Beinahe skurril wirkt es, als der 59-Jährige aufsteht, um zu erklären, wie so ein Traggerüst überhaupt funktioniert. "Es ist wichtig, dass das Gericht und die anderen Beteiligten ein besseres Verständnis dafür bekommen", sagt der Angeklagte und geht in die Mitte des Saales, in den Zeugenstand. Ein anderer Mann, 49 Jahre alt und mitangeklagt, steht ebenfalls auf, schließt seinen Laptop an. Und so wollen sie - die Ingenieure - den Juristen erklären, worum es überhaupt geht.
Der 59-Jährige zeigt mit einem Laserpointer auf der Skizze das Gerüst der Brücke: ein Längsschnitt, oben die Schalung, in die der Beton eingegossen wird, dazu die Joche. Es ist zu hell im Saal und er bittet den Wachmeister darum, die Jalousien herunterzufahren. Würde man es nicht besser wissen, so könnte man meinen, der Mann in dem dunkelblauen Anzug halte eine Vorlesung.
Doch es geht um ein Unglück, bei dem ein Familienvater sein Leben verlor und 14 weitere Männer teils lebensgefährlich verletzt wurden. Vor dem Landgericht Schweinfurt steht der 59-Jährige nun mit drei weiteren Ingenieuren. Der Vorwurf: fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung.
Beim Einsturz der Talbrücke Schraudenbach stirbt ein Mann, 14 weitere werden verletzt
Es ist der 15. Juni 2016. Gerade soll der dritte Fahrbahnabschnitt mit einer Länge von 42 Metern betoniert werden. 1500 Tonnen Beton sind schon eingefüllt, als das Traggerüst in sich zusammenbricht. 13 Bauarbeiter werden mit in die Tiefe gerissen, zwei weitere befinden sich am Boden unmittelbar in der Nähe. Sieben Jahre später wird noch immer nicht geklärt sein, wie es zu dem Einsturz der Talbrücke Schraudenbach bei Werneck (Lkr. Schweinfurt) kommen konnte.
Laut Staatsanwaltschaft liegt die Ursache für den Einsturz in einem Stabilitätsversagen einer Gerüststütze, eines sogenannten Joches. Verbindungselemente seien unterdimensioniert, steht in der Anklageschrift. Für die Anklagevertreter beginnt die Kette der unglücklichen Ereignisse bei einem 51-jährigen Statiker, der hätte erkennen müssen, dass seine statischen Berechnungen und die Ausführung des Trägergerüstes an der eingestürzten Stelle nicht übereinstimmten und die Konstruktion somit nicht in der Lage war, der Last standzuhalten.

Der 59-jährige, vom Freistaat Bayern betraute Prüfingenieur, soll zwar mit der Bauüberwachung und der Prüfung von Standsicherheitsnachweisen beauftragt gewesen sein, habe jedoch die Angelegenheit rechtswidrig an einen Subunternehmer – einen 65-jährigen, ebenfalls angeklagten Mann – weitergegeben. Dieser wiederum soll die Arbeit einem 49-jährigen Mitarbeiter übertragen haben. Alle drei hätten nach Ansicht der Staatsanwaltschaft die Fehler in der statischen Konstruktion erkennen müssen.
Das Hauptverfahren war 2019 ausgesetzt worden
Die Anklageschrift, die der Staatsanwalt beim Prozessauftakt vorliest, hat er teilweise schon 2019 vorgelesen. Das Hauptverfahren mit damals drei Angeklagten war bereits im November 2019 vor der Großen Strafkammer eröffnet, nach sechs Verhandlungstagen allerdings ausgesetzt worden. Der Grund: Ein neues Gutachten sollte eingeholt werden.
Jetzt ist das neue Gutachten da, doch schon gleich zu Beginn des neuen Prozesses gibt es zumindest seitens der Verteidigung der Angeklagten Probleme damit. Sie finden, das Gutachten des bestellten Sachverständigen sei aus vielerlei Gründen nicht verwertbar. Allen voran bemängeln sie eine fehlende Objektivität und Neutralität. Die Verteidigerin des 65-Jährigen spricht dem Sachverständigen aus Wien zudem die fachliche Kompetenz im Stahlbau ab. Als Professor für Betonbau habe er sich der Expertise anderer bedienen müssen. Die Staatsanwaltschaft sieht für die Ablehnung des Gutachters keinen Anlass.
Für den Anwalt des 59-Jährigen steht fest: "Ich bin der Meinung, dass von Anfang an in eine völlig falsche Richtung ermittelt wurde." Er meint damit, dass die Staatsanwaltschaft aktuell die Schuld für das Unglück bei den Planern und nicht bei der Ausführung sieht. Die Betonage hätte stetig überwacht werden müssen. "Wäre eine Überwachungsperson vor Ort gewesen, die die Verformungen ständig überprüft und dokumentiert hätte, wären die Bauarbeiten vor dem Einsturz eingestellt worden", erklärt er.
Angeklagter spricht von einem Schwarzbau
Das Traggerüst sei zudem abweichend von den Ausführungszeichnungen aufgebaut worden, erklärt der Anwalt des 59-Jährigen. Dieser selbst sagt während seines kurzen Vortrags im Zeugenstand, man hätte den Planer darüber informieren müssen, was nicht passiert sei. "Wenn Sie das nicht machen, haben Sie einen Schwarzbau", sagt der Angeklagte und schüttelt den Kopf. "Das ist schlecht."
Die Verhandlung wird am Dienstag, 14. März, um 9 Uhr in der Stadthalle Schweinfurt fortgesetzt.