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Würzburg: Psychiatrie im Corona-Modus: Erhöhter Erregungszustand

Würzburg

Psychiatrie im Corona-Modus: Erhöhter Erregungszustand

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    Für das psychiatrische Bezirkskrankenhaus Lohr (Lkr. Main-Spessart) sind 15 Neuaufnahmen am Tag normal. Daran ändert auch die Corona-Pandemie nichts. Das Bild zeigt eine akutpsychiatrische Station in Lohr. 
    Für das psychiatrische Bezirkskrankenhaus Lohr (Lkr. Main-Spessart) sind 15 Neuaufnahmen am Tag normal. Daran ändert auch die Corona-Pandemie nichts. Das Bild zeigt eine akutpsychiatrische Station in Lohr.  Foto: Daniel Peter

    In die Psychiatrie zwangseingewiesen zu werden, dürfte auch in normalen Zeiten für Betroffene eine extrem belastende Situation bedeuten. In der Corona-Zeit ähnelt die zwangsweise Unterbringung in der psychiatrischen Klinik Lohr (Lkr. Main-Spessart) aber einem Apokalypse-Filmszenario: Um Infektionsrisiken zu minimieren, tragen die Sanitäter Schutzkleidung und Atemmasken, auch begleitende Polizisten sind meist maskiert – und wenn der neue Patient dann den aufnehmenden Pflegekräften übergeben wird, treten diese ihm ebenfalls maskenverhüllt gegenüber. So schildert es Professor Dominikus Bönsch, der ärztliche Direktor des psychiatrischen Bezirkskrankenhauses Lohr. "Das muss, gerade in dieser Ausnahmesituation, sehr bedrohlich auf die Patienten wirken“, sagt Bönsch.

    Psychiatrie Lohr nimmt pro Tag zwischen fünf und 20 neue Härtefall-Patienten auf

    Zwischen fünf und zwanzig Härtefall-Patienten nimmt die Lohrer Bezirksklinik laut Bönsch jeden Tag neu auf. Daran ändert auch die Pandemie nichts. Die Corona-Krise habe Lohr getroffen in einer Zeit "extremer Überbelegung". Vor Corona sei Lohr zu 120 Prozent belegt gewesen. "Wir haben jetzt reduziert, was reduziert werden kann. Wir sagen allen Patienten ab, die nicht notfallmäßig kommen“, sagt Bönsch. Die Belegung in Lohr beträgt trotzdem noch 80 Prozent.

    Sowohl in Lohr wie auch in Werneck sind Corona-Fälle aufgetreten; betroffene Patienten konnten isoliert werden, so dass die Ansteckungskette gestoppt wurde. Das Foto zeigt ein Kriseninterventionszimmer.
    Sowohl in Lohr wie auch in Werneck sind Corona-Fälle aufgetreten; betroffene Patienten konnten isoliert werden, so dass die Ansteckungskette gestoppt wurde. Das Foto zeigt ein Kriseninterventionszimmer. Foto: Anand Anders

    Obwohl mit Blick auf den Infektionsschutz sinnvoll, rechnet Bönsch nicht mit einer weiteren zeitnahen Verringerung der Patientenzahl. "Wir sind in Unterfranken traditionell die psychiatrische Einrichtung, die die meisten Patienten mit akuten Krankheitsbildern aufnimmt“, sagt er. Allein am Vortag seien es 15 Aufnahmen gewesen. Abweisen könne man Akutfälle nicht. "Knapp die Hälfte dieser Patienten kam in Polizeibegleitung, mit richterlichem Unterbringungsbeschluss.“ Darunter seien vier Menschen gewesen, die gegen ihren Willen – und gefesselt – zwangseingewiesen werden mussten; etwa paranoide Schizophrene im akuten Erregungszustand. Die andere Hälfte der Neuaufnahmen sei "akut suizidal“. Die Frage, ob die Angst vor der Pandemie für einen Teil der Neuaufnahmen verantwortlich sei, verneint Bönsch. Bei Visiten sei die Angst vor der Krankheit häufig ein Thema, mehr Einweisungen aber verursache sie wohl nicht.

    Drei Corona-Fälle in Lohr, ein Fall in Werneck: Infektionskette gestoppt

    Um das Risiko einer Ansteckung für Klinikmitarbeiter und Mitpatienten zu mindern, werden in Lohr derzeit alle Neuaufnahmen auf Corona getestet und erst bei vorliegendem negativen Testergebnis auf die jeweiligen Stationen verteilt. Es habe in den vergangenen Wochen allerdings drei Corona-Fälle unter den Patienten gegeben: Ein Patient sei in eine andere Klinik verlegt worden, zwei weitere positiv getestete Patienten seien isoliert worden; beide seien mittlerweile genesen. Auch die psychiatrische Bezirksklinik Werneck hatte einen Corona-Fall. In beiden Einrichtungen konnte nach Aussage der Leiter die weitere Ausbreitung des Virus verhindert werden.

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    „Leider sind Tests nach wie vor Mangelware“, bedauert der Leiter des Bezirkskrankenhauses Werneck, Professor Hans-Peter Volz. Er würde Personal und Patienten gern „breit testen“, dies sei aktuell aber nicht machbar. Auf die Frage, ob die Mitarbeiter seiner Klinik genügend Atemschutzmasken und Schutzkleidung hätten, sagt Volz: "Knapp bis mäßig. Wir sind schwer am Arbeiten.“ Normale chirurgische Masken gebe es, an FFP-Masken, die das Virus aus der Luft filtern, mangele es. Ähnlich knapp steht es mit der Schutzausrüstung in Lohr. Obwohl zu Beginn der Krise der Bestand hoch war, seien mittlerweile Handschuhe  und chirurgische Masken knapp. Die psychiatrische Universitätsklinik in Würzburg meldet "bisher keine Engpässe“. Man brauche aber "dringendst Nachschub“.

    Psychiatrische Uniklinik Würzburg hat zwei Drittel der Patienten entlassen

    Anders als Lohr konnten die psychiatrische Universitätsklinik Würzburg und die psychiatrische Bezirksklinik in Werneck ihre Patientenzahl deutlich reduzieren, nämlich auf gut ein Drittel (Würzburg) oder zwei Fünftel (Werneck) der üblichen Patientenzahl. Man habe zu Beginn der Corona-Pandemie bereits Besuche eingeschränkt und Gruppentherapien ausgesetzt; unter diesen Bedingungen hätten zahlreiche Patienten von selbst keine stationäre Behandlung mehr gewollt, erklärt Professor Jürgen Deckert, der Leiter der Klinik für Psychiatrie an der Universitätsklinik Würzburg. Gerade ältere Patienten habe man, soweit möglich, entlassen, wobei die ambulante Weiterbehandlung, vorzugsweise per Telefon oder Videokonferenz, gesichert sei. Geblieben, so Deckert, seien „Schwersterkrankte“, die nun Einzeltherapien bekämen. Gleiches gilt für Werneck.

    Die forensischen Kliniken der Bezirkskrankenhäuser Lohr und Werneck sind massiv überbelegt. Das Bild zeigt die forensische Klinik in Werneck.
    Die forensischen Kliniken der Bezirkskrankenhäuser Lohr und Werneck sind massiv überbelegt. Das Bild zeigt die forensische Klinik in Werneck. Foto: Anand Anders

    Am riskantesten ist und bleibt die Situation in der Forensik. Den beiden unterfränkischen Bezirkskliniken Lohr und Werneck angeschlossen sind jeweils eigene, besonders gesicherte forensische Kliniken, Einrichtungen also, in der psychisch kranke Straftäter untergebracht sind. Die Straftäter kann und darf man nicht entlassen. "Das Problem besteht darin, dass wir schon vor der Corona-Krise eine massive Überbelegung in der Forensik hatten und jetzt nicht reduzieren können“, bestätigt Wernecks Klinikchef Hans-Peter Volz. Obwohl nur ausgelegt für 44 psychisch kranke Straftäter, müssen aktuell rund 88 Patienten in der Wernecker Psychiatrie betreut werden. "Und wenn sich drei Patienten ein Zimmer teilen müssen, das eigentlich für zwei Menschen ausgelegt ist, kann der nötige Sicherheitsabstand einfach nicht immer gewahrt werden“, sagt Volz. Man versuche, so gut es gehe, die Infektionsgefahr dadurch zu senken, dass in Schichten gegessen werde und die Leute einander nicht gegenübersitzen dürften. Optimal sei das natürlich nicht.

    Fürs Personal ist die Arbeit unter Corona-Bedingungen hochanstrengend

    Ähnlich stellt sich die Lage in der Lohrer Forensik dar. Auch hier herrscht Bönsch zufolge massive Überbelegung: In der Klinik, die für 118 Patienten gedacht ist, leben derzeit 160 Patienten. Man habe "alles an Ausgängen und Lockerungen“ zurücknehmen müssen, was es gab. Habe dem Infektionsschutz zuliebe Therapieangebote stoppen müssen, ein Besuchsverbot erhoben. Diese Situation sei höchst belastend - sowohl für die psychisch kranken Straftäter, als vor allem auch für das Personal, das Frustrationen dieser Patientengruppe auffangen müsse. "Endlos lange kann man das nicht durchhalten“, fürchtet Bönsch.

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