Es ist Weihnachtszeit, und in der Schweinfurter Innenstadt bricht das Chaos los. Wie jedes Jahr? Nein, etwas ist anders, in der ehemaligen Bäckerei in der Langen Zehnstraße 18. Statt dem Nikolaus mit seinem Rentierschlitten galloppiert ein schauriger Leichenwagen heran, gezogen von Zombiepferden, umschwirrt von geisterhaften Sensenschwingern: Die "Reaper", die hier einen finsteren Erzvampir eskortieren, könnten geradewegs "Harry Potter" oder dem "Herrn der Ringe" entsprungen sein. Gut, dass es Sigmar und seinen "Order" gibt. Die Verteidiger des Guten und der Ordnung haben auf der anderen Tischseite Stellung bezogen, vor einer Art Ruinenstadt - schwergerüstete Zwergen-Pistoleros, rothaarige Elfen-Amazonen, eine (gute) Hexenkönigin und zwei Artilleristen, mit Speerschleuder. Erstaunt schauen Passanten durch die großen Schaufenster: Ja, ist denn schon wieder Silvester und damit Brettspielzeit?
Nix da: "Warhammer ist ein TableTop, kein Brettspiel" erläutert Tobias Pille (29), der Ende November den Spieleladen in der Schweinfurter Innenstadt eröffnet hat. Sein Gegenspieler ist Andreas Kuchenbrod. Die Magier, Ritter, Elfen und Zwerge schlagen sich nicht durch eine digitale Spielwelt auf dem Computer. Sie stehen sich auf einem realen Spielfeld zur Fantasie-Schlacht gegenüber. Das Regelwerk legt fest, wie kampfstark eine Figur ist, und wie weit sie sich pro Runde bewegen kann: nachzumessen mit dem Zollstock. Gerechnet wird in "Inch" (1 Zoll oder 2,54 Zentimeter), schließlich sitzt der Hersteller ("Games Workshop") in Nottinghamm, die Deutschland-Zentrale befindet sich in Düsseldorf).
Ordnung in kosmische Trümmer bringen
Das Kultspiel besteht schon seit über 30 Jahren. Nachdem der Klassiker "Warhammer Fantasy", der in einer etwas klobigen Mittelalter-Welt gespielt hat, gegenüber der Science-Fiction-Variante "Warhammer 40 000" ins Hintertreffen geraten ist, ließen die Macher ihre alte Welt untergehen, im Ansturm der Finsternis: "Age of Sigmar" nennt sich der "welten-offenere" Nachfolger, benannt nach einem Gottkönig, der mit seinen Streitern Ordnung in die kosmischen Trümmer zu bringen versucht. Pille lenkt an diesem Tag die Sigmar-Anhänger. Andreas Kuchenbrod freut sich, neben allerhand Spukgestalten die Geisterkutsche zum Einsatz zu bringen, deren Macht von Zug zu Zug wächst. Missionsziel ist es, magische Stelen zu erobern, dafür gibt es Punkte. Wer nach fünf Runden die meisten eingeheimst hat, gewinnt - unabhängig vom sonstigen Zustand seiner Truppen.

Trotz des grimmigen Namens ("Streithammer") geht es, betonen die Spieler, nicht um Verherrlichung von Krieg und Gewalt. Der Zuschauer kann bestätigen: In jeder Folge von "Game of Thrones" wird hässlicher gemetzelt. "Warhammer" hat ungefähr die Brutalität von Schach (oder von "Mensch ärgere dich nicht"), verbunden mit der Kreativität eines Fantasy-Spiels. Mit Würfeln und bestimmten Zahlen-Modifikationen wird ermittelt, wie effektiv sich die Figuren auf dem Schlachtfeld fortbewegen, attackieren, schützen, verzaubern oder regenerieren.
Spielzug in drei Phasen
In der Heldenphase dürfen zunächst die "Individualisten" ran – und zum Beispiel der Magier einen "Sturm von Shemtek" oder "Kometen von Casandora" beschwören, vom prunkvollen Streitwagen aus. In der Bewegungsphase wird vorgerückt, in der Schussphase kommen die Fernwaffen zum Einsatz, im Nahkampf kreuzen sich die Klingen. Es geht fair und britisch-korrekt zu, sprich: die richtige Distanz ist wichtig. Eine Drei-Zoll-Meßplakette klärt, ob sich die Kombattanten außerhalb der Schwerterreichweite befinden. Die Armeen werden über ein Punktesystem aufgestellt. An diesem Nachmittag treten schon recht schlagkräftige Kämpfer an. Feldherr Tobias gelingt es, die gefürchtete Geisterkutsche auszuschalten. Ein Gegenstoß magisch gedopter Elfinnen – "Meine Zwerge haben zu kurze Füße" – auf eine Pyramide endet im wilden Handgemenge. Im Hintergrund rieselt leise Weihnachtsmusik. Die Demo-Schlacht gewinnt trotzdem das Böse, nach Punkten.

Das stete Scharmützieren ist nur ein Aspekt des Hobbys: "Basteln, Bemalen, Sammeln, Spielen" – darum geht es bei Warhammer, sagt Pille, der zuvor für einen "Store" in Bonn gearbeitet hat. Wie in der Zinnfiguren-Zeit werden die aufwendig gestalteten Figuren von Hand bemalt, und viele Zubehörteile selbst gebaut oder neu kombiniert. Die Geschichte hinter den Gefechten kann in Romanen nachgelesen werden. In Zeiten einsamen Computer-Daddelns sehen sich die Analog-Spieler auch pädagogisch in der Pflicht: "Warhammer Alliance" nennt sich ein Angebot für Schulen und Jugendgruppen, deren Spielesammlungen zu entstauben. Es gibt regelrechte Wettkämpfe, bis hin zur "Warhammer 40 000"-WM.
40 bis 50 Spieler zählt die Warhammer-Fangemeinde in Schweinfurt
Auch in Schweinfurt ist Warhammer angesagt: Etwa 40 bis 50 Spieler zählt Tobias Pille im Umfeld des Ladens, zeigt den Wochenplan mit Spieltagen oder Hobbyabenden und lädt zur "Crusader Tournament League" ein, ab 11. Januar: ein erster geselliger Spielereigen über drei Monate hinweg. Calvin Quest, der im Laden mithilft, ist vom Warhammer-Flair fasziniert. Der Stimmung wegen wabere bei manchem Großturnier sogar Nebel, sagt der Sohn einer Schweinfurter Kino-Mitarbeiterin: "Es geht um Geschichten."


