Mit circa 54.000 Arbeitsplätzen, davon rund 25.000 in Industriebetrieben, ist Schweinfurt das größte Industriezentrum in Nordbayern nach Nürnberg. Entsprechend lang ist die Historie der Industriestadt Schweinfurt, die weit über 200 Jahre zurückgeht. Hier wurde das Kugellager erfunden, hier begann die Bleiweißproduktion. Von hier stammen Industriellenfamilien wie Sachs oder Schäfer. Doch wie wird diese Geschichte von der Stadt aufgearbeitet?
Aus Sicht der SPD-Fraktion nicht gut genug. Sie stellte im Rahmen der Haushaltsberatungen den Antrag, ein Konzept erstellen zu lassen, wie man ein Industriearchiv einrichten könnte. Gefordert wird auch eine Stelle in der Verwaltung zur Bestandsaufnahme und wissenschaftlichen Aufarbeitung und die Einbindung lokaler Akteure, insbesondere des Arbeitskreises Industrie und Handwerk (AKI), der das kleine Industriemuseum an der Gutermann-Promenade betreibt, die Initiative gegen das Vergessen sowie verschiedene Sammler.

"Wir sollten uns mit etwas mehr Stolz der Industriekultur zuwenden, denn sie hat uns Jahrzehnte lang ernährt", findet SPD-Stadtrat Ralf Hofmann, zumal die Firmenzentralen der großen Firmen wie Schaeffler, SKF oder ZF nicht mehr in Schweinfurt sind und "das kollektive Gedächtnis zu verschwinden droht", so Hofmann. Ohne die Industrie "mit ihrer Geschichte und ihrer Kultur hätte Schweinfurt vermutlich niemals größere Bedeutung und seinen Wohlstand erlangt", heißt es im SPD-Antrag.
Der gesetzliche Archiv-Auftrag der Stadt bezieht sich nur auf die eigenen Unterlagen
Aus dem Antrag entwickelte sich schnell eine Diskussion mit sehr unterschiedlichen Positionen. Stadtarchivar Gregor Metzig erklärte ein grundsätzliches Problem: die Zuständigkeit. Eine kommunale Pflichtaufgabe sei ein Archiv zwar, aber nur auf die jeweilige Verwaltung und im Fall von Schweinfurt auf die Tochtergesellschaften bezogen.
Die Archivalien der Industrieunternehmen seien Privatbesitz, es gebe keine Rechtsgrundlage für die Stadt, sie zu bekommen. Erster Ansprechpartner dafür sei das bayerische Wirtschaftsarchiv. Außerdem gebe es keine Anzeichen, dass die Schweinfurter Industriebetriebe ihre Archive aufgeben wollen.

Metzig erklärte, für den Aufbau eines solchen Archivs brauche es Geld und vor allem den politischen Willen. Der AKI mit seinem Museum habe auch einen anderen Ansatz als ein klassisches Archiv, hier handele es sich vor allem um museale Objekte, nicht um Schriftgut. Darüber hinaus wäre ein entsprechend ausgestatteter neuer Archivbau nötig, um die Dokumente aus der Industrie sachgerecht zu lagern.
Ist das Kulturforum die richtige Lösung für ein Industriearchiv?
Für Metzig wie Oberbürgermeister Sebastian Remelé (CSU) ist das in Planung befindliche Kulturforum am Martin-Luther-Platz der richtige Ort, die industrielle Vergangenheit der Stadt darzustellen und mit der Gegenwart zu verknüpfen.
Der Vorschlag sorgte für Widerspruch bei der SPD. Peter Hofmann betonte, zunächst gehe es um ein Konzept, wie man ein solches Industriearchiv aufbauen und gestalten könne. Für ihn vor allem auch "Standortpolitik". Das Thema Kulturforum sieht Peter Hofmann kritisch: "Das hätte bekanntlich 2023 eröffnet werden sollen. Das ist für mich nicht mehr als eine Luftnummer." Für Ralf Hofmann "ist die Industriegeschichte Schweinfurts viel mehr als nur die Geschichte der Großindustrie".

Die Einwände der SPD ärgerten den OB: "Es ist boshaft, der Verwaltung vorzuwerfen, sie würde sich nicht für Industriegeschichte interessieren." Er stehe zum Neubau des Kulturforums und treibe diesen voran. Die Realisierung in zwei Bauabschnitten bis 2029 inklusive Sanierung der historischen Gebäude Altes Gymnasium, Stadtschreiberhaus und Alte Reichsvogtei habe der Bauausschuss erst kürzlich beschlossen.
Da die Betriebe ihre Archive selbst führen wollten und die Stadt keine gesetzliche Handhabe habe, das zu ändern "fehlt schlicht die Geschäftsgrundlage". Außerdem: Ein Neubau sowie zusätzliches Personal "passt aufgrund der finanziellen Situation der Stadt einfach nicht in die Landschaft".

SPD-Stadträtin Kathi Petersen kritisierte den OB: "Sie bauen einen Popanz auf und tun so, als hätte Industriegeschichte nichts mit der Schweinfurter Stadtgeschichte zu tun." In dem Antrag gehe es um ein Konzept, nicht um neue Gebäude. Unterstützung für die SPD-Position gab es von Adi Schön (Freie Wähler), der in der Ausrichtung des Stadtarchivs die Industriegeschichte als wichtigen Bestandteil sieht. Klaus Rehberger (CSU) appellierte, alle Beteiligten – vom Stadtarchivar über Kulturforum-Leitung bis zu AKI – müssten ein gemeinsames Konzept entwickeln.
Schlussendlich setzte sich die Position der Stadtverwaltung durch: Der SPD-Antrag wurde mit 10:4 Stimmen abgelehnt. Ein eigenes Industriearchiv wird es also vorerst nicht geben.