Eigentlich hatte Sinan Öztürk geplant, bei dem Demonstrationszug der Gewerkschaft Verdi am Donnerstagmorgen in München mitzulaufen. "Ich hatte mich dann aber kurzfristig anders entschieden und bin wegen einiger Interviewanfragen direkt zum Kundgebungsort auf den Königsplatz gegangen", sagt der stellvertretende Landesbezirksleiter Verdi Bayern und ehemalige Bezirksgeschäftsführer im Verdi-Bezirk Schweinfurt.
Als er die Sirenen hörte und Polizeiautos vorbeifahren sah, habe er sich zunächst kaum Gedanken gemacht. "Ich dachte, es hätte vielleicht einen Verkehrsunfall gegeben. Ich hätte das niemals mit uns in Verbindung gebracht", sagt Öztürk. Was sich kurz zuvor wenige Gehminuten vom Kundgebungsort entfernt ereignet hatte, habe er erst erfahren, als der Schluss des Demozuges, bei dem rund 1500 Menschen mitgelaufen sein sollen, am Königsplatz eintraf.
Gegen 10.30 Uhr war
Laut Polizeiangaben wurden mehr als 30 Menschen verletzt – teils schwer. Auch ein Kind soll betroffen sein. Bei dem Fahrer handelt es sich um einen 24-jährigen Asylbewerber aus Afghanistan. Er soll sich legal in Deutschland aufgehalten und unter anderem als Ladendetektiv gearbeitet haben. Ermittler sehen Anhaltspunkte für eine islamistische Tat.Kundgebung in München wurde kurzfristig abgesagt
"Wir waren schockiert. Fassungslos", sagt Öztürk am Tag nach der Tat im Gespräch mit dieser Redaktion. "Wir haben uns sofort Gedanken gemacht." Was ist mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Demo, mit den Verletzten?

"Wir haben vor Ort auch entschieden, die Kundgebung nicht stattfinden zu lassen", sagt langjährige frühere Geschäftsführer im Verdi-Bezirk Schweinfurt. Er sei dann zum Tatort gelaufen, um "seinen Kolleginnen und Kollegen zur Hilfe zu kommen". Weil dort aber alles abgesperrt gewesen sei, sei er weiter zur Landesbezirksverwaltung gefahren.
Dort sei man mit der Krisenbewältigung beschäftigt gewesen. Im Gewerkschaftshaus in München werde er in den kommenden Tagen mit seinen Kolleginnen und Kollegen Gesprächsangebote für Teilnehmende des Demozugs einrichten. "Und wir klären gerade, wie wir die Betroffenen und ihre Familien finanziell mit einer Spendenaktion unterstützen können", sagt der Gewerkschafter, der seit 2022 stellvertretender Landesbezirksleiter ist.
Tat führte zu "Hass und Hetze" in den Sozialen Netzwerken
Öztürk bedauere, dass so viel über den Täter und nicht über die Opfer gesprochen werde. Und er hätte sich mehr Zurückhaltung gewünscht. Schon am Donnerstag sei die Tat für politische Zwecke ausgenutzt worden, die Sozialen Netzwerke seien "voll mit Hass und Hetze" gewesen. "Das hilft den Angehörigen, die um ihre Liebsten bangen und Hoffnung haben, dass alle wieder gesund werden und keine bleibenden Schäden haben, nicht", sagt Sinan Öztürk.

Die Gewerkschaft Verdi befindet sich aktuell in einer Tarifrunde für die rund 2,5 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen. Seit 24. Januar 2025 laufen Tarifverhandlungen. Es könne sein, dass Menschen bei zukünftigen Demozügen jetzt aus Angst fernbleiben, sagt Öztürk. Er könne es auch verstehen. Wichtig sei aber: "Wir dürfen uns nicht einschüchtern lassen." Man müsse Mut machen, nicht Angst.
Für kommende Kundgebungen sei Verdi deshalb in besonders engem Kontakt mit Polizei und Ordnungsämtern und bewerte die Sicherheitslage vor Ort individuell. "Wir wollen wachsam sein, uns von solchen Taten aber nicht verängstigen lassen", sagt der Gewerkschafter. In letzter Konsequenz könne es sein, "dass wir auch auf einige Demozüge verzichten".
So richtig Zeit, das Geschehene zu realisieren, habe er bislang nicht gehabt, sagt Öztürk am Tag nach dem Vorfall. Er sei erst spät zu Hause gewesen, habe Gefühlsschwankungen gehabt. "Es war eine emotionale Achterbahn für mich."