltfantasien.

Auffällig ist generell die Vielzahl an Anträgen, die die Verteidigung stellt. Immer wieder musste die Verhandlung unterbrochen werden, weil sich das Gericht beraten musste.
Hintergrund dürfte juristisches Kalkül sein, meinen Juristen, mit denen die Redaktion gesprochen hat: In Strafprozessen vor dem Landgericht ist nämlich keine Berufung vor einem höheren Gericht möglich. Die einzige Chance für Verteidiger, ein Urteil anzufechten, ist eine erfolgreiche Revision wegen Verfahrensfehlern oder sonstigen Rechtsfehlern vor dem Bundesgerichtshof (BGH).
Umso mehr Anträge gestellt würden, desto höher sei – statistisch gesehen – die Wahrscheinlichkeit, dass das Gericht eine Entscheidung während des Verfahrens trifft, die der BGH beanstandet, das Urteil kassiert und das Landgericht zu einer Wiederholung des Verfahrens auffordert, erklären die Experten. Da dieses Prozedere lange dauern kann, wirke sich das auf ein neues Urteil aus: In der Regel fielen zweite Urteile in Strafsachen milder aus.
Wie geht es in dem Prozess um die Gemeinschaft "Go&Change" weiter?
Es stehen noch zahlreiche Zeugenvernehmungen und die Anhörung von Sachverständigen auf dem Programm. Darüber hinaus hat auch die 30-jährige Nebenklägerin noch nicht ausgesagt. Spannend dürfte es zudem werden, wenn es um bislang unbekannte Videoaufnahmen geht, auf denen auch das mutmaßliche Vergewaltigungsopfer zu sehen sein soll: Am ersten Prozesstag übergab die Verteidigung dem Gericht einen USB-Stick mit mehreren kurzen Sequenzen, deren Inhalt die Anwälte als "verstörend" beschrieben.
Aktuell sind noch sechs Prozesstage anberaumt. Doch schon jetzt zeichnet sich ab, dass es mehr werden dürften. Das Gericht hat den Beteiligten bereits eine Liste mit möglichen weiteren Terminen geschickt.
Welche Strafe droht Kai K.?
Bei Vergewaltigung drohen mehrjährige Haftstrafen. Welche Strafe Kai K. tatsächlich droht, ist noch schwer abzusehen. Vor allem, weil auch die Schuldfähigkeit des Angeklagten in dem Fall geklärt werden muss. Kai K. befindet sich derzeit in einer psychiatrischen Einrichtung.