Das Ziel, Menschen mit Handicaps im öffentlichen Raum Wege zu ebnen und ihnen das Zurechtfinden zu erleichtern, braucht Zeit. Und Geduld. Und eine gewisse Hartnäckigkeit. Dies ist Anja Burzynski und Herbert Kimmel bewusst. Dennoch sind die beiden Hauptakteure der Gerolzhöfer Arbeitsgruppe (AG) "Barrierefreiheit und Inklusion" unzufrieden damit, wie dieses Thema in dieser Stadt und von den Stadtverantwortlichen behandelt wird.
Ihr Fazit: Trotz zweier Rundgänge, zu der die AG im Jahr 2021 eingeladen hatte, habe sich seitdem zu wenig getan, um beispielsweise Stolperfallen zu beseitigen. Oft scheitere es selbst an Kleinigkeiten. Große Investitionen seien nur in wenigen Fällen gefragt.
"Es gibt hier in Gerolzhofen noch zu viele Hindernisse beziehungsweise Hindernisse, die für Rollstuhlfahrer, aber auch ältere Menschen mit Rollatoren oder Eltern mit Kinderwagen nur schwer zu überwinden sind", erklären Kimmel und Burzynski, die selbst Rollstuhlfahrerin ist, im Gespräch mit dieser Redaktion. Im Namen der AG hätten sie der Stadt Ende 2021 eine Liste mit Veränderungsvorschlägen überreicht, um die Stadt wenigstens an einigen neuralgischen Punkten zeitnah barrierefrei zu gestalten. Diese Liste enthielt auch eine Priorisierung der dringendsten Maßnahmen. Doch umgesetzt worden sei seitdem kaum etwas, bemängeln Kimmel und Burzynski.
Negativbeispiele aus der jüngeren Vergangenheit
In ihren Augen besonders ärgerlich: An manchen Bereichen wurden in den zurückliegenden Monaten ohnehin bauliche Veränderungen vorgenommen – allerdings ohne die bestehenden Unzulänglichkeiten auszumerzen. Dieser Umstand bestätigt für sie, dass die Interessen von Menschen mit Handicap von Verantwortlichen der Stadt im laufenden Betrieb und bei anstehenden Maßnahmen noch immer nicht ausreichend berücksichtigt werden.

Um ihre Kritik zu verdeutlichen nennen sie zwei konkrete Beispiele: Der Zugang zur Bushaltestelle in der Nördlichen Allee, in dessen unmittelbaren Umfeld der Spielplatz neu – sogar behindertengerecht – gestaltet wurde, könnte nach Ansicht der AG relativ einfach barrierefrei zugänglich sein. Es müsste nur der Gehsteig in der Rügshöfer Straße bis dorthin verlängert werden. Zweites Beispiel: Die Bogenbrücke über die Volkach an der Mittelschule wurde repariert. Doch das Problem, dass Rollstuhlfahrer wegen der tiefen Mulde am Brückenaufgang kaum ohne Hilfe über die Brücke fahren können, wurde dabei nicht beseitigt.
Bürgermeister weist Vorwurf zurück
Auf die geäußerte Kritik angesprochen, weist Gerolzhofens Bürgermeister Thorsten Wozniak den Vorwurf, die Stadt würde nicht genügend an die Belange von Menschen mit Handicap denken, zurück. Das Gegenteil sei der Fall, so Wozniak: "Insbesondere bei vergangenen Baumaßnahmen, beispielsweise im Alten Rathaus, bei der Behindertentoilette im Bürgerspital oder beim Impfzentrum in der Stadthalle sowie bei laufenden Planungen wurde und wird besonders auf Barrierefreiheit beziehungsweise ,behindertengerechten Ausbau‘ geachtet." Als Beleg hierfür nennt er noch die Planungen zur Marktplatzsanierung, die Planungen für den Neubau der Schulhäuser und den Umbau des Leichenhauses auf dem Friedhof.
Stolperkanten wurden laut Wozniak etwa im Bereich der Urnenbestattungen auf dem Friedhof beseitigt. Auch Hecken in der Allee wurde so geschnitten, dass Menschen im Rollstuhl oder Kinder eine bessere Sicht auf Verkehrswege haben. Doch würden sich hier Erfolge erst nach und nach zeigen, weil Hecken und Sträucher durch einen zu starken Rückschnitt nicht zerstört werden sollen.
Allerdings bittet Wozniak, manche der angeführten Punkte "nicht zu vermischen". So sei etwa für die Ampel an der evangelischen Kirche, die auch nach einer Reparatur nach einem Sturmschaden weiter über kein aktiviertes Auffinde-Signal verfügt, wie die AG "Barrierefreiheit" kritisiert, das Staatliche Bauamt zuständig. Und für einen behindertengerechten Zugang zur Bushaltestelle in der Nördlichen Allee wären weitere Behörden verantwortlich und in Planungen einzubeziehen. Hier müsste auch eventuell eine Stützmauer berechnet werden, was im Endeffekt zu einer Gesamtmaßnahme führen könnte, die leicht einen sechsstelligen Eurobetrag kosten könnte, sagt Wozniak.
Am Ende ist es eine Frage des Geldes
Womit er zur Finanzierbarkeit der Vorschläge der AG kommt und generell darauf verweist, dass "jeder Euro nur einmal ausgegeben werden kann" – sei es für Barrierefreiheit, Kinderbetreuung, die Sanierung von Gebäuden, das Schwimmbad oder weitere Bereiche. Die Stadt achte darauf, ihren gesetzlichen Pflichten nachzukommen. Gravierende Mängel würden zudem sofort beseitigt, versichert der Bürgermeister. Deshalb seien die Anregungen der AG "Barrierefreiheit" auch "sehr wertvoll, wofür ich herzlich danke".

Auf eine Vorschrift, die die Stadt derzeit nicht einhalte, verweisen Burzynski und Kimmel: Die Webseite der Stadt ist noch immer nicht barrierefrei. Sie beziehen sich damit auf die EU-Richtlinie 2102, die öffentliche Stellen seit über vier Jahren dazu verpflichtet, ihr digitales Angebot barrierefrei zugänglich zu machen, dort also beispielweise eine Sprache zu verwenden, die auch für Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen oder Menschen mit Migrationshintergrund leicht verständlich ist. Darauf angesprochen meint Bürgermeister Wozniak, dass die Webseite der Stadt derzeit komplett erneuert würde und danach barrierefrei sein werde. Im Stadtrat hatte er zum gleichen Thema geäußert, dass ein solcher Umbau mindestens ein Jahr dauern würde. Das war im September 2021.
Gerolzhofen hat keinen Behindertenbeauftragten
Ein Thema, das Burzynski und Kimmel noch am Herzen liegt, ist die Berufung einer Behindertenbeauftragten oder eines Behindertenbeauftragten durch den Stadtrat. Den beiden AG-Vertretern zufolge habe rund die Hälfte der Kommunen im Landkreis Schweinfurt jemanden für dieses normalerweise mit einer Aufwandsentschädigung versehene Ehrenamt benannt. Dessen Aufgabe ist es unter anderem, bei sämtlichen Bauvorhaben der Kommune automatisch einbezogen zu werden, um die Belange von Menschen mit Handicap einzubringen. Der Gerolzhöfer Stadtrat habe eine solche Ernennung "mehrheitlich nicht gewünscht", teilt Wozniak hierzu mit, ohne darauf einzugehen, wie er selbst dazu steht.
Ob es, wie von der AG "Barrierefreiheit" vorgeschlagen, einen weiteren Rundgang durch die Stadt mit Mitarbeitern der Stadt – etwa welchen des Stadtbauamts und Bauhofs – geben wird, um an Ort und Stelle Hindernisse zu begutachten, möchte Wozniak weder versprechen noch ausschließen. Dies hänge von mehreren Faktoren ab, unter anderem der Frage, welche Stellen besichtigt würden und wer dort örtlich zuständig ist sowie von der Uhrzeit. Denn neben dem achtsamen Umgang mit Haushaltsmitteln sei die Stadt auch darauf bedacht, mit den "zu knappen personellen Ressourcen" sparsam umzugehen.