Im November vergangenen Jahres sorgte ein fraktionsübergreifender Antrag im Stadtrat für Furore – der 1958 gestorbene Großindustrielle Willy Sachs soll aus der Liste der Ehrenbürger gestrichen werden. Die Forderung fand viele Unterstützer, aber auch eine Menge Kritiker, die sich insbesondere in Leserbriefen kritisch zu dem Vorhaben äußerten.
Doch was sind die Fakten, die bisher zum Leben von Willy Sachs vorliegen? Was steht in den anerkannten Standardwerken zur Familie Sachs von Prof. Dr. Wilfried Rott ("Sachs – Unternehmer, Playboys, Millionäre") und Prof. Dr. Andreas Dornheim ("Sachs – Mobilität und Motorisierung. Eine Unternehmensgeschichte")?
Was fordern die Stadträte Julia Stürmer-Hawlitschek (SPD) und Adi Schön (FW)?
Sie stellten den Antrag, Willy Sachs posthum die Ehrenbürgerwürde zu entziehen, die er 1936 bekam. Außerdem soll das von ihm 1936 der Stadt gestiftete Willy-Sachs-Stadion, in dem der Fußball-Regionalligist FC 05 Schweinfurt seine Heimspiele austrägt, in "Sachs-Stadion" umbenannt werden, um das Wirken der Familie zu würdigen. Am Stadion soll eine Tafel angebracht werden, auf der die Hintergründe erklärt werden.

Die Antragsteller sehen Willy Sachs wegen seiner Verstrickungen mit dem nationalsozialistischen Terrorregime nicht als Vorbild an, das Ehrenbürger sein sollte. "Es geht darum zu bewerten, ob jemand, der NSDAP- und SS-Mitglied, der Protegé von Nazi-Größen und Profiteur des Nazi-Regimes war, der seine Rolle nie hinterfragt hat, in einer Stadt, in einem Land, in einer Gesellschaft, die nach etlichen Jahrzehnten endlich gelernt hat, offensiv und ehrlich und umfassend ihre Vergangenheit aufzuarbeiten und Lehren für eine stabile, freie, offene und tolerante Demokratie daraus zu ziehen, ein Vorbild sein kann und zudem ein Denkmal im Schweinfurter Stadtbild haben kann. Er kann es nicht. Willy Sachs darf kein Ehrenbürger sein", heißt es unter anderem in einem Schreiben Stürmer-Hawlitscheks und Schöns an Oberbürgermeister Sebastian Remelé (CSU).
Wer hat den fraktionsübergreifenden Antrag unterschrieben?
Klaus Rehberger für die CSU-Fraktion, Reginhard von Hirschhausen für die Grünen, Julia Stürmer-Hawlitschek und Ralf Hofmann für die SPD, Adi Schön für die Freien Wähler, Frank Firsching für die Linken, Georg Wiederer für die FDP, Christiane Michal-Zaiser für proschweinfurt und Ulrike Schneider für Zukunft./ödp. Vorgestellt wurde der Antrag bei einem gemeinsamen Pressetermin aller beteiligten Fraktionen.

Wer ist im Stadtrat dagegen und warum?
Die Fraktion der AfD ist explizit dagegen. Fraktionsvorsitzender Richard Graupner erklärte im November: "Ausgerechnet einen der verdientesten Söhne unserer Stadt soll der Bannstrahl der historischen Korrektheit treffen. Willy Sachs war ein bei den Schweinfurtern, besonders in der Arbeiterschicht, äußerst beliebter Unternehmer."
Wie ist die Position des Oberbürgermeisters und wann wird entschieden?
Ausführlich öffentlich geäußert hat sich Sebastian Remelé bisher nicht. In der Dezember-Sitzung des Stadtrates erklärte er, er werde Stadtarchivar Uwe Müller mit einem Gutachten beauftragen, das im Januar oder Februar vorgelegt werde, um dann über den Antrag zu entscheiden. Im von der Stadt herausgegebenen Bürgermagazin "Schweinfurter" erklärt der OB, er wünsche eine Versachlichung. Willy Sachs sei eine ambivalente Persönlichkeit gewesen: "Für mich kein Täter, aber ein Mitläufer; kein überzeugter Nationalsozialist, aber wie damals viele Mitglied in der NSDAP. Mit charakterlichen Schwächen, aber auch ein generöser Patriarch." Die Diskussion solle offen geführt werden.

Wieso wurde Willy Sachs 1936 zum Ehrenbürger der Stadt ernannt?
Er bekam die Ehrenbürgerwürde an seinem 40. Geburtstag, am 23. Juli 1936, für die Stiftung des Willy-Sachs-Stadions, das er bauen ließ und der Stadt schenkte.
Wie ist der Beschluss des Stadtrates 1946 zu werten, Willy Sachs nicht die Ehrenbürgerwürde zu entziehen?
In der Sitzung des Stadtrates am 2. Juli 1946, ein Jahr nach Ende des Zweiten Weltkriegs, wurden Ehrenbürger wie Adolf Hitler und andere Nazigrößen aus der Liste gestrichen. Nicht aber Willy Sachs, bei dem der im Mai 1946 gewählte Oberbürgermeister Ignaz Schön erklärte, die Verleihung sei aufgrund der Stadion-Stiftung erfolgt. Befürworter der Ehrenbürgerwürde für Willy Sachs werten diese Sitzung als nachträgliche demokratische Legitimierung.
Wie schätzt der renommierte Historiker Andreas Dornheim Willy Sachs ein?
Ein eindeutiges Urteil fällt Dornheim, dessen Buch "Sachs – Mobilität und Motorisierung. Eine Unternehmensgeschichte" von 2015 als Standardwerk gilt, nicht. Seine 79 Seiten zu Willy Sachs bringen aber Klarheit über Sachs' Verhältnis zum Nationalsozialismus und lassen gut dokumentiert erkennen, was für ein Mensch Willy Sachs war.

Warum trat Willy Sachs der NSDAP und der SS bei und wie ist das einzuschätzen?
Andreas Dornheim zitiert aus einem Brief vom 24. April 1933, den Willy Sachs an Hauptmann Hermann Köhl, einen Piloten aus dem Ersten Weltkrieg, schrieb. In diesem begründet Sachs enthusiastisch, warum er der NSDAP beitrat: aus "rein ehrlicher Überzeugung." Er sei der Bewegung Hitlers seit längerem zugetan, wolle aus dem roten ein braunes Schweinfurt machen. Er beschreibt seine Familie aufgrund ihrer Stiftungen als wahre Sozialisten und Wohltäter. Im Original des Briefes steht: "... mein Beitritt hat mit Gesinnungslumperei nichts zu tun, sondern ist aus rein ehrlicher Überzeugung erfolgt, denn diese Leute haben uns den Bolschewismus kurz vor Torschluss abgehalten und wollen auch den Hass zwischen Arbeitgeber und Arbeiter ausstreichen, wie der Führer sagt, damit wieder ein Deutschland ist und sich alles die Hände reicht." Möglicherweise war Sachs schon 1932 Mitglied der SA, kam 1933 auf Bitten von Heinrich Himmler zur SS.

War Willy Sachs antisemitisch? Worum geht es im Fall Max Goldschmidt?
Laut Andreas Dornheim finden sich in Briefen von Willy Sachs "keine hasserfüllten antisemitischen Äußerungen." Rassistische Äußerungen gebe es, "aber eher in der Form, wie sie wahrscheinlich von vielen Deutschen in dieser Zeit vertreten wurden." Das Unternehmen Fichtel & Sachs war in den 1920er-Jahren eng mit jüdischen Geschäftsleuten verbunden. Dornheim stellt aber auch fest, dass Sachs auf Appelle jüdischer Freunde oder Geschäftspartner nach 1932 nicht reagierte. Einer Vermittlung im Streit um ein Kupplungspatent des jüdischen Ingenieurs Max Goldschmidt verweigerte sich Sachs im Juli 1932. Goldschmidt wurde das Patent weit unter Wert abgekauft. Nach dem Krieg wurde Willy Sachs dazu verurteilt, dem nach London emigrierten Ingenieur eine Million D-Mark Entschädigung zu zahlen.
Warum wurde Willy Sachs nach dem Krieg von den US-Amerikanern als Mitläufer eingestuft?
Im Mai 1945 wurde Willy Sachs vom US-Militär in Oberaudorf verhaftet, bis Februar 1947 war er in Haft. Die Spruchkammer stufte ihn im Entnazifizierungsverfahren als "Mitläufer" ein, was von Historikern kritisch gesehen wird. Buchautor Rott spricht von "Weißwäsche". Es sei einer der "dunkelsten Momenten dieser Entnazifizierung" gewesen, "die sonst so beschönigend und verharmlosend ablief wie die meisten vergleichbaren Fälle." Jüdische Bekannte seien instrumentalisiert, die Arisierung des Geschäftspartners Max Goldschmidt übergangen worden. Nachdem Willy Sachs aus der Haft entlassen worden war, zog er sich mit 51 aus der aktiven Geschäftsführung zurück, wurde Vorsitzender des Aufsichtsrates.

Wie sind die hohen Spenden an die Nazis und die SS zu erklären?
Willy Sachs wollte wie sein Vater als Wohltäter auftreten, was auch seinen teils guten Ruf in der Bevölkerung bis heute erklärt. Er spendete erhebliche Summen an die NSDAP, die SS und auch an Nazi-Größen persönlich – insgesamt fast fünf Millionen Reichsmark. Nach dem Krieg behauptete Sachs' Anwalt Rudolf Diessl, die Spenden seien alle unter Zwang erfolgt. Andreas Dornheim hält das für falsch: "Gerade die hohen Spenden an die NSDAP und die SS sowie die Darlehen an SS-Führer waren kein Automatismus, sondern eine Folge der Tatsache, dass Willy Sachs freiwillig in die SS eingetreten war und sich zum SS-Führer hatte ernennen lassen."

Wie war das Frauenbild von Willy Sachs? Wie verhielt er sich wirklich?
Vor allem die Scheidung von Elinor von Opel 1935 und der Sorgerechtsstreit um die Kinder Ernst Wilhelm und Gunther wirft ein entscheidendes Licht auf den Charakter von Willy Sachs. Andreas Dornheim zitiert aus Gerichtsakten der Scheidung und aus Gesprächen mit Menschen, die Sachs persönlich erlebt hatten. Sachs' Ehe war zerrüttet, was vor allem daran lag, dass er fremdging. Es gibt eine eidesstattliche Erklärung von 1937, in der der Hauptbelastungszeuge Otto Windmiller schreibt: "Bei der Arbeiterschaft in Schweinfurt ist Herr Sachs unter dem Spitznamen "Willi der Narr" allgemein bekannt. Diesen Namen führt er wegen seiner tollen Streiche, insbesondere wegen seiner Weibergeschichten, die er sich dort zu leisten pflegt." Es sei ein offenes Geheimnis, dass Willy Sachs mit zahlreichen Frauen intime Beziehungen pflege, "durch namhafte Geschenke und Geldzuwendungen weiß er sich die Frauenspersonen geschlechtlich gefügig zu machen."
Windmiller erklärt weiter: "Es ist wiederholt vorgekommen, dass Sachs Mädchen, die seinen geschlechtlichen Genüssen nicht gefügig waren, vergewaltigt und mißhandelt hat." Er habe auf seinem Gut Rechenau Zechgelage und Orgien mit Frauen und Mädchen abgehalten. Im Scheidungsprozess wurden alle Vorwürfe von Sachs zurückgewiesen. Andreas Dornheim zitiert in seinem Buch auch ein Gespräch mit einer Bekannten von Willy Sachs über die 1950er-Jahre. Sie beschrieb den Industriellen als "typischen Grapscher", berichtete von Festen im Ruderclub, bei denen ein angetrunkener Willy Sachs unter den Tischen lag und versucht haben soll, den Mädchen mit einem Spiegel unter die Röcke zu schauen.
Der moralische Aspekt zum Handeln von Willy Sachs ist das eine Thema, es ergibt sich nach Dornheims Recherchen aber noch ein anderer in Bezug auf die Spenden, die Sachs an die SS nach 1937 überwies: "Aus juristischer Sicht ist festzuhalten, dass es sich teilweise um strafrechtlich relevante Delikte handelte. Eine versuchte oder vollendete Vergewaltigung, Notzucht, wie es früher hieß, war nach dem Reichsstrafgesetzbuch ein Straftatbestand. An dieser Stelle bekommen die Vorgänge eine politische Bedeutung: Willy Sachs war ab 1936/37 erpressbar. Die SS war nicht zimperlich, und es könnte sein, dass Willy Sachs von der SS zu hohen Spenden genötigt wurde."

Warum hat Willy Sachs das Stadion gebaut und der Stadt gestiftet?
Fußball galt den Nazis als verbindendes Element zwischen Soldaten und Bevölkerung. Willy Sachs war dem FC 05 zugetan, dessen sportliche Erfolge ließen den Bau eines Stadions sinnvoll erscheinen. Architekt war Paul Bonatz. Bei der Eröffnung am 23. Juli 1936, bei der die NS-Größen Heinrich Himmler und Hermann Göring zu Gast waren, erklärte Willy Sachs: "Diese Kampfstätte des Sports diene der Ertüchtigung einer gesunden deutschen Jugend in einem starken deutschen Vaterland."
Sport während der NS-Zeit hatte nicht die Bedeutung wie heute als Freizeit-Ausgleich. Die Funktion des Sports lag, wie Andreas Dornheim schreibt, "auch, wenn nicht gar vor allem, in der Ertüchtigung und Wehrhaftmachung des deutschen Volkes."
Was hat der Stadionbau gekostet und wie viel Geld hat die Stadt in den vergangenen Jahrzehnten investiert?
Das Stadion und die umliegenden Anlagen kosteten 1,15 Millionen Reichsmark. In Euro umgerechnet entspricht das ungefähr 282 000 Euro. Die Stadt bekam das Stadion zwar geschenkt, muss es aber unterhalten. Diese Summe beträgt nach 84 Jahren mehrere Millionen Euro. In den letzten Jahren wurden jährlich gut 500 000 Euro in den Unterhalt des Areals gesteckt. Außerdem baute die Stadt das Stadion bei Aufstiegen des FC 05 um, wie zuletzt 2001 in die Zweite Bundesliga, was damals 1,5 Millionen D-Mark kostete. Der FC 05 hat das Vorrecht, im Stadion zu spielen, zahlt aber wie alle anderen Vereine eine Nutzungsgebühr. Grundsätzlich steht das Stadion jedem Schweinfurter Verein zur Nutzung offen.
Wie steht der FC 05 Schweinfurt zum Vorschlag der Umbenennung des Stadions?
FC05-Vorsitzender Markus Wolf Wolf begrüßt die Umbenennung in Sachs-Stadion. Der Vorstand des Vereins habe sich einstimmig dafür ausgesprochen, schließlich sei der FC 05 Mitglied des Bündnisses "Schweinfurt ist bunt" sowie der Initiative "Respekt – kein Platz für Rassismus. "Wir stehen für einen respektvollen Umgang mit Sportlerinnen und Sportlern, egal, welcher Herkunft", so Wolf. Das sei nicht vereinbar mit der veröffentlichten Vita von Willy Sachs.
