„Wir sagen nicht nein!“, antwortet Nadja Bauer auf die Frage, ob ihr Deutschkurs offen für jeden sei. Seit 15 Jahren schon leitet sie die Sprachangebote unter dem Dach des Evangelischen Frauenbundes in der Gemeinschaftsunterkunft Wilhelmstraße. Waren es anfangs nur Aussiedler aus Russland, finden sich heute auch Menschen aus anderen Ländern im Klassenzimmer ein. Sehr heterogen könne das mitunter sein, sagt die erfahrene Lehrkraft. Und wenn Anfänger auf weit fortgeschrittene „Stammschüler“ treffen, „dann muss ich mir was einfallen lassen“.
Für diesen Montag war eine Wort gestützte Bildergeschichte vorzubereiten. Mehrere Teilnehmer formulieren mündlich oder lesen ihre Texte vor. Nadja Bauer spart nicht mit Lob, gibt kleine Hilfen, korrigiert freundlich, aber bestimmt. „Es klappt doch!“ ermutigt sie einen älteren Herrn.
Diktat: Heute kämpfen hier nur sechs Schüler mit den Wörtern, dem Tempo und der Schrift, oft sind es dreimal so viele. Bauer spricht akzentuiert, alle Feinheiten sind gut zu hören. Dann ist Selbstkontrolle angesagt. Die Lehrerin, selbst Deutsche aus Russland, gibt individuelle Hinweise und bespricht Fehler, die bei allen auftauchen.
Ausflug in die Grammatik: Im Russischen gibt es nur eine Vergangenheitsform, im Deutschen leider drei. Dann eine Tafelanschrift zum Thema Imperativ: Nadja Bauer verfügt über ein reiches Repertoire an didaktisch-methodischen Arbeitsweisen.
Alltagshilfe für Zuzügler
Völlig anders die Situation für Ana Schmadl. Vor zwölf Jahren kam sie aus dem EU-Land Rumänien nach Schweinfurt, erlebte dabei, wie schwer es ist, die Sprache nicht zu verstehen und keine Hilfen angeboten zu bekommen. Seit einem Jahr widmet sich die zierliche junge Frau mehrmals pro Woche intensiv der Hilfe für ihre Landsleute, gibt ehrenamtlich Deutschunterricht und begleitet die Zuzügler auch im Alltag.
Schnell ist der kleine Raum beim Frauenbund in der Krummen Gasse überfüllt, auch sonst reicht der Platz oft nicht. Auf dem Tisch liegen Bildwörterbücher, Übungsgrammatiken, Lehrwerke. Eine Aufwärmrunde zur Verbkonjugation, Sätze werden formuliert, kleine Dialoge gespielt. Einige können schon komplexe Sätze bilden, aber auch eine Mutter mit ihren Kindern ist da, die erst seit drei Wochen in Deutschland ist und über keinerlei Sprachkenntnisse verfügt.
Eine finanzielle Entlohnung erwartet sie nicht, nur ein Danke
Dann taucht die erste Bitte auf: Eine Familie reicht Ana Schmadl den Brief einer Krankenkasse – worum geht es denn hier? Jetzt ist die Alltagshelferin gefragt. Wohnungen hat sie schon besorgt, Ärzte mit rumänischen Sprachkenntnissen für ihre Schützlinge gesucht, Kindergartenplätze gefunden, Behördenkram besprochen und erledigt. „Ich freue mich immer so, wenn wir für jemanden einen Job gefunden haben!“, ruft sie temperamentvoll. Hilfe zur Selbsthilfe will sie geben, ihr Ehemann unterstützt sie dabei nach Kräften. Eine finanzielle Entlohnung erwartet sie nicht: „Ich will mit dem Herzen geben!“, aber dass das Engagement von Ehrenamtlichen durch die Empfänger Wert geschätzt wird, gehöre auch dazu, findet sie.
Turbulent geht es auch im Interkulturellen Begegnungszentrum für Frauen (IBF) in der Oberen Straße zu. Einige Frauen und zwei Männer treffen an diesem Morgen ein; Kinderwägen, Babys, Kleinkinder füllen den Raum. Die Erwachsenen haben einen Platz in einem der Deutschkurse im IBF ergattert; lang ist die Warteliste. Sehr unterschiedlich seien die individuellen Voraussetzungen, so die Mitarbeiterin der Kontaktstelle für Migranten, Jasmin Khalifa. Hierher kommen Analphabeten genauso wie der Arzt, alle möglichen Nationalitäten, alle Altersstufen. Ab und zu schauen auch Ehemänner vorbei und überzeugen sich, dass ihre Frauen tatsächlich Sprachunterricht nehmen.
"Wir holen jeden da ab, wo er steht."
Karin Drexl war bis vor wenigen Monaten am Staatlichen Beruflichen Schulzentrum Alfons Goppel in Schweinfurt als Lehrkraft für Pflege und Pflegetheorie tätig. Im Rentenalter bringt sie nun als Ehrenamtliche ihre Erfahrung ein, unterrichtet mehrmals in der Woche. „Wir holen jeden da ab, wo er steht“, sagt Drexl und beginnt mit einem Dialogspiel zum Thema Wochentage und Arbeit. Vorher versucht sie die Kinder zur Ruhe zu bringen. Höflich, fast respektvoll ist der gemeinsame Umgangston.
Leseübung im Lehrbuch, Aussprachekorrektur, Lückendiktat in Partnerarbeit, Drexl hält kurz ein Baby, damit die Mutter in Ruhe arbeiten kann. Eine Nuckelflasche wird gereicht, Malstifte für ein zweites Kind, Spielzeug für ein drittes – alle helfen sich gegenseitig. Gelächter bei einer fröhlichen Uhrzeitenübung, dann Zahlenwiederholung: Drexl macht Kniebeugen, zentriert so die Aufmerksamkeit, 28, 29 . . . alle zählen mit.
Nach einer Stunde übergibt Karin Drexl an Dorothea Böttcher, die sich bisher in der Assistentenrolle der Individualbetreuung besonders hilfebedürftiger Schüler gewidmet hat. Als Werklehrerin und Designerin liegt ihr die Kreativität im Blut, und so bekommt der Unterricht gegen Ende eines jeden Vormittags, wenn die Konzentration allmählich nachzulassen droht, eine Belebung besonderer Art: Es wird gebastelt.
Böttcher verbindet das mit der Wiederholung der Wörter für Farben, entwickelt ein buntes Tafelbild. Sie pinnt eine gelbe Sonne auf einen entsprechenden Hintergrund, lässt die Schuler Sätze bilden. Farbkarton wird ausgeteilt, Schablonen, Kleber, Schere – auch die Feinmotorik will geschult sein. Ein Herz entsteht: „Das können Sie zuhause ihren Ehepartnern schenken“, sagt die Lehrerin, und alle strahlen. Dann wird gemeinsam Ordnung gemacht.
Bei der Verabschiedung zeigt mir ein Mann stolz die Innenfläche seiner Hand: Hier hat er sich die Wörter aufgeschrieben, die er sich heute merken und besonders üben will.