Statistiken können nur das abbilden, mit dem man sie füttert. 1957 Fälle von häuslicher Gewalt hat die Polizei in Unterfranken im vergangenen Jahr registriert. Und damit 3,4 Prozent mehr als 2016. 682 Fälle davon ereigneten sich im Bereich Main-Rhön, 2016 waren es 647. Zahlen, die Erhard Scholl und Jimmy Weber mit Vorsicht genießen. Denn, betonen die Vorsitzenden des Schweinfurter Vereins „Männer gegen Gewalt“: Die Daten dokumentieren nur, was der Polizei gemeldet wurde.
In Wahrheit liege die Zahl der Fälle, in denen Männer gegenüber ihrer Partnerin gewalttätig werden, wohl weit darüber. Häusliche Gewalt ist und bleibt ein großes Thema, das sich durch alle gesellschaftlichen Schichten ziehe.
Eines, dem sich der Verein „Männer contra Gewalt“ angenommen hat. Zweimal im Jahr öffnet er jeweils eine Gruppe für vier bis sechs Teilnehmer. In acht Sitzungen mit je zweieinhalb Stunden Zeit geht es, begleitet von zwei Sozialpädagogen, um Selbsterfahrung und Selbsterkenntnis.
Die Männer sollen lernen, ihr Verhalten zu verstehen, es zu kontrollieren, und sie sollen merken, dass sie mit ihrem Problem nicht alleine sind. Denn alle haben eines gemeinsam: sie sind gewalttätig geworden, die meisten im häuslichen Bereich. Mit Drohen, Psychoterror, Herabwürdigung – und Schlägen.
Der Impuls zurückzuweichen, auch er hatte ihn, wenn er von solchen Männern hörte, sagt Erhard Scholl, früher Leiter der Ehe-, Familien- und Lebensberatung der Diözese. Doch für ihn und die anderen Gründungsmitglieder war klar, dass eben auch diese Männer eine Stelle brauchen, die ihnen Beratung und Hilfe anbietet – klar abgetrennt zur Ehe- und Familienberatung.
Die Gruppe als erster Schritt
Acht Sitzungen – reicht das, um einen Mann, der die Grenze mindestens schon einmal, wenn nicht oftmals überschritten hat, zu ändern? Oder ihm zu helfen, sich zu ändern – kann das überhaupt gehen? Scholl und Weber, im Hauptberuf Leiter der Erziehungsberatungsstelle der Stadt, zögern etwas mit der Antwort. „Eine Sternstunde für uns ist es, wenn einer sagt, dass er eine Therapie braucht“, sagt Scholl.
Verhalten, das über Jahrzehnte hinweg gelebt wurde, lasse sich natürlich nicht von heute auf morgen ändern, meint Weber. Denn oft hat die Gewalt die Betreffenden schon ein Leben lang begleitet.
Viele der Männer, die schlagen, haben selbst Gewalt erlebt, daraus ein bestimmtes Verhalten entwickelt. Wer laut wird, wird gehört. Wer Aufmerksamkeit will oder seinen Willen durchsetzen möchte, muss gewalttätig sein. Das hat sich in diesen Männern verankert. Und ist ebenso falsch wie schwierig zu verändern.
Wenn Menschen gewalttätig werden, sei das, so Weber im Grunde ein Ausdruck von Hilflosigkeit, tiefer Verunsicherung. Sie müssten lernen, dass sie auch gehört werden, wenn sie normal mit Menschen reden, dass sie etwas tun, sich anders verhalten können. Auch in schwierigen, stressigen Situationen, sagt Scholl. Die Therapeuten können Möglichkeiten zur Selbstkontrolle aufzeigen. Auch Erfahrungen der Gruppe könnten helfen. Den persönlichen Weg aber müsse jeder selbst finden.
Es sei schon viel gewonnen, wenn der Betreffende in der Gruppenarbeit erkenne, warum er in bestimmten Reaktionen so reagiert, wie sein Verhalten, seine Wortwahl auf andere wirken und wann der Punkt gekommen ist, an dem er gegensteuern muss, sagen Weber und Scholl. Der Punkt, an dem er überkocht, und nach dem es keine rationalen Entscheidungen mehr gibt.
Zwei Drittel kommen freiwillig
Zwei Drittel der Teilnehmer des Anti-Gewalttrainings kommen freiwillig, die anderen werden von Anwälten geschickt, von denen mancher auf ein mildes Urteil hofft, oder vom Gericht, dass an eine Bewährungsstrafe die Teilnahme an der Gruppe von „Männer contra Gewalt“ geknüpft hat.
Für alle gilt: Nur, wenn die Bereitschaft erkennbar ist, werden die Männer aufgenommen. 120 Euro muss der Einzelne für die acht Sitzungen zahlen, den Rest der Kosten und damit den größten Teil, trägt der Verein. Was, so sagt Scholl, oft eine finanzielle Zitterpartie ist. Neben den Mitgliedsbeiträgen kommen Gelder nur durch Zuweisungen herein, wenn Gerichte Bußgelder aussprechen und diese dem Verein zuweisen. Finanzielle Unterstützung erhofft man sich nun von Stadt und Landkreis. Mit dieser Hilfe könne vielleicht auch im Bereich der Aufklärung – zum Beispiel an Schulen – noch mehr gemacht werden, sagt Scholl.
„Männer contra Gewalt“ Gegründet wurde der Verein 2001 aus der Psychosozialen Arbeitsgemeinschaft „häusliche Gewalt“ heraus, dessen Mitglieder sich bis heute treffen. Ein runder Tisch aus allen, die mit dem Thema in der Region zu tun haben – von der Polizei über Vertreter von Beratungsstellen bis hin zu Rechtsanwälten. Mitglied sind 25 Männer – die meisten von ihnen arbeiten im therapeutischen Bereich, sind Psychologen, Ärzte, Sozialpädagogen. Neben den Gruppenkursen organisiert der Verein auch Vorträge, die sich mit Gewalt im weitesten Sinne beschäftigen, wie zuletzt dem Thema Gewalt im Netz. Kontakt via Mail unter info@maenner-contra-gewalt.de und Tel. (0700) 60 60 60 11