Als dieses Gespräch stattfindet, das sich um das gelbe Störfall-Band der BA-BI drehen soll, wird gerade bekannt, dass E.ON das Atomkraftwerk in Grafenrheinfeld den Abschalttermin nochmals um sieben Tage verschiebt: Zuerst sollte es am 31. Mai vom Netz, dann 20. Juni, jetzt ist der 27. Juni angekündigt. Gaby Gehrold schüttelt den Kopf, spricht von einem „nicht nachvollziehbaren Rumgeschiebe“ und regt sich dann richtig über die einmal mehr unzureichende Informationspolitik des Betreibers nach den Hintergründen auf.
Eine gesundheitliche Beeinträchtigung habe nach Angaben der Betreiber zu keiner Zeit vorgelegen, weder bei den Schnellabschaltungen noch im regulären Betrieb. Die BA-BI-Aktivistin sagt, dass Experten das ganz anders sehen. Sie attestierten eine gesundheitliche Gefährdung schon beim Normalbetrieb eines AKW.
Die Angst vor Leukämie war immer da
Sie erinnert auch an eine im Auftrag des Bundesamtes für Strahlenschutz 2007 in Auftrag gegebene Studie, die so genannte KIK-Studie, die besagt: Je näher ein Kleinkind an einem AKW wohne, desto größer sei sein Risiko, an Krebs, insbesondere Leukämie zu erkranken.
Diese Angst hatte auch Gaby Gehrold 1986. Sohn und Tochter wurden 1983 und 1985 geboren, dann passierte Tschernobyl. „Ich war nur am Überlegen, wie ich meine Kinder unbelastet ernähren kann.“ In einem Markt habe sie damals für 1000 Mark Alete-Fläschchen gekauft, produziert vor dem Super-GAU 1986.
Und sie entschied für sich, ihr Umweltengagement bei Greenpeace auf die BA-BI auszuweiten. „Ich bin da reingeschubst worden, ich hatte keine andere Wahl, aus Verantwortungsgefühl auch für meine Kinder.“
Nach Tschernobyl ist alles gemessen worden
Sie kam zu einem Zeitpunkt mit „unheimlich viel Arbeit“ zur BA-BI, Tschernobyl-bedingt. Mit eigenen Messgeräten wurde alles geprüft, der Belastungsgrad von Tee, Pilzen, Sand auf Spielplätzen.
Das Störfall-Band gab es schon. 1981 ging das KKG ans Netz, 1982 kam die Idee auf, die „meldepflichtigen Ereignisse“, so die „harmlos klingende“ Bezeichnung im Meldeverfahren, fortlaufend für die Bevölkerung zu dokumentieren. Überzählige Bettlaken wurden gelb eingefärbt, darauf die Störfälle in schwarz notiert, schwarz-gelb, die Atomkraftfarben. Notiert werden nur die offiziellen Störfälle, die sich in den Monatsberichten des Bundesamtes für Strahlenschutz finden. „Wir wollen uns nicht angreifbar machen“, begründet Gehrold, die seit 1995 als stellvertretende BA-BI-Vorsitzende zusätzlich die Banner-Verantwortliche ist.
Die Gegner bezweifeln, dass alle Störfälle gemeldet wurden
Dass sie Zweifel hat, dass nicht alles gemeldet wurde, verhehlt sie nicht. Sie gehe davon aus, dass die Techniker im KKG, die ja auch Familien hätten, ihre Arbeit in all den Jahren gut zu machen versuchten. Aber wie „kein Mensch fehlerfrei ist, ist es auch die Technik nicht“.
Auf dem Tuch sind insgesamt 234 meldepflichtige Ereignisse gelistet. Es wiegt zusammengerollt mehr als zehn Kilogramm, ist derzeit 82 Meter lang (alle Jahre werden neue eingefärbte Teile angestückelt) und war bei allen nur denkbaren Demos dabei. In München vor der Staatskanzlei, bei allen Demos wegen Tschernobyl, bei der Großdemo wegen Fukushima 2011 in Bergrheinfeld, bei den Mahnwachen in Schweinfurt und auch bei vielen Demos an anderen AKW-Standorten.
Jahrelang gab es mehr als 16 Störfälle pro Jahr
Etliche Jahre hintereinander sind mehr als 16 Störfälle pro Jahr verzeichnet. Gehrold hebt die „erschreckenden Meldungen“ der mit einem erhöhten Risiko einhergehenden sieben Schnellabschaltungen hervor und erinnert an den 2010 in den Focus gerückten „Riss im Rohr“.
Gehrold ist bei vielen Demonstrationen mit den „Störfällen am laufenden Band“ dabei und sie weiß um die Einmaligkeit des BA-BI-Banners. Immer wieder zeigten sich Menschen erstaunt, wenn sie erfahren, dass darauf nur die Grafenrheinfelder Störfälle notiert sind und nicht – wie sie glaubten – die aller bundesdeutschen Kernkraftwerke.
Das Band errege wegen seiner mittlerweile erreichten Länge die nötige „optische Aufmerksamkeit“ und bringe auf besondere Weise die „Botschaft rüber, dass ein Kernkraftwerk alles anders als harmlos ist“, sagt Gehrold.
Das Störfallbanner wird immer länger
Seit dem Abschaltfest ist das Banner um drei außergewöhnliche Meter länger: Notiert sind darauf keine Störfälle, aber die Namen aller Künstler, die ohne Gage das Aus des KKG besangen. „Wir sind froh, dass es bald aus ist, hoffentlich ohne Störfall“, sagt Gehrold.
Weil mittlerweile viele helfende Hände nötig sind, das Banner zu entfalten, sollte es mit dem Abschalten auch außer Dienst genommen werden. Wegen der bleibenden Gefahren durch Zwischenlager und Rückbau seien aber neue Störmeldungen nicht ausgeschlossen.
Mit dem BA-BI-Banner geht es also weiter, einem „einzigartigen Zeitdokument für den zivilen Widerstand gegen die Atomwirtschaft“, an dem – man höre und staune – auch das Bayerische Staatsministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst und das Haus der Bayerischen Geschichte ihr Interesse zeigen.
Hier geht's zu unserem Abschalt-Countdown des KKG