Totengedenken, Tanzverbot, mit rotem Plastik ummantelte Kerzen brennen auf den Gräbern. Ein Besuch auf dem Friedhof ist Ehrensache. Nie hat das Gedenken an die verstorbenen Familienmitglieder – eigentlich eine höchst private und individuelle Sache – im Jahreskreis einen offizielleren Charakter, als zu Allerheiligen. Während für die einen der 1. November dick eingerahmt im Kalender als Tag des Totengedenkens steht und sie im Vorfeld die Gräber hergerichtet haben, genießen andere den Feiertag, an dem „irgendwas mit Gräbern und Toten oder so“ gefeiert wird.
Warum also Allerheiligen, und Allerseelen gibt es ja auch noch, und wo ist der Unterschied? Warum versammeln wir uns zu Allerheiligen gut eingepackt und bei jedem Wetter auf den Friedhöfen und warten darauf, dass der Pfarrer mit dem Weihwasserfass auch das Grab unserer Lieben „bewässern“ möge? Fragen über Fragen, die am ehesten ein „Mann vom Fach“, sprich ein katholischer Priester, beantworten kann. Markus Grzibek, Pfarrer in der Pfarreiengemeinschaft Sankt Martin im Oberen Werntal, weiß um den Feiertag und seine Bedeutung.
Frage: Wie ist das für Sie als Pfarrer? Da ist Allerheiligen ja immer sozusagen ein Arbeitstag. Wann und wie trauern Sie selbst an den Gräbern der Ihnen nahestehenden Menschen?
Pfarrer Markus Grzibek: Den Allerheiligentag sehe ich nicht als Arbeitstag, sondern ich sehe ihn als Geschenk, dass wir als Christen innehalten und über unser Leben und über das, was diesem Leben folgt, nachdenken dürfen. Natürlich haben sie recht, dass ich an diesem Tag nachmittags auf anderen Friedhöfen stehe und eben nicht am Familiengrab. Aber nichtsdestoweniger sind auch meine verstorbenen Verwandten in meine Gebete und Gedanken mit hineingenommen.
Können Sie in wenigen Sätzen den Unterschied zwischen Allerheiligen und Allerseelen – mal abgesehen davon, dass es sich bei Ersterem um einen gesetzlichen Feiertag handelt – erklären?
Grzibek: Der Allerheiligentag ist sozusagen ein herbstliches Osterfest. Wir denken an Menschen aus verschiedenen Zeiten mit unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlichem Alter und Wesen, die aber eines eint: Sie haben sich berühren lassen von der Botschaft des Evangeliums und sind in ihrem Leben Jesus nachgefolgt. Die Seligpreisungen, die wir in der Messfeier des Allerheiligentages hören werden, haben diese Menschen zum Maßstab ihres Lebens gemacht.
Der Allerheiligentag ist in unserem Glauben also kein düsterer Tag, sondern ein froher, österlicher Tag. Die Kirche freut sich und zeigt uns diejenigen, die sich im Leben gemüht haben und ihr Ziel bei Gott erreicht haben. Erasmus von Rotterdam hat es einmal so formuliert: Es nützt dir nichts, wenn du die Heiligen nur verehrst, aber dich nicht um das kümmerst, was sie hinterlassen haben: das Beispiel ihres Lebens. Allerheiligen ist die strahlende Seite einer Münze, die am Allerseelentag umgedreht wird. Dann rücken uns die unmittelbar Verstorbenen nahe. Doch Allerseelen ist kein Feiertag, deswegen treffen wir uns schon am Nachmittag oder Abend von Allerheiligen am Friedhof und denken an verstorbene Familienangehörige und Freunde.
Was wünschen Sie den Gläubigen für diese Stunde der Besinnung, außer dass sie möglichst wenig frieren und es nicht regnet.
Grzibek: In den letzten Jahren hatten wir tatsächlich schönes Wetter. Und ich wünsche mir auch ein wenig Sonne, weil auch uns und unseren Verstorbenen die Sonne der Auferstehung leuchten soll. Ich hoffe, dass die Besucher nicht einfach nur am Grab stehen und trauern, sondern ihren Blick über den Tod hinaus weiten.
Der Apostel Paulus sagt: Ihr sollt nicht trauern wie die, welche keine Hoffnung haben. Als Christen haben wir eben diese Hoffnung, dass unsere Verstorbenen nicht irgendwie verloren oder weg sind, sondern dass sie bei Gott sein dürfen.
Insgesamt kennt die katholische Kirche knapp 7000 Heilige und Selige. Denken wir auch an die, wie der Name Allerheiligen vermuten lassen könnte?
Grzibek: Im Tagesgebet der Messe zu Allerheiligen heißt es, dass wir eingeladen sind, „die Verdienste aller Heiligen zu feiern.“ Also denken wir natürlich an alle diese Menschen mit ihrer persönlichen Lebensgeschichte. Einige dieser Heiligen sind uns von Kindheit an vertraut. Wir kennen ihre Erzählungen und erinnern uns, verbunden mit lieb gewordenen Traditionen, Jahr für Jahr an Gestalten wie den heiligen Martin, den heiligen Nikolaus oder die Heilige Elisabeth. Von anderen, wie beispielsweise den heiligen Andreas Kim Taegon und Paul Chong Hasang, haben viele wahrscheinlich noch nie etwas gehört. Eines haben alle gemeinsam: Der Glaube an Christus war der Mittelpunkt ihres Lebens und aus diesem Glauben heraus haben sie das Gute getan.
Was sage ich meinen Kindern wenn sie meinen: „Du Papa, ich feiere lieber Halloween, Allerheiligen ist mir nicht so wichtig.“
Grzibek: Vor über zehn Jahren war ich Kaplan bei einem irischen Pfarrer in Aschaffenburg. Wir haben uns manchmal über keltische Bräuche unterhalten. Er sagte mir damals: Am All-Hallows-Eve, also am Abend vor Allerheiligen, war es ihm und seinen Geschwistern als Kinder von seinen Eltern nie gestattet, nach draußen zu gehen. Es ist nach keltischem Glauben die Nacht, in der die Seelen der Verstorbenen zurückkehren und böse Geister in unserer Welt umherziehen. Einmal abgesehen davon, dass die Nacht vor Allerheiligen sonderbar ist, würde ich keine Kinder alleine in der Dunkelheit umherziehen lassen.
Wie sehen Sie die Zukunft des Feiertages und Gedenktages Allerheiligen in Zeiten von Urnenwänden und naturnahen Bestattungen auf Waldfriedhöfen?
Grzibek: Urnen- und Baumbestattungen haben für mich etwas Unpersönliches. Aus welchen Gründen auch immer sich Menschen für diese Bestattungsform entschieden haben, so sehe ich häufig im Nachhinein der Bestattung bei den Verwandten das Bedürfnis nach einem wirklichen Ort des Trostes und der Hoffnung.
Der fehlt aber allem Anschein nach. Ich finde es schlimm, wenn Urnen einfach in hässliche Betonwände „verräumt“ oder einfach unter einem Baum vergraben werden. Unsere Vorfahren jedenfalls haben so etwas nicht gemacht – aber deren Leben war ja auch geprägt von einer anderen Überzeugung.
Zur Person Pfarrer Markus Grzibek (41) stammt aus Oberwerrn. Seit knapp fünf Jahren ist er Pfarrer der Pfarreiengemeinschaft Sankt Martin. Als solcher betreut er die Gemeinden Geldersheim, Sömmersdorf, Euerbach und Obbach.