Die Hadergasse kennt in Schweinfurt jeder: Zum einen, weil dort das Gefängnis seinen Standort hat – vom Volksmund aufgrund des Farbanstrichs "Villa Rosa" genannt. Vielleicht auch wegen der langen Bauzeit bei der Umgestaltung im Zuge der Altstadtsanierung. Sie dauerte von 2011 an rekordverdächtige 2250 Tage, also gut sechs Jahre.
Die Gasse machte Schlagzeilen, es gab Streit, Ärger und die, die haderten, begannen mitunter ihre Kritik so: "Es Schörschla häd' sich des auch ned gfall lass." Ja, das Schörschla. Es lebte in der Hadergasse und "garantierte bis in alle Ewigkeit den Bekanntheitsgrad der kleinen Altstadtgasse". Gesagt hat das Bernhard Kuhn, der viele Jahre und sehr zur Freude der Schweinfurter im Fasching s' Schörschla verkörperte. Aber wer war "As Schörschla vo der Hadergaß?" Einiges erfahren wir im wohl populärsten Schweinfurt-Gedicht mit diesem Titel.

Verfasst hat es ein gewisser Christian Klein, über den bis zur Buchveröffentlichung "Mei Schweinfurt is mer lieb und wart ..." – Schweinfurt und seine Heimatdichter von Edgar Lösch im Jahr 2006 fast nichts bekannt war. Lösch mutmaßt zwar, dass Klein und Schörschla identisch sind, fügt aber ein "vielleicht" an, weil ein eindeutiger Hinweis fehlt.
Es könne also auch sein, dass Klein, der selbst in der Hadergasse gelebt hat, einen Hadergässer namens Georg oder Schörschla gekannt und in Versen beschrieben hat. Denkbar sei auch, dass Klein die Figur einfach erfunden hat. Auf Christian Klein ist Lösch eher zufällig gestoßen. Bei Recherchen für sein Buch Geschichte alter Schweinfurter Gasthäuser entdeckte er im Schweinfurter Tagblatt mehrere Anzeigen, in denen Auftritte eben jenes Christian Klein im Kriegsjahr 1917 angekündigt waren. Lösch forschte weiter, und wir wissen jetzt: Der am 15. Februar 1879 im Stadtteil Fischerrain geborene Klein wohnte nach mehreren Umzügen der Familie ab 1890 in der Hadergasse.
Legendäres Gedicht über die Hadergasse
Als "wohl rechter Lausbub", so Lösch, lernte Klein also die Lebensumstände in seiner Gasse kennen, die ihn später dazu bewogen, ein legendäres Gedicht mit so wunderschönen Versen wie diesen zu schreiben: "Am allermästen hab i mei Fräd / an meiner süßen Anna, / un will mir eener mal die Gräd / beim Tanzen gar ausspanna, / na der kommt bei mir grad a racht / an die richtigen Adressen, / na dann Verrecker, dann geht's schlacht, / dann schlog i blau die Fressn."
Ein Kind von Traurigkeit war Klein also weiß Gott nicht. Er zog zwar schon in jungen Jahren nach Nürnberg, unterhielt dort ein Ensemble aus Humoristen, Vortragskünstlern und Sängern und war ein über die Grenzen Nürnbergs hinaus bekannter Humorist. Aber er blieb Schweinfurt stets verbunden, kehrte zu Auftritten etwa im Theatersaal des Stadtparks oft in seine Heimatstadt zurück. Klein starb am 27. Dezember 1950 in Nürnberg.

Das Schörschla aber lebt bis heute weiter, im Fasching, in Erzählungen, im Schweinfurter Leben. In den Anfangsjahren nach dem Zweiten Weltkrieg verkörperte Georg Rimrod – auch er im Fasching – die umjubelte Auferstehung des "Haderers" aus der kleinen Gasse. Der legendäre Schweinfurter Musikus Oskar Emmert vertonte das Klein-Gedicht vom Schörschla vo der Hadergaß, und als es etwas ruhiger ums Schörschla wurde, schlüpfte "Kuno" Kuhn in die Rolle.
Erfindung des "Schörschla" als Büttenredner bei den Antönern
Als Büttenredner der Antöner Narren, der vornehmlich die Stadtpolitik auf die Schippe nimmt, suchte Kuhn die dazu passende "gscheit daher redende Figur", wie er sich ausdrückt. Und da sei für ihn "als militanten Shepherds-Gänger" das Schörschla "naheliegend" gewesen. Dazu muss man wissen: Die Kneipe "Shepherds" mit ihrem Wirt Dieter Pickel war über Jahrzehnte der Schweinfurter Kulttreff. Sie hatte ihren Standort: klar, in der Hadergasse.
In der kleinen Gasse im Schatten der Stadtmauer stand einst der Katzenbrunnen. Sein Name sollte – wie auch der Name "Hadergasse" – daran erinnern, dass die Bewohner, meist zugezogene Bauern, mit den alteingesessenen Städtern oft "wie Hund und Katz" lebten, schreibt Hubert Gutermann in seinem Buch Alt Schweinfurt.
Genauso wenig belegt ist die vom profunden Schweinfurt-Kenner Peter Hofmann geäußerte Mutmaßung, dass "Hader" in seiner Bedeutung als abgetragenes Kleidungsstück oder Lumpen eine Rolle gespielt hat. Die Haderer, zum Beispiel Totengräber oder Bachkehrer, mussten als Angehörige des sogenannten "unehrlichen Gewerbes" am Stadtrand wohnen. Wie auch immer: Munition und Stoff für seine unnachahmlichen Verse hatte Christian Klein für sich selbst oder für das von ihm beschriebene oder erfundene Schörschla ausreichend: "Mei Muttersprach is wirkli schö, / so heimatlich, so nobl / ke Fremmer kann a Wort versteh, / wenn ich aufmach mein Schnobl. / I sog: geh har, geh rüh, geh nüh, / ihr Gäß, ihr Mäd, ihr Gstecker, / ihr schlachte Basen, ihr schlachte Karl, / ihr Sauhünd, ihr Verrecker."
Bernhard Kuhn, als Bürgerbeamter bei der Polizei in Schweinfurt bekannt und beliebt, verkörperte bis zu seiner Pensionierung 2013 stolze 15 Jahre lang diese Schweinfurter Kultfigur. "Aber noch heute nennen mich viele Leute, wenn sie mich auf der Straße sehen, ach, as Schörschla", lacht er.
Das Buch "Schweinfurter Geheimnisse" ist in Kooperation zwischen der Main-Post und dem Bast Medien Verlag erschienen. Das Buch (Hardcover) kostet 19,90 Euro, hat 192 Seiten und ist durchgehend bebildert. Erhältlich im Buchhandel oder direkt beim Verlag: bestellungen@bast-medien.de (versandkostenfrei). ISBN: 978-3-946581-81-9