Riesige Massivholzbalken ragen neben mir in die Höhe, über unseren Köpfen scheint sanft das Tageslicht durch die Oberlichter des Vorplatzes und vor meinen Augen erstrecken sich endlose Reihen von Büchern. Ich stehe im Untergeschoss der Schweinfurter Stadtbücherei, neben mir Anita Kaltenbach. Einen Tag lang darf ich hier den Beruf des Bibliothekars kennenlernen. Gemeinsam wandern wir durch die verschiedenen Abteilungen, vorbei an 60 000 Büchern, Zeitschriften, Spielen, Hörbüchern und DVDs.
Bei den Romanen im ersten Stock angekommen, geht es für mich auch schon an die Arbeit. Anita Kaltenbach stellt mir Anne-Cey Hölling vor. Seit Oktober 2016 arbeitet die Bibliothekarin aus Schleswig-Holstein in der Stadtbücherei. Kaltenbach erzählt, dass ihre Mitarbeiterin in Dänemark studiert hat und neben Englisch, Französisch, Spanisch und Italienisch, die Liste der Fremdsprachen im Haus um perfektes Dänisch erweitert.
Schnell schaue ich noch einmal auf meinen ausgedruckten Ablaufplan. „10 bis 11 Uhr: Bücher einräumen“, steht darauf. Das kann ich – da bin ich mir sicher – schließlich habe ich fast sechs Jahre lang sämtliche Wälzer aus der Würzburger Uni-Bibliothek herausgesucht und nach Hause geschleppt. Hölling erklärt mir das Ordnungssystem: Neuerscheinungen, Romane, Bauernromane, Krimis und Lyrik, alle mit unterschiedlichen Kürzeln versehen – „Zda“, „Zy“, „Zc“. Für mich besonders wichtig: „Zba“ und „Ro“, die Romane, denn von denen liegen am meisten auf dem Bücherwagen und warten darauf wieder an ihren Platz gestellt zu werden.
Dann bin ich mir schon selbst überlassen. Schnell merke ich, dass meine Uni-Erfahrung nicht hilft – hier hat die Signatur nach dem Buchstabenkürzel keine Ziffer, sondern die Anfangsbuchstaben der jeweiligen Autoren. Immer wieder hole ich mir Bücher vom Wagen und bahne mir meinen Weg durch die vielen Bücherregale. „Q, r, s, t“, „K, l, m, n“, nach wenigen Minuten glüht mein Kopf – aufsteigende Zahlen zu suchen geht einem dann doch leichter von der Hand.
Aber: Übung macht den Meister und so weiß ich schon nach kurzer Zeit, in welchem Regal welcher Buchstabe steht.
Sobald ich mich an das System gewöhnt habe, arbeite ich still vor mich hin und genieße die Ruhe der Bibliothek. Jetzt gibt es nur noch mich und die Bücher! Zwischen all den Werken fühle ich mich pudelwohl. Kein Wunder, dass ich mich dabei erwische, wie ich Titel um Titel im Vorbeigehen lese und das ein oder andere Buch aus dem Regal ziehe.
Seit 2007 im Ebracher Hof
In der Sachbuchabteilung im Untergeschoss erzählt Anita Kaltenbach über das Haus und seine Gäste. Schon seit 2007 befindet sich die Bücherei im Ebracher Hof. An den Umbau erinnert sich die gelernte Buchhändlerin und studierte Bibliothekarin noch gut. Über Jahre hinweg hat sie das Projekt geplant und begleitet. In der langen Zeit als Leiterin der Stadtbücherei hat sie vieles erlebt.
Täglich kommen Menschen, die Rat suchen. „Wir sehen uns als Informationsspezialisten“, erklärt Kaltenbach und erzählt von einem älteren Herren, der ein Dokument suchte, das es nur im Internet gab. „Das haben wir ihm dann natürlich ausgedruckt“, endet die Geschichte und mein Bild vom Beruf des Bibliothekars gerät ins Wanken. Morgens war ich noch davon ausgegangen, dass es hier nur um Bücher geht. Doch ein moderner Bibliothekar kann mit allen Medien umgehen.
Schnitzeljagd zwischen Büchern
An meiner nächsten Station in der Kinderbibliothek wartet Monika Oehlgardt schon auf meine Hilfe. Eigentlich soll ich hier etwas über die Abteilung lernen, doch das muss warten. Gerade ist nämlich eine Hortgruppe „eingefallen“. Fleißig haben die Ferienkinder ihre Laufzettel für die Schnitzeljagd ausgefüllt und warten nun auf ihre Preise. Kurzerhand überreicht Oehlgardt mir die Kiste mit den kleinen kuscheligen Raupen, den Maskottchen der Bücherei, und den Karton mit den Überraschungen. Während sie die Antworten kontrolliert, strecke ich unzähligen Kinderhänden die beiden Kästen entgegen.
Als dann alle glücklich sind, folgt meine erste Aufgabe: Ich sortiere die Spieleabteilung nach Altersempfehlung und versehe einzelne Kartons mit neuen Gummis. Gerade als ich fertig bin und alle Kisten fein säuberlich genau auf die Kante und an den linken Rand der Regale platziert habe, erscheint ein kleiner Bücherei-Gast und macht meine Arbeit zunichte. „Das passiert hier öfter“, sagt Monika Oehlgardt. Auch in dieser Abteilung gibt es ein Ordnungs-System. Es unterscheidet sich von dem im ersten Stock – Zahlen statt Buchstaben.
4.1 steht für das erste Halbjahr der vierten Klasse, 5.2 entspricht dem Lesealter des zweiten Halbjahres der fünften Jahrgangsstufe. Auch hier mache ich mich ans Einräumen, die Bücher immer mit dem Rücken nach oben, dass meine Arbeit im Anschluss kontrolliert werden kann. Und prompt unterläuft mir ein Fehler: Ich stelle „Pr“ vor „Pa“, weil ich den Anfang des Regals übersehe.
Die Zeit vergeht wie im Flug und schon muss ich zurück in den ersten Stock. Hier wird es technisch: Michael Maier erklärt mir am Computer, wie ich Medien zurücknehmen und verleihen kann. Mit dem Handscanner übe ich das Einlesen, bis eine ältere Dame unsere kleine Lehrstunde unterbricht. Sie ist auf der Suche nach einem Spiegelbestseller von Florian Meierott, eine Empfehlung ihrer Schwester – via WhatsApp. In Windeseile hat Maier den Roman entdeckt. Mit einem „Danke, Sie sind ja ein Goldstück“, verabschiedet sich die Dame glücklich. Erneut merke ich, dass es in einer Bücherei um weit mehr geht, als um das Buch an sich.
Station bei der Buchpflegerin
Meine nächste Station befindet sich in den Büroräumen der Bücherei. Hier treffe ich Jennette Cook. Die gelernte Kinderpflegerin hat sich vor langer Zeit auf die Stelle als „Buchpflegerin“ beworben. Zu ihrem Aufgabenbereich gehört das Folieren der neuen Exemplare. Bevor ich es selbst probieren darf, zeigt sie mir, wie es geht. In Windeseile klebt sie Signatur und literarische Gattung auf den Buchrücken, schneidet ein Stück selbstklebende Folie zurecht und packt das Buch darin ein. Das ganze geschieht so schnell, dass ich mit dem Schauen gar nicht hinterher komme.
Dann bin ich dran: Mit der Pinzette suche ich unter den vorgedruckten Aufklebern meine passende Signatur und klebe sie vorsichtig auf das Buch – schön gerade, dann festdrücken. Jetzt kommt die Folie. Was bei Jennette Cook gerade so einfach aussah, gestaltet sich schwerer als gedacht: Die große Schere will nicht so, wie ich will und das obwohl sie schon seit 30 Jahren im Einsatz ist. Doch ich gebe nicht auf und finde den richtigen Winkel, um die klebrige Folie zu durchschneiden. Mit einem Lappen streiche ich die Folie Stück für Stück glatt, vermeide lästige Luftblasen.
Konzentriert bei der Ausleihe
Nächste Station: Foyer. Dort empfängt mich Bryan Miller. Gerade hat er seine Ausbildung zum Fachangestellten für Medien- und Informationsdienste in der Stadtbücherei beendet. In der nächsten Stunde wird er mir bei jedem Handgriff zur Seite stehen. Jetzt heißt es „Showtime!“, schließlich soll Michael Maiers Lehrstunde nicht umsonst gewesen sein. Schon erscheint ein Kunde, der einige Bücher zurückbringt. Schritt für Schritt gehe ich die Rückgabe durch. Geschafft!
Nach ein paar Kunden, habe ich mir alle Klicks im System gemerkt. Ein Herr fordert mich jedoch besonders: Er bringt 29 Lustige Taschenbücher zurück. Darunter befinden sich Sonderausgaben mit Landkarten. Jetzt muss ich aufpassen und konzentriert kontrollieren. Erst wenn ich von Hand bestätigt habe, dass alles vorhanden ist, lässt mich das System weiterarbeiten. Gerade als ich fertig bin, erscheint der Sohn des Kunden, im Schlepptau hat er zwei Tragetaschen und seine Oma. Er wuchtet 40 weitere Lustige Taschenbücher auf den Tresen.