Der 9. November 1938, der Tag des Novemberpogroms, ist in der Geschichte der jüdischen Bevölkerung in Deutschland sicher einer der furchtbarsten Tage, auch in Schweinfurt. Der 9. November 2020 dagegen geht in die Geschichte der Stadt ein als ein Tag der Demokraten.
An diesem Montag nämlich reichten die SPD-Stadträtin Julia Stürmer-Hawlitschek und ihr Kollege Adi Schön von den Freien Wählern bei Oberbürgermeister Sebastian Remelé (CSU) den Antrag ein, dem 1958 gestorbenen früheren Großindustriellen Willy Sachs die Ehrenbürgerwürde posthum zu entziehen und das nach ihm benannte Fußballstadion umzubenennen. Der Antrag wird am 24. November in der Stadtratssitzung behandelt werden. Es ist zu erwarten, dass er angenommen wird, denn acht von neun im Stadtrat vertretene Parteien und Wählergruppen haben dafür unterschrieben. Die AfD hatten die Initiatoren nicht kontaktiert.
Die Forderung, Willy Sachs die Ehrenbürgerwürde zu entziehen, die ihm 1936 kurz vor seinem 40. Geburtstag der damals von den Nationalsozialisten eingesetzte Oberbürgermeister Ludwig Pösl und sein nicht demokratisch gewählter Stadtrat verliehen hatten, wird in Schweinfurt seit vielen Jahren erhoben. Vor allem die Schweinfurter Initiative gegen das Vergessen hatte sich dafür eingesetzt. Einen konkreten Antrag dafür im Stadtrat hatte es bisher aber nicht gegeben - und schon gar nicht mit einer so großen Mehrheit der Räte.

"Willy Sachs war kein Vorbild", sagt Julia Stürmer-Hawlitschek, "er war ein Täter und kein Mitläufer." Adi Schön findet, 75 Jahre nach Kriegsende sei es Zeit, diesen Fehler aus der nationalsozialistischen Vergangenheit zu korrigieren, die für die Industriestadt Schweinfurt aufgrund der kriegswichtigen Kugellagerindustrie massive Zerstörungen im Bombenkrieg bedeutete.
"Willy Sachs war kein Vorbild. Er war ein Täter und kein Mitläufer."
Julia Stürmer-Hawlitschek, SPD-Stadträtin in Schweinfurt.
Willy Sachs "war ein Nationalsozialist aus Überzeugung", schrieb der Historiker Andreas Dornheim in seinem 2015 erschienenen Buch "Mobilität und Motorisierung. Eine Unternehmensgeschichte" über die Firma Fichtel & Sachs. Seit 2001 gehört sie zum ZF-Konzern in Friedrichshafen, mit über 9000 Arbeitnehmern ist sie heute der größte unterfränkische Arbeitgeber.

Der 1896 geborene Willy Sachs, einziger Sohn des legendären Firmengründers Ernst Sachs, war Mitglied der SS, pflegte freundschaftliche Beziehungen zu hochrangigen NS-Funktionären wie dem Oberbefehlshaber der Luftwaffe, Hermann Göring, SS-Reichsführer Heinrich Himmler und dem Leiter des Reichssicherheitshauptamtes, Reinhard Heydrich. Dieser war im nationalsozialistischen Terrorregime der Hauptorganisator des Holocaust, dem über sechs Millionen Menschen zum Opfer fielen.

Der NSDAP hatte Willy Sachs eine Million Reichsmark gespendet. Er habe, so Historiker Dornheim, "aus dem roten einen braunen Betrieb" machen wollen. Als an Sachs' 40. Geburtstag in Schweinfurt das Willy-Sachs-Stadion eingeweiht wurde, waren auch Himmler und Göring zu Gast. Sachs profitierte mit seiner Firma erheblich von den Aufträgen der Nationalsozialisten während des Krieges, in seinen Werken arbeiteten unter brutaler Ausbeutung rund 4000 versklavte Zwangsarbeiter aus vielen Ländern. 1948 wurde Willy Sachs, nachdem er zwei Jahre interniert gewesen war, von der damaligen Spruchkammer als Mitläufer eingestuft.

Die Unterzeichner der Stadtratsantrags im Namen von CSU, SPD, Grünen, Freien Wählern, Linken, der FDP, proschweinfurt und der Initiative Zukunft./ödp schlagen nun vor, das Willy-Sachs-Stadion in "Sachs-Stadion" umzubenennen, um damit zu würdigen, dass die Unternehmerfamilie das Areal der Stadt stiftete. Außerdem soll dort eine Tafel über die Gründe für die Umbenennung informieren.
Es wäre nicht das erste Mal, dass eine Sportstätte in Unterfranken einen neuen Namen bekäme. 2003 unter Oberbürgermeisterin Pia Beckmann (CSU) hatte eine Initiative in Würzburg Erfolg, die Carl-Diem-Halle wurde zur s.Oliver-Arena. Der in Würzburg geborene Sportfunktionär Carl Diem war wegen seiner Nazi-Vergangenheit umstritten, er hatte unter anderem 1945 die Hitlerjugend zum Kampf gegen die anrückende Rote Armee bis in den Tod aufgerufen.
Beckmann hatte zur Umbenennung damals gesagt: "Diem blieb bis zuletzt bei seinem Credo vom Sport als Schule der Wehrertüchtigung. Er steht nicht für die Zukunft des Sports, sondern für das dunkelste Kapitel in der deutschen Vergangenheit."