Monika Reichert ist sauer auf das deutsche Rentensystem: Sie hat seit der Schulzeit immer gearbeitet – in Vollzeit. Und sie hat viele Jahre lang Beiträge in die Rentenkasse einbezahlt. Doch von den 880 Euro, die sie derzeit als gesetzliche Rente erhält, kann sie mehr schlecht als recht leben. "Ich muss mit jedem Euro rechnen, damit ich über die Runden komme", sagt die 67-Jährige. Sie ist alleinstehend, hat keine Kinder - und heißt in Wirklichkeit anders. Aber in ihrem Heimatort zwischen Schweinfurt und Bamberg soll niemand von ihrer prekären finanziellen Situation wissen.
Ihr Fall ist beispielhaft für viele Frauen, die eine minimale Rente erhalten und kaum genug fürs Leben haben, obwohl sie immer berufstätig waren.
Mit 16 Jahren begann das Berufsleben
Im November 1972 begann Monika Reichert zu arbeiten - mit 16 Jahren. Sie lernte Versicherungskauffrau und arbeitete in ihrem Beruf. Bis zur vorzeitigen Rente: "Ich habe viele Überstunden gemacht, als Single wird man oft ausgenutzt", sagt Reichert. Aufgrund von starker Schwerhörigkeit, einer Krebserkrankung und anschließenden psychischen Problemen sei sie 2008, nach 36 Berufsjahren, gezwungen gewesen, in Rente zu gehen. Bis zu ihrem offiziellen Rentenbeginn im Alter von 65 Jahren und zehn Monaten habe sie nicht weiterarbeiten können.
Erwerbminderungsrenten: Früher wurden Rentenbeträge nicht hochgerechnet
"Seit meiner Erkrankung leiste ich mir gar nichts mehr", sagt Monika Reichert. Anfangs habe ihre Rente bei etwa 600 Euro gelegen. "Früher waren Erwerbsminderungsrentnerinnen und -rentner noch viel schlechter gestellt", bestätigt Steve Metz, Kreisgeschäftsführer beim Sozialverband VdK in Schweinfurt. Bei heutigen Berechnungen würden die Rentenbeträge bis 67 Jahre hochgerechnet. Im Fall von Monika Reichert wären das heute also sieben Jahre mehr. Für die Seniorin sind das etwa 200 Euro, die ihr so fehlten, erklärt Metz.
In Deutschland waren laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2022 rund 17,3 Millionen Menschen von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht - 20,9 Prozent der Bevölkerung. Davon bezogen 1,2 Millionen Personen Grundsicherung im Alter oder wegen Erwerbsminderung, sechs Prozent mehr als noch 2021.
"Ich würde nicht zum Sozialamt gehen!"
Monika Reichert, Rentnerin aus Unterfranken
Vielen bleibt nur noch der Weg zum Sozialamt. Aber hätte Monika Reichert überhaupt Anspruch auf Grundsicherung im Alter? "Vermutlich nein", sagt Steve Metz. Mit ihrer Rente von 880 Euro liege sie knapp unter der Zuteilungsgrenze von 924 Euro. "Ich würde auch nicht zum Sozialamt gehen", sagt die 67-Jährige. "Das kommt überhaupt nicht in Frage." Sie habe schließlich 36 Jahre lang gearbeitet.
Wer Anspruch auf Grundsicherung im Alter hat
Anspruch auf Grundsicherung haben laut der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Menschen, die das Eintrittsalter zur Regelaltersrente erreicht haben und ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenen Mitteln bestreiten können. Als einfache Faustregel gelte: Liegt das gesamte Einkommen unter 924 Euro, sollte man prüfen lassen, ob man Anspruch auf Grundsicherung hat.
In Bayern haben 23.277 Menschen im Jahr 2021 wegen Erkrankungen eine Erwerbsminderungsrente beantragt. Männer im Schnitt mit 54 Jahren, Frauen mit 53 Jahren. Trotz Verbesserungen bei den Zurechnungszeiten seien Bezieher von Erwerbsminderungsrenten einem besonders hohen Armutsrisiko ausgesetzt, heißt es im Rentenreport Bayern des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB). Männer bekamen im Schnitt 1002 Euro Erwerbsminderungsrente im Monat, Frauen 880 Euro.

Mit ihrer prekären Situation ist Monika Reichert also keine Ausnahme: Immer mehr Rentnerinnen und Rentner können von ihrer Rente nicht leben, zeigt der Rentenreport. 26 Prozent der über 65-jährigen Frauen in Bayern waren laut DGB im Jahr 2021 von Armut bedroht.
"Viele Frauen beantragen keine Grundsicherung, weil sie sich schämen."
Steve Metz, Berater beim Sozialverband VdK in Schweinfurt
Die Beobachtung von VdK-Berater Steve Metz: Frauen versuchten ihre prekäre Situation zu kaschieren und oft gelinge ihnen das auch. "Erst wenn die Waschmaschine kaputt geht oder man Zahnersatz braucht, bemerken viele, dass sie ihre Fassade nicht aufrecht erhalten können." Altersarmut sei immer noch ein Tabu-Thema: "Viele Frauen beantragen keine Grundsicherung, weil sie sich schämen, weil sie nicht zum Sozialamt wollen oder weil sie die Bürokratie scheuen."
Keine Restaurantbesuche, kein Kaffee mit Bekannten - und Sparen im Supermarkt
"Ich bin nicht früher in Rente gegangen, weil ich faul bin", betont Monika Reichert. "Am liebsten wäre ich gesund und würde wieder arbeiten." Es gehe ihr auch darum, ihren Stolz zu bewahren.
"Ich koche selbst, gehe nie ins Restaurant und kaufe im Supermarkt nur Sonderangebote", sagt die 67-Jährige. Selbst auf eine Bratwurst beim Dorffest oder auf einen Kaffee mit Bekannten müsse sie verzichten. Wenn sie doch mal gefragt wird, ob sie mit ins Café geht, lasse sie sich eine Ausrede einfallen. "Es ist beschämend." Kleidung und Schuhe kauft sie gebraucht in Sozialkaufhäusern. Und zum Friseur geht sie so gut wie nie.

Das Leben in Armut mache ziemlich einsam, sagt die alleinstehende Rentnerin. Kontakte pflege sie fast nur am Telefon. "Das hat zur Folge, dass man irgendwann auch das Lachen und Sprechen fast verlernt." Was Monika Reichert maßlos ärgere sei der Umstand, dass Beamtinnen und Beamte, die nie in die Rentenkassen eingezahlt haben, im Ruhestand vergleichsweise viel Geld bekommen. "Das ist nicht gerecht. Ich wünsche mir von der Gesellschaft mehr Solidarität mit Erkrankten, die aus gesundheitlichen Gründen nicht bis zur Rente arbeiten können."
VdK fordert gerechte Rente für alle Erwerbstätigen
Zur Solidargemeinschaft gehöre dazu, dass alle in eine Erwerbstätigenversicherung einzahlen, sagt auch VdK-Berater Steve Metz. "Es sind Steuergelder, mit denen die Beamtenpensionen bezahlt werden." Der VdK fordere deshalb eine gerechte Rente für alle Erwerbstätigen. "Wir wollen alle Menschen, die in Deutschland arbeiten, in die gesetzliche Rentenversicherung einbeziehen. Natürlich geht das nicht von heute auf morgen, weil den heutigen Beamtinnen und Beamten ihre Pensionszusage nicht weggenommen werden kann und darf", sagt Metz.
Für Monika Reichert istt klar: "Wir haben eine Zwei-Klassen-Gesellschaft." Gerade für alte und kranke Menschen sei dieses System so nicht mehr tragbar.
Was die Zurechnungszeit istWer früher aus dem Berufsleben ausscheidet, dem fehlen nicht nur viele Jahre bis zum regulären Altersrentenbeginn, sondern auch viele Jahre als Beitragszahler der gesetzlichen Rentenversicherung. Dies gleicht die sogenannte Zurechnungszeit aus. Dabei wird rechnerisch so getan, als ob die Person weitergearbeitet und weiterhin Rentenbeiträge gezahlt hätte. Bei Menschen, die vor dem 30. Juni 2014 vorzeitig in Rente gegangen sind, wurde die Zurechnungszeit bis zum 60. Lebensjahr gerechnet. Seit 2019 wird sie bis zum 65. Lebensjahr und acht Monaten gerechnet. Seit 2020 bis 2027 steigt die Zurechnungszeit jährlich um einen Monat, ab 2028 dann jährlich um zwei Monate bis 2031 so die reguläre Altersgrenze von 67 Jahren erreicht ist. Für Arbeitnehmer, die aktuell 2023 einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente stellen, liegt die Zurechnungszeit demnach bei 66 Jahren.Um Unverhältnismäßigkeiten gegenüber später beginnender Erwerbsminderungsrenten etwas auszugleichen, erhalten alle Personen mit Rentenbeginn zwischen 2001 bis 2018 ab Juli 2024 einen pauschalen Zuschlag zu ihrer Erwerbsminderungsrente. Bei Rentenbeginn zwischen Januar 2001 und Juni 2014: Zuschlag in Höhe von 7,5 Prozent. Bei Rentenbeginn zwischen Juli 2014 und Dezember 2018 beträgt der Zuschlag 4,5 Prozent.Quelle: Verbraucherservice Bayern
