Ob sie das Kopftuch (Hijab) in der Öffentlichkeit wohl ablegen sollte? Vielleicht würde das einiges erleichtern. Vielleicht bekäme sie dann ja doch noch diese Stelle als Verkäuferin, für die sie aufgrund ihres Kopfschleiers offenbar nicht in Frage kam. Es sind Gedanken wie diese, die Nila Rahimi in der Vergangenheit ein paar Mal beinahe dazu gebracht hätten, das Kopftuch abzulegen.
"Sie hatten Angst, dass Kunden wegen meines Kopftuchs böse Fragen stellen", erinnert sich die 47-Jährige an das Vorstellungsgespräch. "Ich habe mich richtig schlecht gefühlt. Aber was soll ich machen?", fragt sie. Letztlich habe sie an ihrer Entscheidung, ein Hijab zu tragen, festgehalten – und einen Arbeitsplatz gefunden, an dem das kein Problem ist.
Dennoch habe die Erfahrung sie geprägt. Ihr Wunsch: "Ich will auch hier in der Öffentlichkeit arbeiten können. Ich habe lange genug nur im Hintergrund gearbeitet. Ich will, dass die Leute mich sehen", sagt sie selbstbewusst.
Austauschen, Verständnis schaffen, Vorurteile abbauen
Von Erfahrungen wie der von Nila Rahimi berichten an diesem Morgen einige der Frauen, die zu dem gemeinsamen Frühstück in den Räumen des Vereins "Interkult – daheim in Schweinfurt", zusammengekommen sind. Unter dem Motto "Wir tragen Kopftuch - Na und?" hat der Verein im Rahmen der Schweinfurter Frauenwochen zum Austausch eingeladen.

"Sich hier wohlzufühlen, anzukommen, sich integriert zu fühlen, auszutauschen und zu merken: Ich bin anders, aber ich bin doch gleich – darum geht es", sagt Kunsttherapeutin Colette Brooks. Sie übernimmt an diesem Tag die Leitung des Austauschs.

Afghanistan, Syrien, Iran, Deutschland; Frauen mit und ohne Migrationshintergrund – die kulturellen Hintergründe, die an der Frühstückstafel aufeinandertreffen, sind vielseitig. Ebenso die Erfahrungen mit oder ohne Kopftuch.
"Ich freue mich, hier einmal in Kontakt zu kommen und vielleicht auch ein paar Vorurteile abzubauen. Ich akzeptiere, wenn Menschen ein Kopftuch tragen, und möchte verstehen, warum sie das tun ", sagt Petra N. aus Schweinfurt.
"Ich habe mich für das Kopftuch entschieden, als ich 16 Jahre alt war. In unserer Kultur ist es respektvoll, es zu tragen", sagt Nabila Khuja. Damals habe die heute 53-Jährige noch in Afghanistan gelebt. Heute zeigt sie ihre Haare hingegen offen: "In Deutschland habe ich mich mit dem Kopftuch einfach nicht mehr wohlgefühlt. Ohne fühle ich mich leichter und freier, und ich wollte mich anpassen."
"Ich lebe viele Teile meiner Religion, nur das Kopftuch trage ich eben nicht."
Nabila Khuja (53), Muslima aus Schweinfurt
Auch ihr Mann sei mit der Entscheidung einverstanden gewesen. Als Widerspruch zu ihrem Glauben sehe die Muslima die Ablehnung des Kopftuchs nicht. "Ich habe viel Respekt vor meiner Religion. Ich bete und lese den Koran. Ich lebe viele Teile meiner Religion, nur das Kopftuch trage ich eben nicht."
Die Entscheidung für das Kopftuch bringt viel Verantwortung mit sich
Auch für Layla Asef kommt das Tragen eines Kopftuchs aktuell nicht in Frage. "Ein Kopftuch bringt sehr viel Verantwortung mit sich und der bin ich einfach noch nicht gewachsen. Vielleicht, wenn ich älter bin. Vielleicht aber auch nie", sagt die 25-Jährige mit afghanischen Wurzeln.
Mit Verantwortung meint sie die Bereitschaft, sich dauerhaft an bestimmte Regeln zu halten. Im Sommer kurze Kleider tragen und im Bikini ins Schwimmbad gehen – darauf wolle sie derzeit nicht verzichten.
"Wenn ich mich für das Kopftuch entscheide, dann verzichte ich bewusst auf einige Dinge. Und dann sollte ich das auch durchziehen, sonst wäre das respektlos den Frauen gegenüber, die das bewusst tragen", sagt Layla Asef.

Die Freiheit, sich bewusst für oder gegen das Tragen eines Kopftuchs entscheiden zu können, ist immer wieder Teil der Gespräche rund um den Frühstückstisch. Einige der Frauen erinnern sich an die Zeit vor der Machtübernahme der Taliban, als Frauen in ihrem Heimatland Afghanistan weit mehr Rechte und Freiheiten genossen.
Auch für Nila Rahimi ist diese Erinnerung mit Schmerz verbunden. "Ich träume immer von dieser Zeit. Meine Kindheit war schön, es gab viele Freiheiten und jetzt ist dort alles so kaputt. Das tut weh", sagt sie.

Der Verein Interkult möchte Menschen mit Migrations- und Fluchterfahrung die Integration erleichtern, sie beim Lernen der deutschen Sprache und der Arbeitssuche unterstützen und Austausch schaffen. Viele der Frauen berichten deshalb auch von positiven Erlebnissen.
Nila Rahimi sei vor allem eines in Erinnerung geblieben: "Eine Frau hat einmal beim Einkaufen zu mir gesagt, ich sei sehr elegant und hätte ein schönes Hijab. Das hat mich wirklich sehr gefreut." Für die Zukunft wünsche sie sich vor allem eines: "Ich möchte, dass die Leute mir wegen meines Kopftuches keinen Stress mehr machen. Mensch ist Mensch, egal ob bedeckt oder unbedeckt."
Die Schweinfurter Bevölkerung, Stand 31.12.2022In Schweinfurt leben mehr als 55.700 Menschen aus 126 verschiedenen Nationen. Der Anteil an ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern liegt bei rund 23 Prozent.In den vergangenen Jahrzehnten wurde Schweinfurt in besonderem Maße von größeren Zuwanderungsströmen unter anderem aus Syrien, der Ukraine, Russland und der Türkei geprägt.So leben aktuell beispielsweise rund 1900 Menschen mit syrischer und mehr als 940 Menschen mit ukrainischer Staatsangehörigkeit in Schweinfurt.Auch internationale Studierende prägen Schweinfurt. Am stärksten vertreten sind derzeit die Herkunftsländer Indien, die Türkei, Ägypten und verschiedene afrikanische Länder, insbesondere Nigeria.Quelle: Stadt Schweinfurt