Geradezu "grauslig" sehe sie aus, die letzte Ruhestätte ihrer Eltern, sagt Ruth Treu. Gefasst blickt die Seniorin auf das aufgewühlte Grab, die losen Erdbrocken und die wenigen übriggebliebenen Grashalme. Oft habe sie das Baumgrab ihrer Eltern auf dem Schweinfurter Deutschfeldfriedhof in den vergangenen Monaten so gesehen – und schlimmer, sagt sie.
Schuld daran seien Wildschweine, die auf dem Gelände ihr Unwesen treiben, den Boden neben und zum Teil auf den Gräbern auf der Suche nach Nahrung umwühlen. Für Treu eine untragbare Situation.
"Das kann doch nicht sein. Man spricht von letzter Ruhestätte. Das hier ist doch alles andere als ruhig. Für mich ist das dermaßen belastend", sagt sie. Mit ihren Sorgen sei sie dabei nicht alleine.
Wildtiergranulat und Zaun zeigen kaum Wirkung
"Ich bin schon von einigen Leuten angesprochen worden, dass es im wahrsten Sinne des Wortes eine Schweinerei ist, was hier passiert, und dass man doch was unternehmen müsste", sagt Treu. Vom städtischen Friedhofsamt fühlt sie sich auch nach mehreren Kontaktaufnahmen allein gelassen: "Es passiert einfach nicht genug. Ich werde immer nur vertröstet."

Dabei ist man sich im Rathaus der Situation durchaus bewusst. So sei bekannt, dass sich auf dem Friedhofsgelände und in den umliegenden Parkanlagen, Seinäjokipark und Höllental, immer wieder Wildschweine und andere Wildtiere aufhalten, bestätigt Kristina Dietz, Pressesprecherin der Stadt, auf Nachfrage dieser Redaktion: "Dies ist in unmittelbarer Nähe zum angrenzenden Wald nicht unüblich, und damit ist im naturnahen Raum zu rechnen."

Um die Wildschweine fernzuhalten, habe man um den Friedhof mehrere Zäune errichtet. Wären diese intakt, könnten Reh- und Schwarzwild "mit hoher Wahrscheinlichkeit daran gehindert werden, auf das Friedhofsgelände zu gelangen", so Dietz.
Aber genau hier liege das Problem, meint Ruth Treu. "Mein Mann und ich sind den kompletten Zaun abgelaufen – da sind immer wieder Löcher drin. Die Wildschweine wühlen sich einfach unten drunter durch. Kaum ist ein Loch gestopft, wird ein neues aufgerissen", sagt sie. Auch das verstreute Wildschreck-Granulat zeige nie lange Wirkung. "Vielleicht drei bis vier Wochen – wenn es regnet, weniger", so Treu.
"Für mich ist das dermaßen belastend."
Ruth Treu, Betroffene der Wildschäden
Bereits mehrfach habe sie versucht, die Wildschäden auf dem Grab ihrer Eltern zu beseitigen, habe Gras gesät und die aufgewühlte Erde mit dem Rechen begradigt. "Aber es hilft nichts, ein paar Tage später war es immer wieder das Gleiche", sagt sie.

Seitens des Friedhofsamtes habe man versucht, Treu zu beruhigen. So drängen die Schweine in der Regel nicht weiter als etwa 30 Zentimeter tief in den Boden vor – die Urnen lägen ein gutes Stück tiefer, bei etwa 80 Zentimetern, habe man ihr mitgeteilt. Ob sie das beruhige? "Natürlich nicht. Alleine die Vorstellung...", sagt die Seniorin und schüttelt den Kopf.
Zwischenzeitlich habe sie sogar darüber nachgedacht, ihre Eltern in ein sichereres Grab "umbetten" zu lassen. Das Problem: Im Falle ihrer Anfang des Jahres beigesetzten Mutter sei dies wohl möglich, die Urne ihres 2018 verstorbenen Vaters könne jedoch nicht mehr verlegt werden.
Ihre Eltern zu trennen, kommt für Ruth Treu aber nicht in Frage: "Ich kann die beiden nicht auseinanderreißen – das geht emotional einfach nicht. Sie haben sich 2011 diesen Baum gemeinsam ausgesucht, hier wollten sie zusammen beerdigt werden."

Neuer Zaun soll erst im Oktober 2023 kommen
Die Situation geht ihr nahe, ihrer Ansicht nach müsse das Friedhofsamt entschiedener durchgreifen. So habe es in anderen Städten bereits Ausnahmegenehmigungen gegeben, die Tiere, wenn sie zu schweren Beeinträchtigungen führen, zu erschießen.
Im Fall des Deutschfeldfriedhofs sei das laut Stadt jedoch kaum möglich. Die Fläche läge im genossenschaftlichen Jagdbezirk, die privaten jagdausübungsberechtigten Pächter könnten nicht zur Jagd verpflichtet werden. "Zudem bestehen bei einer Jagd im städtischen Raum erhebliche Sicherheitsrisiken, die eine Schussaufgabe ebenfalls nahezu unmöglich machen", so Pressesprecherin Dietz.

Auch eine Interimslösung, wie Ruth Treu sie fordert, sei laut Dietz kaum machbar: "Jede temporäre Lösung setzt zum Lückenschluss des bestehenden Zauns eine bauliche Maßnahme im stark begrünten Bereich des Deutschfeldfriedhofes voraus. Da aus Naturschutzgründen ein dafür benötigter Rückschnitt der Bepflanzung nicht erfolgen kann, scheidet diese Maßnahme aus."
Mindestens bis Oktober werden Ruth Treu und andere Betroffene also weiter mit Schäden an den Gräbern rechnen müssen. Vorwürfe möchte sie eigentlich niemandem machen, sagt sie. Sie wünsche sich nur eines: "Ich will einfach nur, dass hier Ruhe einkehrt."