Es gibt Tage, da bleibt Wiltrud Werners Telefon still. Und es gibt Tage, an denen melden sich gleich mehrere Betroffene beim Weißen Ring in Schweinfurt. "So unterschiedlich ist das", sagt Werner, 78, die die Außenstelle seit etwa 15 Jahren leitet. Alle, die anrufen, egal, was sie erlebt haben, häusliche Gewalt, sexuelle Gewalt, Stalking oder auch den Enkeltrick, wollen eins: "Hilfe", sagt Werner.
Die Außenstelle in Schweinfurt ist eine von 400 Außenstellen des Weißen Rings in ganz Deutschland. Fast 3000 ehrenamtliche Helferinnen und Helfer begleiten Personen, die entweder selbst Opfer einer Straftat geworden sind oder eine beobachtet haben, sowie Angehörige und Hinterbliebene. Sie leisten den Betroffenen Beistand, begleiten sie zu Terminen bei Polizei, Staatsanwaltschaft oder Gericht. Im Jahr 2020 betreute der gemeinnützige Verein rund 33.000 Fälle im gesamten Bundesgebiet.

Doch wie läuft es eigentlich ab, wenn eine betroffene Person sich beim Weißen Ring meldet?
"Ich frage erst einmal, was sie sich vorstellen", erklärt Wiltrud Werner. "Meistens wissen sie es gar nicht, weil viele auch gar nicht wissen, was der Weiße Ring überhaupt macht." Werner fragt die Anrufenden dann, was passiert ist und – im Falle, dass sie Geschädigte einer Straftat sind – ob sie schon bei der Polizei waren. Meistens nicht. "Und dann sage ich, dass wir sie auf jeden Fall zur Polizei begleiten, wenn sie das möchten."
Die Scham ist bei Betroffenen oft groß
Oft sei die Scham der Betroffenen zu groß, berichtet Werner. Aktuellen Zahlen des Bundeskriminalamtes zufolge liegt die Anzeigenquote bei schweren Vergehen wie sexuellem Missbrauch und Vergewaltigung nur bei knapp zehn Prozent. Nur die Hälfte der Überlebenden sexueller Gewalt spricht überhaupt mit jemandem über das Erlebte.

Werner betont, wie wichtig es ist, schnell zur Polizei zu gehen. "Je länger es dauert, desto schwieriger ist es mit den Spuren", erklärt die 78-Jährige. In Schweinfurt achtet Werner darauf, dass die betroffenen Personen – meistens Frauen – mit Beamtinnen sprechen können.
Ein besonderer Vorteil: Anders als Angehörige dürfen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Weißen Rings mit in die Vernehmungen bei der Polizei. Etwas, das im Falle von Kindern oftmals zu Unverständnis bei den Eltern führt. "Die Kinder werden von den Eltern beeinflusst", sagt Werner. "Sie haben dann Angst, dass sie etwas sagen, das den Eltern wehtut."
Gibt es schon anwaltlichen Beistand?
Meistens stellt Werner im Anschluss die Frage, ob die Personen schon anwaltlichen Beistand haben. Für die Vernehmungen oder gar später vor Gericht. "Zunächst weiß man ja nicht, ob es nebenklagefähig ist", erklärt Werner. Die Nebenklage macht es Geschädigten einer Straftat möglich, aktiv im Prozess als Verfahrensbeteiligte mitzuwirken. Ohne Nebenklage könnten sie nämlich nur als Zeugen im Gericht auftreten. Eine Nebenklage an sich ist kostenlos, lässt man sich dabei aber von einem Anwalt unterstützen, fallen die anwaltlichen Kosten an. Werner erklärt den Vorteil: "Es ist schon ein Unterschied, wenn ein Anwalt für dich alleine da ist oder nur der Staatsanwalt."

Und so kann der Verein schließlich auch in finanziellen Angelegenheiten unterstützen – und etwa Hilfeschecks für anwaltliche und psychotraumatologische Erstberatungen sowie rechtsmedizinische Untersuchungen ausstellen. Werner erzählt, wie sie schon geholfen hat, Frauen bei der Einrichtung einer neuen Wohnung oder Angehörigen bei der Organisation einer Beerdigung – auch finanziell – zu unterstützen. Auch bei der langwierigen Durchsetzung von Ansprüchen nach dem Opferentschädigungsgesetz unterstützt der Weiße Ring.
Schwierig werde es dabei oft, wenn es um die Folgeschäden psychischer Art, die darin begründet sein müssen, gehe. "Die lassen sich schwer fassen", berichtet Werner. Dabei seien sie enorm: "Gerade vergewaltigte Frauen – ich möchte sagen – mindestens 60 Prozent, werden nie mehr in ihrem Leben arbeiten", sagt Werner. "Man liest in der Zeitung, ach vergewaltigt, wie schlimm. Aber was das mit den Frauen wirklich macht, kann man sich nicht vorstellen."