Im Gegensatz zum akuten Schmerz, der eine natürliche Warnfunktion für den Körper darstellt, ist der chronische Schmerz eine eigenständige Erkrankung. In Deutschland leiden acht bis zwölf Millionen Menschen unter chronischen Schmerzen, und sie sind im Durchschnitt acht bis zehn Jahre auf der Suche nach einer geeigneten Therapie. Ein drängendes Thema, dem sich der Schmerztherapeut und Anästhesist Dr. Olaf Herm von der Leopoldina-Schmerzklinik beim Arzt-Patienten Seminar "Wenn der Schmerz nicht gehen will" ausführlich und anschaulich widmete.
Erste Schmerzforschung betrieb Mitte des 17. Jahrhunderts der französische Naturforscher René Descartes, der einen Zusammenhang zwischen einem äußeren Schmerzreiz und seiner Weiterleitung ins Gehirn herstellte. Heute weiß man, dass die Schmerzreize zum Rückenmark, dann über das Zwischenhirn zu seinem Kerngebiet Thalamus gelangen. Der verteilt den Schmerz-Impuls an verschiedene Gehirnbereiche: Der Hypothalamus passt Atmung, Blutdruck, Wärmeregulation und Schweißsekretion der Schmerzsituation an. Die Hypophyse schüttet Stresshormone aus. Am Ende erreicht der Schmerz die Großhirnrinde, dort wird der Schmerz bewusst und die Großhirnrinde bewertet ihn erstmals rational.
Extremes Schonen ungünstig
Wenn Schmerzen länger als drei bis sechs Monate andauern, spricht man von einem chronischen Schmerz. Risikofaktoren für eine Chronifizierung sind: Erkrankungen (Rheuma, Nervenerkrankungen), Probleme (etwa Unzufriedenheit am Arbeitsplatz), negative Gefühle (Ärger, Angst, Trauer), aktuelle oder frühere negative Stresserfahrungen, extremes Schonen oder Durchhalten, ungünstige gedankliche Bewertung der Schmerzen.
Eine chronische Schmerzerkrankung setzt sich meist aus drei Faktoren zusammen: 1. Körperliche Beeinträchtigung (Verschleiß, Muskelverspannung, Fehlhaltung, Erkrankung), 2. Seelische Beeinträchtigungen (Stress, Überforderung, Sorgen, Ängste), 3. Soziale Folgen (Unverständnis, Rückzug von Freunden, Arbeitsplatzverlust). Schon aus diesen vielen Ursachenmöglichkeiten sehe man, dass die Behandlung chronischer Schmerzen keine einfache Aufgabe sei, bemerkt Dr. Herm. In den meisten Fällen versuche der Patient mit einem mühsamen und frustrierenden Ärztehopping (Hausarzt, Orthopäde, Neurologe, Psychologe, Krankengymnast, Alternativmedizin oder Reha) seine Schmerzen los zu werden.
Umfassende Therapie an einem Ort
Die Leopoldina-Tagesklinik für Schmerztherapie biete die so genannte "Multimodale Schmerztherapie" an: eine enge Zusammenarbeit verschiedener Therapieeinrichtungen (Schmerztherapie, Psychotherapie, Krankengymnastik) in einem gemeinsamen Behandlungskonzept unter Einbeziehung des Patienten als Partner. Die Vorteile einer Tagesklinik leuchten ein: Die Patienten sind nur tagsüber (Montag bis Freitag) im Leopoldina und abends sowie an den Wochenenden zu Hause. Dadurch bleibe der Kontakt zum persönlichen Umfeld erhalten und die erlernten Schmerz-Bewältigungsstrategien können im Alltag erprobt werden.
Aus der interdisziplinären Zusammenarbeit von Ärzten, Psychologen und Physiologen ergeben sich die Bausteine der Therapie: Körperliches Training, Körperwahrnehmung, Schmerz- und Stressbewältigung, Verhaltensänderung, progressive Muskelentspannung, Biofeedback, soziales Kompetenztraining, Einzel- und Gruppengespräche. Ziel der Entspannungstechniken ist es innere Ablenkung zu erreichen und sich vom Schmerz zu distanzieren.
Die Leopoldina-Schmerzklinik bietet drei Programme an: Ein Kurzprogramm von sechs Tagen zum Kennenlernen, das eigentliche und notwendige Hauptprogramm über vier Wochen mit 100 Behandlungsstunden sowie ein Seniorenprogramm, das über zehn Wochen mit zwei Tagen pro Woche läuft. Die durchschnittliche Wartezeit für diese Angebote beträgt fünf bis sechs Monate.
Krankenhaus-Einweisung ist nötig
Als Berechtigung für diese Hilfe benötigt man eine Krankenhaus-Einweisung. Nach telefonischer Anmeldung werden die Patienten zu einer ärztlichen Aufnahmeuntersuchung gebeten, die in einer Teamentscheidung mündet: Kann der Patient von dem Angebot profitieren? Sind ausreichend Motivation und Leistungsfähigkeit gegeben? Liegt eine psychische Erkrankung oder eine Suchtproblematik vor?
Dr. Herm erläutert auch die Möglichkeit einer ambulanten Behandlung. In manchen Fällen ist eine stationäre Aufnahme (Diagnostik, Medikamententestung, Krankengymnastik) angebracht. Der Referent schließt mit einem Goethe-Zitat: "Unter Gesundheit verstehe ich nicht frei sein von Beeinträchtigungen, sondern die Kraft, mit ihnen zu leben".
Hinweis: Klinik für spezielle Schmerztherapie im Leopoldina MVZ, Terminvereinbarung, Tel.: (09721) 720-6405 oder per E-Mail: schmerzklinik@leopoldina.de