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Gerolzhofen: Sorgenfalten und graue Haare: Die hohe Zahl der Kirchenaustritte treibt Gerolzhofens Pfarrer Stefan Mai um

Gerolzhofen

Sorgenfalten und graue Haare: Die hohe Zahl der Kirchenaustritte treibt Gerolzhofens Pfarrer Stefan Mai um

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    88 Frauen und Männer aus der Pfarrei Gerolzhofen sind im vergangenen Jahr aus der Kirche ausgetreten. Auf Ebene der Pfarreiengemeinschaft waren es insgesamt 121 Kirchenaustritte. Pfarrer Stefan Mai sieht einen sich rasant beschleunigenden Trend, dem die Pfarreien vor Ort kaum etwas entgegenzusetzen haben.
    88 Frauen und Männer aus der Pfarrei Gerolzhofen sind im vergangenen Jahr aus der Kirche ausgetreten. Auf Ebene der Pfarreiengemeinschaft waren es insgesamt 121 Kirchenaustritte. Pfarrer Stefan Mai sieht einen sich rasant beschleunigenden Trend, dem die Pfarreien vor Ort kaum etwas entgegenzusetzen haben. Foto: Anand Anders

    Es ist Silvesterabend. An der Schwelle zu 2023 ist auch die Zeit, um zurückzublicken auf das zu Ende gehende Jahr. Und das fällt Pfarrer Stefan Mai während dieses Jahresschlussgottesdienstes besonders schwer. Die Gläubigen in der Stadtpfarrkirche hören das an einer bestimmten Stelle der Jahresstatistik an seiner Stimme, dann, als er zur Zahl der Kirchenaustritte kommt. 88 Frauen und Männer in Gerolzhofen und Rügshofen haben im Jahr 2022 die katholische Kirche verlassen. "Als Pfarrer habe ich Sorgenfalten im Gesicht und bekomme graue Haare", hat Mai hierzu während seiner Predigt an Silvester gesagt.

    Seitdem ist einige Zeit vergangen. Graue Haare hat Mai ohnehin, die werden auch nicht mehr verschwinden. Doch Sorgenfalten umspielen das Gesicht des 68-Jährigen auch jetzt noch, als er im Pfarrhaus am Esstisch sitzt und im Gespräch mit dieser Redaktion einen Einblick gewährt, in das, was diese Negativstatistik mit ihm macht, und wie er sich persönlich diesen Schwund von Kirche vor Ort erklärt.

    Jede Pfarrei der Pfarreiengemeinschaft betroffen

    Von den Kirchenaustritten ist nicht nur die Pfarrei Gerolzhofen betroffen. In Oberschwarzach sind vergangenes Jahr zwölf Menschen aus der katholischen Kirche ausgetreten, in Frankenwinheim waren es elf, in Schallfeld fünf, in Lülsfeld vier, und in Brünnstadt war es ein Austritt. So sagen es die Zahlen, die das Einwohnermeldeamt dem Pfarrbüro übermittelt hat. Keine Pfarrei in der Pfarreiengemeinschaft "St. Franziskus am Steigerwald" blieb verschont. Aus der Kirche auszutreten, scheint im Trend der Zeit zu liegen.

    Pfarrer Mai schmerzt dies, das ist ihm anzusehen. In seiner Predigt an Silvester hat er von einem "Stich ins Herz" gesprochen, den er bei jedem Austritt verspüre. Für Mai ist dies keine hohle Floskel. Er, der in einer Bauernfamilie aufgewachsen ist und sich immer noch gerne als "Bauernbua" bezeichnet, ist bodenständig. Und die Scholle, die er als Mann der Kirche bestellt und wo er verwurzelt ist, erodiert. Das macht ihn das hilflos, weil er darauf keinen direkten Einfluss hat.

    Nicht nur Gerolzhofen ist betroffen

    Er hat das Bild des Sämanns vor Augen, das vor ihm gerahmt an einer Wand hängt. Ein Bauer sei es gewohnt, nach der Aussaat zu hoffen, dass die Ernte gut wird. Er weiß: Vieles liegt nicht in seiner Hand. Trotz allen Mühens bleibe oft nur das Hoffen. "Doch das Wörtchen ,umsonst‘ soll da nicht vorkommen", sagt Mai. Er ist davon überzeugt, dass es auch nicht sichtbaren Erfolg gibt – auf dem Acker wie auf dem Feld, das er als Geistlicher bestellt. Nur derzeit habe er das Gefühl, "dass die Kirche derzeit auf Beton sät", sagt Mai ernüchtert.

    Die Saat der Kirche fällt viel zu oft auf nicht fruchtbaren Boden, stellt der Gerolzhöfer Pfarrer Stefan Mai fest. Hinter ihm, an der Wand, hat er nicht zufällig das Bild  eines Sämanns hängen.
    Die Saat der Kirche fällt viel zu oft auf nicht fruchtbaren Boden, stellt der Gerolzhöfer Pfarrer Stefan Mai fest. Hinter ihm, an der Wand, hat er nicht zufällig das Bild  eines Sämanns hängen. Foto: Anand Anders

    So begegnet der Gerolzhöfer Pfarrer dem Sturm, der der katholischen Kirche entgegenbläst. Es stürmt nicht nur in Gerolzhofen, sondern in allen Pfarreien und Bistümern. Und der Sturm hat, wenn man ihn an der Zahl der Kirchenaustritte bemisst, an Intensität zuletzt nochmals zugelegt hat. In den Jahren davor, sagt Mai, waren es mal gut 30 Kirchenaustritte, dann mal 50 – doch dreistellig wie im vergangenen Jahr war die Zahl der Austritte auf Ebene der Pfarreiengemeinschaft noch nie.

    Auch Bistum Würzburg verzeichnet hohe Austrittszahlen

    Auf Ebene des Bistums Würzburg liegen noch keine absoluten Zahlen für das zurückliegende Jahr vor. Diese werden erst Mitte des Jahres veröffentlicht, heißt es in der Pressestelle des Bischöflichen Ordinariats auf Nachfrage dieser Redaktion. Doch bereits im Jahr 2021 wurden im Bistum Würzburg 10.567 Austritte verzeichnet, fast 50 Prozent mehr als im Jahr davor. Es darf davon ausgegangen werden, dass die Zahlen für 2022 nochmals höher ausfallen werden.

    "Wenn ein Tabu gebrochen ist", so erklärt sich der Gerolzhöfer Pfarrer den Anstieg, "dann nimmt das rasant zu." Früher hätten sich viele Menschen einfach als Teil der Volkskirche gefühlt. Die Zugehörigkeit zur Kirche und den damit verbundenen Wert hätten sie selten ernsthaft hinterfragt. Das sei jetzt anders. Die Kirche ist längst keine feste Burg mehr in der Gesellschaft. Seitdem sie bei vielen Themen – allem voran durch den von Geistlichen begangenen sexuellen Missbrauch und den innerkirchlichen Umgang damit – eigenen moralischen Ansprüchen selbst nicht standgehalten hat, kommt es bei immer mehr Gläubigen zu einem radikalen Bruch mit "ihrer" Kirche.

    Die Skandale schädigen den Ruf der Kirche

    Dies stellt Pfarrer Mai ständig fest. "Die Missbrauchsskandale werden immer wieder genannt", sagt er. Er erzählt von Gesprächen, die er mit Menschen führt, die aus der Kirche ausgetreten sind. Doch die Verfehlungen kirchlichen Personals seien bei Weitem nicht der alleinige Grund zum Austritt. Mai nennt als weiteres Beispiel das "völlig veraltete Bild von Sexualität", das die katholische Kirche noch immer vertritt. Ebenso schrecke viele das Frauenbild der Kirche ab oder deren Einstellung gegenüber homosexuellen oder queeren Menschen. Auch an der fehlenden Gastfreundschaft störten sich immer wieder Menschen.

    Jemand, der aus der Kirche austritt, der hat zuvor meist einen längeren Prozess der Entfremdung mit der Kirche durchlaufen, so Mais Erfahrung. Dann brauche es oft nur eines weiteren Zündfunkens, etwa das Bekanntwerden der Machenschaften des Limburger Bischofs Franz-Peter Tebartz-van Elst vor einigen Jahren oder im vergangenen Jahr der fragwürdige Umgang des Kölner Kardinals Rainer Maria Woelki mit einem Missbrauchsgutachten, um zum Standesamt zu gehen und den Austritt aus der Kirche zu erklären. Die Pfarrei erfahre von diesem Schritt dann erst im Nachhinein, wenn der Austritt vollzogen ist.

    Stolz auf das Gute durch die Kirche

    Ein einziges Mal habe er es als Pfarrer bislang erlebt, dass sich eine Jugendliche an ihn gewendet hat, als sie mit sich und dem Austritt aus der Kirche noch gerungen hat. Die junge Frau habe die Kirche vor Ort als durchaus positiv erlebt, schildert Mai. Und sie habe auch eingeräumt, dass die Gesellschaft ärmer würde, gäbe es die Kirche nicht. Doch an ihrem Entschluss, der Kirche dennoch den Rücken zu kehren, habe sich letztlich nicht rütteln lassen. "Die großkirchliche Wetterlage macht einen machtlos vor Ort", beschreibt Mai das Problem. Dagegen kämen auch die engagierten Frauen und Männer in der Pfarrei und deren innovative Ideen und Aktionen, Kirche lebendig und attraktiv zu gestalten, die er in Gerolzhofen und in der restlichen Pfarreiengemeinschaft erlebe, nicht an.

    Gerade in Gerolzhofen geben sich die Aktiven in der Pfarrei viel Mühe, mit neuen Ideen Menschen für Kirche zu begeistern, wie mit der seit Jahren stattfindenden Aktion "Kirchen(t)räume", bei der dieses Bild im Jahr 2019 entstand.
    Gerade in Gerolzhofen geben sich die Aktiven in der Pfarrei viel Mühe, mit neuen Ideen Menschen für Kirche zu begeistern, wie mit der seit Jahren stattfindenden Aktion "Kirchen(t)räume", bei der dieses Bild im Jahr 2019 entstand. Foto: Jochen Fehlbaum

    Überhaupt registriert der Pfarrer es immer wieder, dass gerade Menschen, denen ihr Glaube viel bedeutet, aus der Kirche austreten. Nicht nach irgendeinem Ärgernis, sondern nach einem langen Prozess, in dem diese sich auch mit ihrem Glauben und ihrem Verständnis von Gott intensiv auseinandersetzen. Und trotzdem – oder gerade deshalb – wählen sie dann meist den Weg, ihr Leben  als Christ ohne kirchliche Bindung weiterzuführen.

    Kirchensteuer spielt keine zentrale Rolle

    Eine geringere Rolle, als man vielleicht glauben mag, spielt Mais Einschätzung nach des Aspekt der Kirchensteuer, die sich diejenigen, die aus der Kirche austreten, sparen möchten. Er berichtet von einem jungen Mann, der, als in seiner Familie Nachwuchs gekommen ist, wieder in die Kirche eintrat, weil er seinen Kindern die Werte, die die Kirche in seinen Augen vertritt, vermitteln möchte. Zuvor war dieser Mann, wie er Mai gegenüber zugegeben hat, vor allem deshalb aus der Kirche ausgetreten, weil er Geld sparen wollte.

    Dass die Rückkehr verloren gegangener Schäfchen in die kirchliche Herde absolute Ausnahmen sind, weiß Mai. Denn die Entscheidung, aus der Kirche auszutreten, "steht wahrscheinlich so fest und endgültig", dass es da "nichts mehr zu überlegen gibt". So drückt er es in dem Brief aus, den er in nächster Zeit an alle diejenigen in der Pfarreiengemeinschaft schicken wird, die im Jahr 2022 aus der Kirche ausgetreten sind. Mai gibt darin zu, dass seine Kirche "viel Dreck am Stecken" hat. Dennoch schreibt er auch vom Stolz, den er verspürt, wenn er daran denkt, wie die Kirche sich weltweit für Gerechtigkeit einsetzt und gegen Hunger und Krankheit kämpft. Und auch hierzulande leiste Kirche in Krankenhäusern, Kindergärten, Altenheimen, Beratungsstellen und sozialen Einrichtungen viel Gutes für Menschen.

    Wäre die Welt eine bessere ohne Kirche?

    "Wäre die Welt eine bessere, wenn von heute auf morgen Kirche mit allem, was dazugehört, verschwinden würde?" Diese Frage stellt Mai in dem Brief. Sie beschäftigt ihn ernsthaft. Und er bittet die Ausgetretenen darum, fair zu bleiben und nicht zu übersehen, was in einer "durch und durch verbeulten Kirche täglich Gutes in unserer Gesellschaft geschieht".

    Ein wichtiges Anliegen ist dem Gerolzhöfer Pfarrer auch, dass jede und jeder sich über die Konsequenzen eines Kirchenaustritts im Klaren ist. Denn unter anderem bedeutet dies auch, dass der- oder demjenigen eine kirchliche Beerdigung versagt bleibt. Denn sobald jemand aus freiem Willen die Kirche verlässt, müsse er davon ausgehen, dass dieser Wille auch über den Tod hinaus gilt. Und diesen Willen nehme er als Pfarrer ernst, sagt Mai. Er kann nur appellieren, diese Konsequenz auch mit den womöglich weiter kirchlich gebundenen Angehörigen zu besprechen. Denn gerade von diesen erhalte er nach Beerdigungen oft intensive, positive Reaktionen auf den vollzogenen würdigen Abschied, der den Verstorbenen nochmals als Menschen herausgestellt hat.

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