Die Lippen der Frau sind deutlich geschwollen. An Augen und Hals zeichnen sich Hämatome ab. Ihr Blick flackert, immer wieder stockt die Stimme, während sie erzählt. Am Freitag wurde im Prozess gegen den Kopf der Gemeinschaft "Go&Change" im Landgericht Schweinfurt ein Video der polizeilichen Vernehmung der 30-Jährigen gezeigt, die von Kai K. am 17. Mai 2023 vergewaltigt und verletzt worden sein soll.
"Wenn ich gehen wollte, hat er mich festgehalten."
Die 30-Jährige während der polizeilichen Vernehmung
In der rund eineinhalbstündigen Aufnahme, die die Kriminalpolizei einen Tag nach der mutmaßlichen Tat angefertigt hat, berichtet die Frau, was ihr in dem früheren Kloster zugestoßen sein soll, das die Gemeinschaft in Lülsfeld (Lkr. Schweinfurt) bewohnt.
Im "Wahn" habe Kai K. sie zigmal mit Hand und Faust ins Gesicht geschlagen, mehrmals gebissen, dreimal bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt und Sex mit ihr gehabt - gegen ihren Willen, wie sie in der Videovernehmung betont, auch wenn sie teilweise mitgemacht habe. "Sex mit ihm zu haben, war besser als geschlagen zu werden", erklärt sie.
Kind soll während der mutmaßlichen Tat die Tür geöffnet haben
"Ich habe nichts machen können", sagt die 30-Jährige weiter. "Wenn ich gehen wollte, hat er mich festgehalten." Ein paar Mal habe sie um Hilfe gerufen, doch entweder habe sie "niemand gehört oder es ist niemand gekommen". Nur einmal habe der Sohn von Kai K. die Zimmertür geöffnet, doch K. habe ihn weggeschickt, ohne dass das Kind die Frau hätte sehen können.

Auch wie es zu der angeklagten Tat gekommen sein soll, schildert die Frau den Polizisten. K. leide an einer Psychose, sagt sie in dem Video. Bei "Go&Change" herrsche "eine verzogene Vorstellung der Realität". Kai K., der innerhalb der Gemeinschaft den Status eines Gurus genießt, habe immer wieder Visionen gehabt. Unter anderem gebe es demnach Dämonen, "Wesen, die von außerhalb in uns einfahren", und auf der anderen Seite sogenannte Lichtwesen, zu denen Kai K. zähle, "die helfen, uns gegen die Dämonen zu wehren".
Kai K. - der "liebste Mensch, den ich kenne"
Kai K. und die Gemeinschaft hätten in der 30-Jährigen eine Anhängerin eines satanischen Zirkels gesehen, dem die Frau versprochen habe, den 42-Jährigen "zu bringen und zu opfern". Außerdem habe Kai K. ihr vorgeworfen, Kinder zu foltern und zu töten. Das alles habe sie gestehen sollen. "Er hat immer gesagt 'Erzähl!'", schildert die Frau während der Vernehmung die Situation rund um die mutmaßlichen Taten.
Gleichzeitig beschreibt sie Kai K. als den "liebsten Menschen, den ich kenne", mit dem sie "die schönste Zeit meines Lebens erlebt" habe. Jener Kai K. verfolgte das Video im Gericht meist ausdruckslos. Manchmal zeigte sich jedoch ein überraschter Ausdruck auf seinem Gesicht - so, als höre er die Vorwürfe am Freitag zum ersten Mal. Dabei deckt sich die Aussage im Video weitgehend mit den Angaben, die die Frau im März als Zeugin vor Gericht gemacht hat, und den Vorwürfen, die die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklage formulierte.
Rechtsmediziner: Verletzungen passen zu Vorwürfen
Den mittlerweile 14. Verhandlungstag verfolgten erneut rund 20 "Go&Change"-Anhängerinnen und -Anhänger im Gerichtssaal. Viele erschienen mit Block und Stift, protokollierten das Geschehen und hörten am Freitag auch die Aussage des rechtsmedizinischen Sachverständigen.

Nach dessen Einschätzung passen die dokumentierten Verletzungen der Frau zu deren Schilderungen. Am Hals der 30-Jährigen stellte der Rechtsmediziner starke Würgemale fest, auch hinter dem Ohr, was für ihn auf eine "kreislaufrelevante Strangulation" hindeutet; dadurch habe Lebensgefahr bestanden. Auf die Frage, ob der Angeklagte damit rechnen konnte, dass die Frau aus der Bewusstlosigkeit von alleine wieder aufwacht, antwortete der Gutachter: Es sei Zufall, "ob eine Person aufwacht oder nicht".
Derselbe Rechtsmediziner hat kurz nach dem Tattag auch Kai K. untersucht. Er habe Kratzspuren im Gesicht und am Körper gehabt, so der Sachverständige. Am Ende der Untersuchung habe K. behauptet, er sei von der 30-Jährigen vergewaltigt worden.
Der Prozess wird am 21. Mai fortgesetzt.