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SCHWEINFURT: Vielfalt ist etwas Positives

SCHWEINFURT

Vielfalt ist etwas Positives

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Ruhestand mit Verspätung: „Viele Projekte waren noch nicht abgeschlossen“, sagt Jürgen Eusemann.
    Blättern rechts bearbeiten bearbeiten entfernen entfernen entfernen in Grundtext übernehmen in Grundtext übernehmen in Thumbs übernehmen entfernen Ruhestand mit Verspätung: „Viele Projekte waren noch nicht abgeschlossen“, sagt Jürgen Eusemann. Foto: Anand Anders

    1973 hat Jürgen Eusemann als Lehramtsanwärter an der Grund- und Hauptschule Niederwerrn angefangen. Damals hatten die Klassen 45 Schüler. „Ich bin da reingegangen mit meiner schweren Aktentasche und habe gedacht, so, das machst du jetzt 40 Jahre.“ Es ist anders gekommen. Am heutigen Montag wird Jürgen Eusemann als Schulamtsdirektor in den Ruhestand verabschiedet.

    Nach 13 Jahren als Lehrer folgten Stationen als Seminarleiter und als Schulrat in Bad Kissingen und Haßfurt. Seit 2009 ist Eusemann Leiter des Staatlichen Schulamts und damit zuständig für 670 Lehrkräfte und die rechtliche und fachliche Aufsicht über alle Grund- und Mittelschulen in Stadt und Landkreis Schweinfurt. Neun Jahre war er außerdem Vorsitzender des Bayerischen Schulräteverbands.

    Im November wird er 66, er hätte schon im Februar gehen können, hat aber bis Ende des Schuljahrs verlängert. Er war einfach noch nicht so weit. „Es gab noch so viel zu vermitteln. Viele Projekte im Zusammenhang mit der Flüchtlingsfrage waren noch nicht abgeschlossen, und ich wollte, dass sie ohne mich weiterlaufen können – das hätte ich einfach nicht mehr geschafft.“

    Sein Credo ist klar: Jede Entscheidung muss transparent sein, und im Mittelpunkt steht immer der Mensch.

    Jürgen Eusemann überblickt 42 Jahre Schul- und Erziehungsgeschichte in der Region. Eine Zeit, in der sich viel geändert hat. Der Qualitätsbegriff zum Beispiel. Früher kam regelmäßig der Schulrat, um nach dem Rechten zu sehen, dann mussten alle besonders brav sein. „Heute tragen die Schulleitungen vor Ort viel mehr Eigenverantwortung.“ Den Weg dahin hat Eusemann gewiesen und begleitet. „Wir haben ein Schulmanagement aufgebaut. Am Anfang haben wir jeden Lehrer einzeln beraten. Heute geht es um das System Schule. Wir haben engen Kontakt zu den Schulleitungen, wenn es etwa um Personalentscheidungen geht, um Projekte, um Evaluation.“

    Das System Schule ist um einiges komplexer geworden

    Wobei das System Schule um einiges komplexer geworden ist. In Zeiten von Ganztagsschule und Schulverbünden sind längst externe Partner eingebunden: freie Träger, Caterer, Hausaufgaben- und Freizeitbetreuer, lokale Bürgermeister. Das Klischee vom Lehrerberuf als reinem Vormittagsjob ist damit im übrigen endgültig widerlegt.

    Kein Klischee hingegen ist die Beobachtung, dass immer mehr Eltern den Erziehungsauftrag an die Schule abtreten, das bestätigt auch Eusemann. „Allerdings: Diesen Auftrag haben die Schulen schon immer. Jetzt ist es halt offiziell. Das heißt: Die Kooperation mit den Erziehungsberechtigten muss intensiviert werden.“ Oft nehmen Eltern die Schule in die Pflicht, tragen deren Bemühungen aber nicht mit oder sehen sich selbst gleichzeitig als Beschützer des Kindes: Bitte bloß nicht zu viel verlangen. Dass Eltern heute vielfach aktiv am Schulgeschehen beteiligt sind, sieht Eusemann grundsätzlich positiv. „Wenn Schule in die Eigenverantwortlichkeit geht, braucht sie Partner.“

    Lehrer übernehmen Verantwortung für ganze Lebensläufe

    Dass Lehrer an Grund- und Mittelschulen immer stärker Verantwortung für ganze Lebensläufe übernehmen sollen, ist für Jürgen Eusemann so neu nicht. „Die Ausbildung ist schon immer mit einer sozialen Aufgabe verbunden gewesen. Die verstärkt sich jetzt.“

    Das Spektrum ist groß: Kinder mit Migrationshintergrund, Kinder mit Behinderungen, die im Rahmen der Inklusion Aufmerksamkeit benötigen, Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten, Kinder, die medikamentös behandelt werden.

    Für Jürgen Eusemann ist diese Liste aber nicht automatisch eine Liste von Problemen: „Diese Fülle nennen wir Heterogenität. Zunächst einmal ist das etwas Positives. Je heterogener, je vielfältiger eine Klasse ist, desto lebendiger geht es zu. Das hat man schon früher gesehen: Als ich noch 45 Kinder hatte, und es war ein Italiener dabei, dann hat der Farbe reingebracht. Das war eine Freude.“

    Schon ein verhaltensauffälliges Kind in der Klasse kann belastend sein

    Eusemann, dessen Amt im Landratsamt untergebracht ist, zeigt hinter sich: „Nehmen Sie die Rückert-Schule hier nebenan. Kinder aus aller Herren Länder. Die Dankbarkeit, die einem da entgegenschlägt. Die freuen sich einfach, dass sie da sind.“ Natürlich sei das für die Lehrkräfte fordernd. „Das muss ich mögen, da brauche ich diese soziale Ader."

    Anstrengender sei der Job schon geworden, obwohl die Klassen nur noch halb so groß sind wie zu Eusemanns Anfangszeiten. Und natürlich gehe das nicht ohne Konflikte ab.

    Es gibt deshalb Beratungsnetzwerke, Schulpsychologen, mobile sonderpädagogische Dienste. „Wenn nur ein Kind mit einer Verhaltensauffälligkeit drin ist, kann das sehr belastend sein.“

    Das Schulamt bietet auch Fortbildungen an, damit die Lehrkräfte Schritt halten können. „Wir beginnen gerade mit der Traumapädagogik – immer wieder kommt es vor, dass Flüchtlingskinder traumatisiert sind.“ Aber das seien im Moment noch Tropfen auf heiße Steine: „Da haben wir noch viel Nachholbedarf.“

    Woraus sich die Frage nach den Ressourcen ergibt. Das Schulamt ist für konstante Qualität verantwortlich, dafür dass jede Klasse die geeignete Lehrkraft bekommt. Dass erkrankte Lehrkräfte zuverlässig aus der mobilen Reserve ersetzt werden können. Eusemann holt ein wenig aus: Derzeit läuft die Klassenbildung fürs nächste Schuljahr. Da geht es um Lehrerstundenbudgets und Personalschlüssel.

    „Im Moment sind wir auf dem Papier ganz gut versorgt“, sagt Eusemann, „das hängt damit zusammen, dass wir in der Stadt einen sehr hohen Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund haben.“ Das heißt: Die Schulen können Klassen teilen, es gibt entsprechend mehr Lehrkräfte. „Wir haben gestern die Zusage bekommen, das ist sehr erfreulich.“

    Das Schulamt verfüge zudem über eine große mobile Reserve. „Es gibt aber auch eine wachsende Gruppe von Langzeiterkrankten und – was ja sehr schön ist – von Lehrerinnen, die hier in der Region bleiben, eine Familie gründen und schwanger werden. Die mobile Reserve zehrt sich dadurch auf. Ab Mitte des Jahres wird's dann schon eng. Und wir können ja keine Klasse nach Hause schicken.“

    Migration und Inklusion große Themen

    Als größte Herausforderung seiner Amtszeit hat Jürgen Eusemann die Schaffung von Mittelschulverbünden erlebt. Dass nur gemeinsam die Angebote der Mittelschule garantiert werden können, wollten nicht alle einsehen. Andere wollten alte Pfründe nicht abgeben.

    „Wir hatten sehr viele Gespräche mit Bürgermeistern, mit Schulleitungen. Wir hatten große Informationsveranstaltungen in Stadt und Landkreis.“ Eine weitere große Aufgabe waren und sind die Themen Migration und Inklusion. „Wie können wir diesen Kindern am besten gerecht werden?“

    Die Antwort sind Netzwerke, maßgeschneiderte Angebote, intensive Betreuung, zusätzliche Fachkräfte. An der Friedenschule gibt es eine Klasse für zehn Schülerinnen und Schüler, die hohen Förderbedarf im sozialen und emotionalen Bereich haben. „Die haben wir bewusst an einer Regelschule zusammengefasst – mit hohem Personalaufwand, etwa mit einem zusätzlichen Sozialpädagogen. Ich habe mich unheimlich gefreut, dass wir das hingekriegt haben.“

    Den Schlüssel zu einem Miteinander etwa mit der türkischen Gemeinde sieht Jürgen Eusemann übrigens nicht in einem einseitig formulierten Integrationsanspruch. „Ich muss erst einmal versuchen, türkische Familien zu verstehen. Wie die leben. Welchen Part ein Junge hat, welchen Part ein Mädchen hat. Die Kinder sind nicht das Problem. Wir brauchen die Eltern im Boot. Für sie haben wir viele niederschwellige Beratungsangebote geschaffen. Das gilt übrigens auch für die Flüchtlingsfamilien in den Conn Barracks.“

    Auffällig: Die Wissbegier der Migrantenkinder

    Was Jürgen Eusemann immer wieder auffällt: Die Wissbegier der Migrantenkinder. „Natürlich gibt es auch Probleme, da will ich nichts beschönigen. Aber in der Regel kommen sie und saugen das Wissen nur so auf.“ Beschwerden deutscher Eltern, ihre Kinder würden dagegen benachteiligt, kennt Jürgen Eusemann bislang keine.

    „Aber wir kommen langsam an die Grenzen und müssen aufpassen, dass wir die Gesellschaft und die Lehrer nicht überfordern. Das heißt, dass wir auch mal Nein sagen müssen. Wenn ein freier Träger einen Platz für einen 18-Jährigen in einer Übergangsklasse möchte und diese ist voll, dann müssen wir ablehnen. Der ist nicht mehr schulpflichtig, das können wir nicht leisten.“

    Dass er erst mit fast 66 in den Ruhestand geht, will er nicht als Zeichen an die Lehrer verstanden wissen. Im Gegenteil. „In meinem Büro hier habe ich es leichter. Wenn ich sehe, was draußen geleistet wird, wenn es da die Möglichkeit gibt, eher rauszukommen, dann verstehe ich das vollkommen.“

    Wenn er es dann tatsächlich geschafft hat, die Bürotür von außen zu schließen, will er verstärkt seinen Hobbys nachgehen: Rockmusik machen, in der türkischen Ägäis segeln, Motorrad fahren. So ganz wird er es wohl nicht lassen können: „Diese ganze Kompetenz, die man sich angeeignet hat – es sind Anfragen da aus den Bereichen Moderation, Schulentwicklung, Wirtschaft. Ich könnte beratend tätig sein, in einem Maße, das ich selbst bestimmen kann. Ich habe mich aber noch nicht festgelegt, weil die Arbeit hier alle Zeit in Anspruch nimmt. Meine beiden Enkel kennen derzeit nur die Aussage: Der Opa ist auf der Arbeit.“

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