Die Arbeit in den (Un-)Tiefen der Archive ist spannender, als der Laie denkt. Das zeigte sich in der Feierstunde, in der Uwe Müller (65) in den Ruhestand verabschiedet wurde. Der weit über kommunale Grenzen hinaus geschätzte Stadtarchivar und Forscher gibt nach 35 Jahren Dienst am kollektiven Gedächtnis sein Amt an Gregor Metzig weiter.
In der oberen Rathausdiele erinnerte sich Müller an die Auftaktfahrt nach Halle, Sitz der Nationalakademie "Leopoldina". Die älteste wissenschaftliche Institution ihrer Art wurde 1652 in Schweinfurt gegründet. Mit dem Interzug ging es 1987, zusammen mit Delegation und Ehefrau Irene, durch den "Eisernen Vorhang", zum Empfang bei Fachminister Böhme. Der SED-Funktionär ließ reichlich Cognac fließen: "Er hat versucht, uns auszuhorchen." Nach der Wende stellte sich heraus, dass auf die Akademie jede Menge Stasiagenten angesetzt gewesen waren. Die DDR wurde selbst Geschichte, der enge Kontakt nach Halle blieb.
"Der schönste Beruf der Welt"
Es fehlte nicht an Anekdoten und Geschichten, als Müller zurückblickte, dankbar auch für die Ermunterung durch Schule und Eltern, den "schönsten Beruf der Welt" zu ergreifen. Schon das alte, das "Heilige Römische Reich" habe Archivierung für eine Staatspflicht gehalten, so der gebürtige Bad Kissinger: "Wer kein Archiv hat, der hat kein Gedächtnis." Wichtig sei es, die wissenschaftliche Unabhängigkeit beim Bewahren der Dokumente zu erhalten.
OB Sebastian Remelé blickte stolz auf die Vita eines "Vollbluthistorikers" zurück: Nach dem Abitur in Nürnberg folgte das Studium an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, 1987 dann die Promotion, mit der höchsten Auszeichnung "summa cum laude". Nach dem Referendariat für den höheren Archivdienst wurde Müller 1987 Stadtarchivleiter. Mit seinem Einsatz für Vereine, Gesellschaften oder Arbeitskreise und unzähligen Ehrungen ließen sich selbst Bände füllen: Der Ausstellungsorganisator und Vorsitzende des historischen Vereins hat zu Franken und Schweinfurt ebenso grundlegend geforscht oder publiziert wie zur Geschichte der "Leopoldina". Remelé würdigte nicht zuletzt den Menschen Uwe Müller, der im Anzug an der Bushaltestelle gestanden habe, jeden Morgen pünktlich um 7.41 Uhr.
Aufgaben für den Nachfolger
Auf langanhaltenden Applaus folgten die Grußworte von Christof Klingler, Chef des Gesamtpersonalrats sowie von Horst Gehringer, Leiter des Bamberger Stadtarchivs und Vize-Vorsitzender der "Bundeskonferenz der Kommunalarchive" (BKK) beim Städtetag. Nicht ohne Schmunzeln erinnerte Gehringer an einen frühen Glaubensstreit, um "unbeständiges" Recycling-Papier. EDV wurde in Schweinfurt schon seit 1987 eingesetzt, ab 2009 folgte die Digitalisierung. Es bleiben Aufgaben, stellte Müller fest, für Nachfolger Gregor Metzig, der zuletzt im Bundesarchiv in Freiburg tätig war. Der Familienvater gilt als Mittelalterexperte und will das Archiv weiter in Richtung Informations-Dienstleister modernisieren. Das kollektive Gedächtnis soll dabei kein Selbstzweck sein: "Geschichte macht nicht klug für ein andermal, sondern weise für immer", zitierte Müller Historiker Jacob Burkhardt.