Wir haben durchgehalten, waren tapfer und haben verzichtet – zwei Pandemiejahre lang. Haben wir es uns jetzt nicht verdient, wieder ausgelassen zu feiern, zu reisen und alles nachzuholen? Viele hatten sich wohl schon auf den Sommer gefreut, auf Wein- und Volksfeste und auf fröhliche Stunden in der Gemeinschaft. Doch dann kam der Angriff Russlands auf die Ukraine und damit die nächste Krise, und das Leid der Menschen im Krieg war plötzlich ganz nah.

Wie soll man damit umgehen, wenn das schlechte Gewissen im Bierzelt so plötzlich aufploppt, wie die Push-Nachricht über eine neue Eskalationsstufe? Sollte man darauf verzichten, feiern zu gehen und das Leben zu genießen, wenn wenige Fahrtstunden entfernt Menschen durch Bomben sterben? Auch den evangelischen Pfarrer Heiko Kuschel von der Citykirche in Schweinfurt beschäftigt dieses Thema. Aktuell geht er in seinen Predigten immer wieder auf diese Fragestellung ein.
Lachen bringt gewisse Warmherzigkeit in schweren Zeiten
Durch seinen Beruf befindet sich der 44-Jährige täglich auf der schmalen Gratwanderung zwischen Freude und Leid, wie er selbst sagt. So könne es schon mal vorkommen, dass er am Vormittag schwere Worte auf einer Beerdigung finden muss und wenig später auf einer Hochzeitsfeier ist. Zwar sei das Umschalten auch für ihn nicht immer einfach, dennoch sei es ihm wichtig, Freude und Trauer in Einklang miteinander zubringen.
So versuche er, bei Trauergesprächen immer auch eine Anekdote über die verstorbene Person zu erzählen, um die Angehörigen zum Schmunzeln zu bringen. Denn: "Lachen bringt eine gewisse Warmherzigkeit in diese schweren Zeiten."
Nur wenn es mir selbst gut geht, kann ich mich darum kümmern, dass es anderen auch gut geht.
Pfarrer Heiko Kuschel aus Schweinfurt
Angesichts der Kriege auf der Welt seien positive Gedanken bedeutender denn je. Für Kuschel ist deshalb klar: Niemand sollte es sich aktuell wegen des eigenen Gewissens verbieten, die Freiheit nach den Corona-Lockerungen zu genießen. "Wer sich vor den positiven Dingen verschließt, läuft ziemlich betrübt durchs Leben – und das hilft niemanden."
Kraft ziehen aus den positiven Seiten des Lebens
Sollten wir aufgrund des Ukraine-Krieges aktuell keine Weinfeste oder Clubs besuchen und die Urlaubsreise ausfallen lassen? Pfarrer Kuschel sagt: "Nein." Auf ein Bier zu verzichten wäre nicht die richtige Konsequenz. "Nur noch mit einer Trauermiene rumzulaufen, bringt niemanden etwas und zieht nur noch mehr runter." Schließlich habe schon Jesus Christus als eines seiner ersten Wunder im Johannes-Evangelium Wasser zu Wein verwandelt. "Jesus hat dazu beigetragen, dass die Menschen fröhlich sein können", so Kuschel. Denn neben all den schlechten Nachrichten gäbe es auch viele gute Dinge, "die uns täglich widerfahren".

Und daraus könne man Kraft gewinnen, sagt der Pfarrer. Es sei wichtig, sich auch um die eigene Person zu sorgen. Im erholsamen Urlaub könne man neue Energie tanken und diese im Nachgang nutzen, um Menschen in Kriegsgebieten zu helfen. "Nur wenn es mir selbst gut geht, kann ich mich darum kümmern, dass es anderen auch gut geht", sagt Kuschel.

Ein Vorschlag von ihm: Sich bei seinen Ausgaben etwas mehr zurückhalten, vielleicht im Festzelt ein Bier oder Wein weniger trinken und das gesparte Geld spenden. Das sei eine "tolle Sache", denn: "Es bringt den Menschen in der Ukraine nichts, wenn wir hier auf alles Schöne verzichten." Spenden und Unterstützung hingegen schon.
Pfarrer Kuschel: Wir sollten weniger streng mit uns selbst sein
Am Ende müsse jeder die Entscheidung für sich selbst treffen. Wichtig sei es nur, "mit sich selbst gnädig zu sein", sich nichts zu verbieten und weder in das eine noch das andere Extrem abzurutschen, so Kuschel. Mitgefühl zu haben und zu sagen: Die Situation der anderen ist schlimm, es muss sich etwas ändern, sei genauso wichtig, wie "sich nicht vollständig davon vereinnahmen zu lassen".