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Schweinfurt: SOS Industriestadt, Galeria-Kaufhof zu, Josef-Krankenhaus schließt: Wie groß sind die Sorgen bei OB Sebastian Remelé?

Schweinfurt

SOS Industriestadt, Galeria-Kaufhof zu, Josef-Krankenhaus schließt: Wie groß sind die Sorgen bei OB Sebastian Remelé?

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    "Die Krisen überlagern sich": Schweinfurts Oberbürgermeister Sebastian Remelé spricht darüber, welche Zukunft und Herausforderungen er für Schweinfurt angesichts des Arbeitsplatzabbaus in der Industrie sieht.
    "Die Krisen überlagern sich": Schweinfurts Oberbürgermeister Sebastian Remelé spricht darüber, welche Zukunft und Herausforderungen er für Schweinfurt angesichts des Arbeitsplatzabbaus in der Industrie sieht. Foto: René Ruprecht

    Hunderte Arbeitsplätze werden in der Schweinfurter Großindustrie abgebaut, die Galeria-Kaufhof-Filiale steht leer und die Stadtgalerie hat Schwierigkeiten, neue Mieter anzuziehen. Dazu kommt die Ankündigung, dass das Krankenhaus St. Josef Ende des Jahres schließt. Welche Antworten der Schweinfurter Oberbürgermeister Sebastian Remelé (CSU) auf die vielen Fragen zur Zukunft der Stadt hat, erklärt er in einem exklusiven Gespräch mit dieser Redaktion.

    Herr Oberbürgermeister, die Queen in England verkündete 1992 ein „Annus horribilis“, ein schreckliches Jahr. Das Jahr 2024 ist bisher sicher keines, auf das sie gerne zurückblicken, oder?

    Sebastian Remelé: Im ganzen Land ist viel Negatives passiert und es scheint so zu sein, dass sich die Krisen nicht mehr ablösen, sondern überlagern. Das Auffälligste ist, dass sich diese Krisen nicht mehr nur an den Rändern des Kontinents abspielen oder in der großen deutschen Politik, sondern auch ihren Niederschlag in den Städten und im Alltag der Menschen finden. Die Bürger selbst merken, dass sich ihr eigenes, privates, vielleicht auch bisher beschauliches Leben verändert hat. Ich würde im Grunde bis 2015 zurückblicken, wenn es darum geht, Krisen zu managen. Damals setzte eine für Schweinfurt völlig unbekannte Flüchtlingswelle ein, die es zu bewältigen und zu verwalten gab. Seitdem, mit einigen ruhigen Abschnitten, sind wir aus der Krisenmoderation nicht herausgekommen. Bekanntlich erreichte uns 2020 Corona, gefolgt vom Ukraine-Krieg. Alles Ereignisse, die sich bis in eine Mittelstadt wie Schweinfurt bemerkbar machen. Wir haben seither mit einer Verkettung von großen Aufgaben zu kämpfen.

    "Ich teile mit der IG Metall die Sorge, dass der Industriestandort Deutschland mittelfristig in eine Schieflage gerät, aus der es schwer ist herauszukommen."

    Oberbürgermeister Sebastian Remelé (CSU)

    Was dachten Sie, als die Gewerkschaft IG Metall mit "SOS Industriestadt" aufwartete? Panikmache oder berechtigte Sorge?

    Remelé: Beides. Der Funkspruch SOS zeigt ja an, dass ein Schiff sinkt und nicht mehr gerettet werden kann, wenn man das wörtlich nimmt. Das ist, finde ich, Panikmache, die uns nicht beherrschen sollte. Die Aussage, die dahintersteht, ist aber sehr ernst zu nehmen. Die Sorge, die ich mit der IG Metall teile, ist, dass der Industriestandort Deutschland mittelfristig in eine Schieflage gerät, aus der es schwer ist herauszukommen. Es zeichnet sich immer mehr ab, dass sich die deutsche Exportwirtschaft schwerer tut, gute Produkte herzustellen, die nicht nur innovativ, sondern auch konkurrenzfähig sind. Das war lange ihre Stärke. Andere Industrienationen sind nicht mehr schlechter, aber möglicherweise günstiger. Mit diesem Problem müssen sich alle großen Unternehmen auseinandersetzen. Hinzu kommen weitere Schwierigkeiten wie hohe Energiepreise, unglaubliche bürokratische Aufwände, Fachkräftemangel und Rohstoffbeschaffung.

    Bei einer Kundgebung der Gewerkschaft IG Metall am 18. April kamen mehr als 5000 Menschen auf den Marktplatz, um vor dem Abbau von Arbeitsplätzen in der Industrie zu warnen.
    Bei einer Kundgebung der Gewerkschaft IG Metall am 18. April kamen mehr als 5000 Menschen auf den Marktplatz, um vor dem Abbau von Arbeitsplätzen in der Industrie zu warnen. Foto: Josef Lamber

    Wie groß ist die Abhängigkeit Schweinfurts von den Industriearbeitsplätzen?

    Remelé: Diese Arbeitsplätze haben zwei wesentliche Aspekte für die Stadt. Zum einen die Gewerbesteuereinnahmen, die diese Arbeitsplätze für die Stadt generieren. Bereits 2019 begann hier der Umbruch. Das ist das Jahr, in dem die Großindustrie bereits in ungeahntem Ausmaß keine Gewerbesteuer mehr entrichten konnte. Im Grunde wurde unser Gehalt als Stadt von heute auf morgen um die Hälfte gekürzt. Das zieht sich bis jetzt, ich habe auch wenig Hoffnung für 2025. Es ist ein Bein, das man uns da wegreißt. Wir müssen uns daher jedes neue Vorhaben dreimal überlegen, ob es zukunftsweisend und somit zu rechtfertigen ist. Der andere Aspekt ist die durch diese Arbeitsplätze generierte Kaufkraft für die Stadt und das Umland. Wir reden hier von vielen Millionen Euro im Jahr, die bei Wegfall von Arbeitsplätzen der ohnehin kaufkraftschwachen Region zusätzlich fehlen würden – mit allen Auswirkungen auf den Handel, Handwerk und andere Gewerbezweige.

    Was kann man als OB, was kann die Stadt grundsätzlich tun? Die kritisierten Rahmenbedingungen werden bekanntlich an anderer Stelle entschieden?

    Remelé: Die Betriebe sagen seit Jahren das Gleiche. Sorgt für ein gutes Umfeld für unsere Beschäftigten. Günstiger Wohnraum, Kindergärten, Schulen, Freizeit- und Sport-Angebote, intakte Infrastruktur. Eine Daueraufgabe. Wir sehen jetzt einen zweiten Auftrag: Vernetzung und Zusammenführen der vorhandenen Kräfte. Damit meine ich die Großindustrie, den Mittelstand, unsere THWS. Deshalb entwickeln wir seit 2014 die Ledward Kaserne zu einem Wissens-Campus, der das am Ort vorhandene Wissen bündelt und die Atmosphäre schafft, in der sich junge Gründer begegnen und angesteckt von diesem Geist den Weg in die Selbständigkeit finden. Das ist eine Chance, aber wir brauchen einen langen Atem. Es wird nicht die schnelle Lösung auf die Fragen unserer Zeit sein, aber ein kleiner Baustein.

    "Mir ist klar geworden, dass selbst der Freistaat nicht wirkmächtig genug ist, um die Schlüsselfragen der Industrie zu lösen."

    Oberbürgermeister Sebastian Remelé (CSU)

    Fühlen Sie sich von Bund und Freistaat als Kommune genügend unterstützt?

    Remelé: Ich habe sowohl mit dem Ministerpräsidenten als auch mit dem bayerischen Wirtschaftsminister über die Situation gesprochen und gemerkt, wie sehr man Schweinfurt auf dem Schirm hat. Ich weiß auch, dass es längst Drähte zwischen den Unternehmen und der Staatskanzlei gibt. Aber mir ist klar geworden, dass selbst der Freistaat nicht wirkmächtig genug ist, um die Schlüsselfragen der Industrie zu lösen. Zum Beispiel die Energiepreise. ZF oder SKF vergleichen die einzelnen Standorte weltweit miteinander und bei diesem Leistungsvergleich fallen wir, was Strompreise, Lohnstückkosten, Umweltauflagen und Arbeitszeiten betrifft, immer negativer auf. Die Herausforderungen sind so groß, dass sie der Freistaat alleine nicht stemmen kann. Die Schlüsselfragen müssen auf Bundes- bzw. auf europäischer Ebene gelöst werden.

    Wenn sich die finanzielle Situation der Städte so weiterentwickelt, werden wir über vieles nachdenken müssen, was wir heute nicht zu denken wagen. Wir werden in vieler Hinsicht Abstriche machen müssen, heute Selbstverständliches infrage stellen. Das beginnt beim Straßenausbau und endet möglicherweise bei den Freizeit- und Kulturangeboten. Wir müssen uns eventuell stärker damit befassen, was Pflichtaufgaben sind und was freiwillige Aufgaben, die wir uns leisten können und wollen. Ich hoffe, dass wir auch diese Krisen überwinden. Ich befürchte aber, dass die satten Jahre eines ausschließlich zunehmenden Wohlstandes vorbei sind.

    Sind die satten Jahre des zunehmenden Wohlstands vorbei? Oberbürgermeister Sebastian Remelé macht sich aufgrund der anhaltenden Krisen der vergangenen Jahre darüber sorgen, was die Stadt selbst noch leisten kann an freiwilligen Aufgaben.
    Sind die satten Jahre des zunehmenden Wohlstands vorbei? Oberbürgermeister Sebastian Remelé macht sich aufgrund der anhaltenden Krisen der vergangenen Jahre darüber sorgen, was die Stadt selbst noch leisten kann an freiwilligen Aufgaben. Foto: René Ruprecht

    Gibt es aus Ihrer Sicht auch Hausaufgaben, die die Firmen nicht erledigt haben?

    Remelé: Unsere Firmen haben die gleichen Orientierungsschwierigkeiten, wie die Bevölkerung selbst. Bei der ausgerufenen Energie- und Mobilitätswende auf den Bau von Windradgetrieben und Elektromotoren zu setzen, drängte sich auf. Nur leider verkaufen sich gerade diese Produkte wie sauer Bier. Die Industrie muss sich auch überlegen, ob die Freisetzung von hoch qualifizierten Arbeitskräften aus einer Krisenstimmung heraus die richtige Reaktion ist. Die Bundesagentur für Arbeit hat ein sehr interessantes Programm zur Weiterbildung und Schulung der Mitarbeiter, was aber leider teilweise auch an den Mitarbeitern selbst scheitert, wenn diese das Angebot nicht annehmen.

    Ich befürchte aber, dass die satten Jahre eines ausschließlich zunehmenden Wohlstandes vorbei sind.

    Oberbürgermeister Sebastian Remelé (CSU)

    In Schwierigkeiten ist nicht nur die Industrie, sondern auch der Einzelhandel. In der Stadtgalerie stehen gut 30 Prozent der Flächen leer, die Galeria-Kaufhof-Filiale wurde geschlossen. Wie kann die Stadt helfen?

    Remelé: Bei Galeria Kaufhof bin ich optimistisch, dass ein Investor gefunden wurde, der hoffentlich bald das Gebäude erwirbt. Wir sind in sehr ernsthafte Verhandlungen. Wenn er die präsentierten Pläne umsetzt, wird es etwas Innovatives und Sinnvolles für die Innenstadt.

    Noch in diesem Jahr?

    Remelé: Entscheidend ist, dass in diesem Jahr der Eigentumswechsel vollzogen wird. Alles andere muss man dem Investor überlassen. Aber das politische Signal in diesem Jahr würde ich als ausgesprochen hilfreich und wertvoll empfinden.

    Und das Thema Stadtgalerie?

    Remelé: Uns liegen Pläne vor, wie man sie umgestalten will. Der Ball liegt beim Eigentümer, denn für diese Pläne muss der Bebauungsplan geändert werden. Das wird im Stadtrat zu Recht eine Debatte auslösen. Es wäre ein Paradigmenwechsel weg vom klassischen Einzelhandel hin zu mehr medizinischen Angeboten.

    Vor allem muss man im Blick haben, dass es bald ein leerstehendes Krankenhaus St. Josef gibt, wo man all das auch machen könnte.

    Remelé: Richtig, allerdings brauchen sie in beiden Fällen einen Investor. Zunächst ist für einen Leerstand ja der Eigentümer zuständig. Wenn man sich manche Leerstände in der Innenstadt auch von innen anschaut, kann man sie nicht mal mehr als Rumpelkammer verwenden. Wir können als Stadtverwaltung nicht all diese Leerstände erwerben und sinnvoll befüllen. Das überfordert unsere Kräfte.

    Seit Anfang Juli haben Sie keinen Amtsleiter in der Wirtschaftsförderung mehr, weil Thomas Herrmann nach Würzburg wechselt. Eine große Belastung?

    Remelé: Der Stadtrat hat im vergangenen Jahr vorgegeben, ein Gutachten erstellen zu lassen, wie man die Wirtschaftsförderung auf andere Füße stellt. Vor der Beschlussfassung im September ist es nicht sinnvoll auszuschreiben. Sucht man einen Amtsleiter, einen Referatsleiter, den Geschäftsführer einer GmbH oder den Leiter eines Eigenbetriebs?

    "In Krisenzeiten, wenn der Wind uns hart ins Gesicht bläst, sollte der Platz des Oberbürgermeisters auf der Kommandobrücke sein."

    Oberbürgermeister Sebastian Remelé (CSU)

    Was ist ihr favorisiertes Modell?

    Remelé: Gleich welches rechtliche Konstrukt man wählt oder wo das Amt untergebracht ist, lebt es sehr von der Persönlichkeit und Qualität der neuen Amtsleitung. Man darf aber in diese Person auch nicht die allerhöchsten Erwartungen setzen, denn auch der neue Amtsleiter wird nicht die Probleme der Großindustrie lösen. Er wird keinen Einfluss auf den Fachkräftemangel, das Kaufverhalten der Bürger oder die Energiepreise haben. Natürlich lebt das Amt von dem Auftritt des Amtsleiters, seiner Kommunikationsfähigkeit, den Netzwerktalenten und den Verbindungen nach außen. Es setzt Erfahrung und ein gewisses Charisma voraus.

    In eindreiviertel Jahren sind Kommunalwahlen, haben Sie noch Kraft für eine weitere Amtszeit?

    Remelé: In Krisenzeiten, wenn der Wind uns hart ins Gesicht bläst, sollte der Platz des Oberbürgermeisters auf der Kommandobrücke sein, um im Bild zu bleiben. Aber natürlich bleiben die schnellen Veränderungen, großen Herausforderungen und auch persönlichen Anfeindungen nicht ohne Spuren. Hier hilft mir meine 14-jährige Erfahrung in guten wie in schweren Zeiten und ich freue mich mal zunächst, dass auch in Schweinfurt Zukunft stattfindet, wenn ich an die vielen Projekte denke, die wir gerade auf den Weg bringen, wie z.B. die Generalsanierung des Theaters, den Bau eines Kindergarten- und Schulzentrums in Bellevue, die Entsiegelung des Schelmsrasen und die Neuerrichtung des Wertstoffhofes.

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