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Grafenrheinfeld/Würzburg: "Uns wurde der hochradioaktive Müll aufs Auge gedrückt": Das fordert Grafenrheinfelds Bürgermeister jetzt

Grafenrheinfeld/Würzburg

"Uns wurde der hochradioaktive Müll aufs Auge gedrückt": Das fordert Grafenrheinfelds Bürgermeister jetzt

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    Vor der Explosion: Christian Keller, Bürgermeister von Grafenrheinfeld (Lkr. Schweinfurt), im August 2024 vor den Kühltürmen des AKW, als diese noch standen.
    Vor der Explosion: Christian Keller, Bürgermeister von Grafenrheinfeld (Lkr. Schweinfurt), im August 2024 vor den Kühltürmen des AKW, als diese noch standen. Foto: Anand Anders

    In Grafenrheinfeld im Landkreis Schweinfurt herrscht Ernüchterung. Beim bundesweit dritten "Forum Endlagersuche" mit etwa 500 Vertreterinnen und Vertreter von Bundesbehörden, Wissenschaft und Kommunalpolitik in Würzburg wurde gerade erneut klar: Die Suche nach einem Endlager für Deutschlands hochradioaktive Abfälle ist kompliziert und extrem langwierig.

    Doch so lange kein Endlager existiert, müssen Gemeinden wie Grafenrheinfeld als Zwischenlager-Standort des gefährlichen Atommülls eine "gesamtgesellschaftliche Aufgabe von ganz Deutschland schultern", sagt Christian Keller, Bürgermeister von Grafenrheinfeld (CSU). Er gehörte bei der Veranstaltung in Würzburg zur Delegation der Arbeitsgemeinschaft ASKETA, in der sich 25 Kommunen mit kerntechnischen Anlagen zusammengeschlossen haben.

    Was diese Gemeinden jetzt fordern, sagt Christian Keller im Interview.

    Herr Keller, Ihr Gefühl nach der Großveranstaltung zur Atommüll-Endlagersuche in Würzburg?

    Christian Keller: Alle Teilnehmer stehen hinter einem Ziel. Aber ich bin dennoch nicht ganz zufrieden. Zwar wollen alle den Prozess der Endlager-Suche beschleunigen, aber der Zeithorizont hat sich extrem verschoben. In den 60er-Jahren wurde uns versprochen: Wenn ein AKW bei euch gebaut wird, wird die Lagerung des Atommülls zentral geregelt - nach dem Motto "darüber müsst ihr euch keine Gedanken machen". Als Deutschland beschlossen hat, aus der Kernkraft auszusteigen, wurde uns felsenfest versichert, dass das Endlager spätestens in den 40er-Jahren existiert. Mittlerweile sprechen Bundesbehörden von 2070, andere von 2100. Die Geschichte ist eine Aneinanderreihung gebrochener Versprechen.

    Und so lange bleiben die gefährlichsten Abfälle Deutschlands unter anderem in Grafenrheinfeld?

    Keller: Ja. In Grafenrheinfeld sind 54 Castorbehälter mit insgesamt 509 Tonnen Schwermetall eingelagert. Am 27. Februar 2006 wurde das Zwischenlager in Betrieb genommen. In ganz Deutschland gibt es 16 solcher Zwischenlager. Die Genehmigung in Grafenrheinfeld ist eigentlich auf 40 Jahre befristet. De facto fühlen wir uns aber als Endlager. Denn wer jetzt ein Endlager verspricht, muss sein Versprechen wohl nicht mehr selbst halten. Auch ich werde die Räumung des Zwischenlagers in unserer Gemeinde vermutlich nicht mehr erleben.

    "Die Geschichte ist eine Aneinanderreihung gebrochener Versprechen."

    Christian Keller, Bürgermeister von Grafenrheinfeld, über die Endlager-Frage

    Fühlen Sie sich mit dem Zwischenlager in Grafenrheinfeld sicher?

    Keller: Es ist eine Frage der gefühlten Sicherheit. Natürlich vertrauen wir darauf, dass mit dem Atommüll ordentlich umgegangen wird. Was bleibt uns auch anderes übrig? Mit den zuständigen Bundesbehörden sind wir in einem vertrauensvollen Austausch. Aber wir wollen erreichen, dass die Neugenehmigungsverfahren für alle Zwischenlager-Standorte unverzüglich beginnen - mit Umweltverträglichkeitsprüfung und Öffentlichkeitsbeteiligung. Weil dann alle Fragen neu geprüft werden: Wie lange halten die Castorbehälter? Ist alles auf dem neuesten Stand der Technik?

    In Grafenrheinfeld gibt es kein Atomkraftwerk mehr, dafür aber hochradioaktive Abfälle: Was bedeutet das für Ihre Gemeinde?

    Keller: Vor allem einen hohen Flächenbedarf. Die Fläche, die unserer Gemeinde für gewerbliche Nutzung nicht mehr zur Verfügung steht, beträgt alleine für das Zwischenlager inklusive aller Sicherungsmaßnahmen 3,7 Hektar. Aus dieser Fläche können wir künftig keine Gewerbesteuer generieren. Dass Grundstückspreise verfallen, hoffe ich nicht. Grafenrheinfeld ist eine sehr attraktive Gemeinde.

    Grafenrheinfeld hat jahrelang durch die Gewerbesteuer vom AKW profitiert und jetzt beschweren Sie sich über den Atommüll?

    Keller: Diese Frage blendet einen wesentlichen Aspekt aus: Die Gemeinde hat auch hohe Umlagen an den Landkreis bezahlt. Die ganze Region hat vom AKW profitiert. Das Kernkraftwerk hat 333 Milliarden Kilowattstunden Strom erzeugt und damit einen Großteil der ansässigen Industrie und Firmen weit darüber hinaus versorgt.

    "Die ganze Region hat vom AKW profitiert."

    Christian Keller, Bürgermeister von Grafenrheinfeld

    Was fordern Sie im Namen der Arbeitsgemeinschaft ASKETA?

    Keller: Wir fordern pro Zwischenlager-Standort einen Nachteilsausgleich von einer Million Euro im Jahr. Zusätzlich 5000 Euro jährlich pro eingelagertem Castor. Vergleichbare Summen bekommen die Zwischenlager-Standorte Ahaus und Gorleben seit vielen Jahren. Deutschland steht vor der Mammutaufgabe, Atommüll aus 60 Jahren angemessen zu entsorgen und schafft es nicht mal ansatzweise, seinem Ziel spürbar näherzukommen. Die Endlagersuche gestaltet sich extrem schwierig und unsere kleinen Kommunen sollen das einfach so nebenbei mitmachen. Unsere Planungshoheit wurde übergangen. Uns wurde der hochradioaktive Müll aufs Auge gedrückt. Wir ducken uns ja nicht weg vor dieser Aufgabe. Aber wir wollen ernst genommen werden! Ein Nachteilsausgleich für alle Zwischenlager-Standorte würde sicher auch die Endlagersuche beschleunigen. Und die Standorte, die später einmal für ein Endlager infrage kommen, werden sehr genau schauen, wie man mit den heutigen Zwischenlager-Standorten umgegangen ist. 

    Im Rückblick: War Atomkraft ein Fehler, Herr Keller?

    Keller: Nein. Atomkraft hat uns in Deutschland den wirtschaftlichen Aufstieg ermöglicht. Aber es war ein Fehler, nicht von Anfang die Entsorgung der kerntechnischen Abfälle zu klären. Und wir in Grafenrheinfeld müssen aufpassen, dass man uns nicht vergisst - jetzt, wo die Kühltürme nicht mehr sichtbar sind.

    So viel kostet die Lagerung des hochradioaktiven Materials in GrafenrheinfeldDie Kosten für die Zwischenlagerung am Standort Grafenrheinfeld betrugen im Jahr 2023 rund 19,6 Millionen Euro. Davon waren 9,4 Millionen Euro Betriebskosten (Personal, Bewachung, Betriebsmittel, Sonstiges) und 10,2 Millionen Euro Investitionen, teilt die BGZ Gesellschaft für Zwischenlagerung mbH mit. Seit 2019 ist die BGZ die Betreibergesellschaft für das Brennelemente-Zwischenlager.Die Kosten wurden vom KENFO, dem Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung, übernommen. Der KENFO ist der erste deutsche Staatsfonds und die größte öffentlich-rechtliche Stiftung in Deutschland. 24 Milliarden Euro hatten die Betreiber der Kernkraftwerke eingezahlt.akl

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