Am 21. und 22. August gastiert die Deutschland-Tour der Rennradfahrer in Schweinfurt. Es wird nicht nur sportlich ein Großereignis mit Live-Übertragung vor Millionenpublikum im Fernsehen, sondern es präsentiert sich Schweinfurt als Fahrradstadt vor allem am Marktplatz. Erwartet werden bis zu 10.000 Besucherinnen und Besucher.
Seit Monaten wird in der Stadtverwaltung gemeinsam mit dem Veranstalter das Großereignis vorbereitet. Zuletzt war Schweinfurt 2006 Etappenort der Deutschland-Tour, des wichtigsten Radrennens in der Bundesrepublik. Dass Wälzlagerstadt und Fahrradstadt aber den gleichen Ursprung haben und das Fahrrad tatsächlich in Schweinfurt erfunden wurde, ist kaum jemandem bewusst. Gut, dass es die neue Ausstellung des Stadtarchivs, gestaltet von seinem Leiter Gregor Metzig und dessen Team, an der Fassade am Friedrich-Rückert-Bau gibt.

Die ist gleich aus mehreren Gründen sehenswert: Erstens wegen der vielen historischen Bilder, die es teilweise noch nie so zu sehen gab. Außerdem wegen des neuen Konzepts, das so völlig anders und zeitgemäßer ist als das, was man von einem Archiv erwarten würde. Metzig hat die Ausstellung bewusst nach draußen verlagert: "Warum nicht die alten Fotos, Porträts, Reklameplakate nach draußen bringen, anstatt die Menschen immer reinzuholen."
So ließ man die Fassade des Rückert-Baus, in dem bekanntlich das Archiv seine Heimstatt hat, zur Kinoleinwand werden, "wo man wie bei einem alten Film als Zeitstrahl durch die Fahrradgeschichte anhand alter Motive durch die Stadt wandeln kann", wie Metzig findet. Der große Vorteil dieses Konzepts: Man kann jederzeit, Tag und Nacht, einfach vorbeischauen, sich einen Flyer nehmen, mit Informationen zu den einzelnen Motiven und "einfach kommen und staunen", was Schweinfurt in Sachen Fahrrad zu bieten hat.

Philipp Moritz Fischer entwickelte zwischen 1853 und 1860 das erste Fahrrad
Schweinfurts Fahrradgeschichte beginnt Mitte des 19. Jahrhunderts und ist untrennbar mit einem Namen verbunden: Philipp Moritz Fischer. Der gebürtige Oberndorfer war Orgelbauer und Instrumentenmacher, er ist neben vielen anderen einer dieser Menschen, weswegen Gregor Metzig von Schweinfurt als "Stadt der Erfinder und Tüftler" spricht.
Philipp Moritz Fischer entwickelte das Laufrad von Carl von Drais weiter, denn er baute als Erster drehbare Pedale an das Vorderrad. Das geschah nach den Recherchen des Stadtarchivs zwischen 1853 und spätestens 1860, also deutlich vor der Weltausstellung 1867, als das erste patentierte Fahrrad vorgestellt wurde. Weswegen die französische Hauptstadt auch als Wiege des Rads gilt und nicht Schweinfurt.

Philipp Moritz Fischer ging es um den Transport seines Materials, mit seinem Fahrrad galt er als Sonderling in der Stadt, so Archivar Metzig. Seine Werkstatt war in Schweinfurt in der Obere Straße 8 – leider gibt es nur eine kleine Plakette im Innenhof. Metzig gefällt, dass bei der Deutschland-Tour während des Prologs die 120 Fahrer an der Wiege des Schweinfurter Fahrrads vorbeisausen. "Die Stadt sollte vielleicht auch überlegen, hier mehr als diese Plakette zu machen, um an diesen Erfinder zu erinnern."
Fischers Sohn Friedrich, der spätere FAG-Gründer, war es im Übrigen, der als Fahrradbauer 1883 zum ersten Mal in der Lage war, absolut gleichmäßig geschliffene Stahlkugeln zu produzieren und so Kugellager zu bauen, die den Reibungswiderstand von Naben und Tretlagern entscheidend verringerten. Philipp Moritz Fischer kommerzialisierte seine Erfindung nicht, dennoch war es aus Gregor Metzigs Sicht "eine praktische Erfindung für den Alltag, die bis heute trägt."

Ernst Sachs steht beispielhaft für die Verbindung von Industrie und Fahrrad
Natürlich fehlt in der Ausstellung ein für den weiteren Massen-Erfolg des Fahrrads bedeutender Schweinfurter nicht: Ernst Sachs. Sein Porträt ist wie das von Philipp Moritz Fischer und des Olympia-Bronze-Medaillen-Gewinners von 1952, Edi Ziegler, an der Stirnseite des Rückert-Baus zu sehen. "Für die Verbindung zwischen Industrie und Fahrrad steht in Schweinfurt niemand anderes so beispielhaft wie Ernst Sachs", erklärt Gregor Metzig.

Sachs erfand 1903 die sogenannte Torpedo-Freilaufnabe, mit der es erstmals möglich war, dass bergab die Pedale nicht mitdrehten und es eine Rücktrittbremse gab. Die Erfindung war "innovativ und durchschlagend und begründete den Erfolg der Weltfirma Fichtel und Sachs", so Metzig.
In den historischen Bildern wird die Fahrrad-Geschichte wieder lebendig. Wie mit dem Bild, auf dem Ernst Sachs bei einem Hochradrennen auf der Radrennbahn in der Sennfelder Wiese bei den Wehranlagen zu sehen ist. Oder die Werbeplakate für die vielen Radrennen, die es ab 1909 bis 2010 in der Stadt und der Region gab. Oder die zahlreichen Firmen, beginnend 1921 mit der Gründung von Winora durch Engelbert Wiener, und heute Weltfirmen wie SRAM, Haibike oder Deutsche Dienstrad. Alles in allem eine überaus gelungene Ausstellung, die einen Besuch lohnt.