Man soll ja den Wettergott nicht ständig bemühen und auch den guten alten Petrus nicht immer dafür verantwortlich machen, wenn einem das Wetter nicht passt. Aber falls es eine höhere Instanz gibt, die gutes und schlechtes Wetter verteilt, dann hatte die am Samstagabend maximales Einsehen mit den Wipfeldern.
Noch eine Stunde vor Spielbeginn hatte es beinahe wie aus Eimern geschüttet, dann zweieinhalb Stunden angenehmer Frühlingsabend. Der tosende Schlussapplaus gegen 22.15 Uhr war noch nicht verklungen, als wieder die ersten Regentropfen den inzwischen leidlich getrockneten Wipfelder Marktplatz benetzten. Das nennt man wohl „himmlische Belohnung“.
In jeder Hinsicht hervorragende und professionelle Umsetzung
Monatelang hatten der künstlerische Leiter Max Sauer und die für die Dramaturgie zuständige Corinna Huber mit den Wipfelder Laienschauspielern für „(M)ein Stück Dorf“ geprobt und dabei erstaunliche Talente zu Tage gefördert. Der Schauspielunterricht hat sich unzweifelhaft gelohnt. Was das Team da bot, wäre mit dem Begriff „Laientheater“ sträflich unterbewertet. Sprache, Mimik, Musik und die gesamte Dramaturgie dieses Stückes wären auch im größeren Rahmen gut aufgehoben. Und doch ist „(M)ein Stück Dorf“ ein Schauspiel, das so nur in Wipfeld funktioniert – das aber hervorragend.
Texter und Schauspieler haben sich viele Gedanken gemacht, was man denn auf die Bühne bringen könnte und man ist bei einem Thema gelandet, wie es „Wipfelderischer“ gar nicht hätte sein können: der Fähre, oder – je nach Sichtweise – der fehlenden Brücke. Im Gemeinderat haben sich zwei Fronten gebildet. Während die eine Fraktion um den stets auf seinen Vorteil bedachten Gemeinderat Klaus (Michael Gröger) die Meinung vertritt, dass Wipfeld ohne Brücke über den Main – am besten mit Weinausschank – keine Zukunft hat, vertritt Gemeinderat Hans (Stefan Baumgärtner) die Seite der aufrechten Wipfelder, die der Meinung sind, dass es gerade die Fähre ist, die die Gemeinde einmalig macht. Gemeinderat Konni (Stefan Volkmuth) versucht mit Küchenlatein und viel Frankenwein die Wogen zu glätten, während die sich intellektuell gebende Rätin Uschi (Carolin Schneider) immer wieder darauf beharrt, dass sie eigentlich Ursula heißt.
Der „neigschmeckte Schwanfelder“
Und da keine gute Geschichte ohne emotionale Komponente, sprich eine Liebesgeschichte auskommt, gibt es noch Jutta (Verena Volk), die Tochter des streitbaren Winzers und Gemeinderates Hans, die sich ausgerechnet in den „neigschmeckten Schwanfelder Steinmetz“ Rudi (Bernd Schneider) verguckt hat. Ihrem Glück steht nicht nur der Herr Papa im Weg, sondern auch das Fehlen eines Bauplatzes, um sich darauf ein Nest für die gemeinsame Zukunft zu bauen. Was anhand der Geschichte vielleicht nach flottem Dreiakter klingt, wurde aber ganz anders und in jeder Hinsicht gekonnt und modern präsentiert.
Man muss sich vor Augen halten: Alles wurde selbst gemacht und erarbeitet. Das gilt nicht nur für die munteren Texte, die gerne und wenn es zur Rolle passte in Wipfelder Mundart präsentiert wurden, sondern vor allem auch für das hervorragende Bühnenbild (Rolf Schramm). Eine riesige Weinkiste bildete die ganze Bühne. Reduziert aber sachdienlich wurden alle für das Schauspiel benötigten Requisiten aus Wipfelder Weinkisten zusammengezimmert. Das gilt für die Tische der Gemeinderäte genauso wie für den Tragekorb des mobilen Bäckers, oder die Plakatwände, die bei einer „Demo gegen den Brückenbau“ die Bürger auf den Plan riefen.
Nach dem Motto „Was knattert so früh auf dem Main im Wind, es ist die Fähre – des Wipfelders liebstes Kind“ haben sich nämlich die meisten Wipfelder auf der Seite der Fähren-Befürworter eingefunden, die für den Erhalt dieses Kulturgutes auch auf die Straße gehen. In einer Bürgerversammlung, in der die Wipfelder im Sinne der Geschäftemacher für die Brücke begeistert werden sollten, wurde gar das Publikum mit einbezogen. In das Credo der Gegendemonstranten „Ihr Gemeindekrücken, wir brauchen keine Brücken“, fielen alsbald die begeisterten Zuschauer mit ein.
Der Mainsteinunke sei Dank
Die Wipfelder Bühnen-Bürgermeisterin (Kerstin Korbacher) musste schließlich ihre Pläne nicht nur wegen des Bürgerwiderstandes, sondern auch aus Gründen des Naturschutzes (Mainsteinunke und Feldhamster wurden im geplanten Brückenbaugebiet gesichtet ) vorerst zurückziehen.
Das Ende bleibt offen. „(M)ein Stück Dorf“ wirft einen Blick auf Wipfeld, der zwar von der Wirklichkeit inspiriert ist, aber weit mehr zeigt als die Belange eines kleinen Ortes. „Zwischen Weinkisten, Küchenlatein, Mainsteinunken und Besuchen aus der Vergangenheit versucht es zu erfassen, was das Dorf in seinen Eigenheiten auszeichnet und so liebenswert macht“, heißt es dazu treffend im Programmheft. Bei aller wirklich guten und kurzweiligen Unterhaltung liefert das Stück auch so manchen Denkanstoß für den Spagat zwischen Tradition und Moderne.
Fazit: Ein außergewöhnliches Stück, das der 1100-Jahrfeier in Wipfeld ein I-Tüpfelchen aufsetzt und dem in jeder Minute die Handschrift der begleitenden Theater-Fachleute anzumerken ist. Schade ist eigentlich nur eins: Die Aufführung war einmalig und das in jeder Hinsicht.
Die Mitwirkenden Als Schauspieler: Daniel Grob, Leonhard, Schneider, Clemens Schneider, Michael Gröger, Kerstin Korbacher, Stefan Baumgärtner, Stefan Volkmuth, Claudia Grob, Carolin Schneider, Bernd Schneider, Verena Volk, Tamara Römer, Petra Schneider, Harald Weltner, Martina Weiß, Thomas Papst, Ingbert Schneider. Als Statisten: Fabienne Dittmann, Stefan kestler, Michael Korbacher, Maximilian Löber, Marlene Reichert, Julia Schäfer, Anni Seufert. Textgruppe: Claudia Grob, Corinna Huber, Thomas Papst, Bernd Schneider, Carolin Schneider, Stefan Volkmuth, Martina Weiß. Kostüme: Lissi Fackelmann, Kerstin Korbacher, Sonja Reichert, Tamara Römer, Julia Schneider, Stefanie Sprenger, Kathrin Thaler, Verena Volk. Technik: Mitch Blattner, Tobias Blesch, Johannes Dittmann, Michael Korbacher, Tobias Lother, Sascha Römer, Jona Rumpel, Philipp Volk, Stefan Weidinger. Bühnenbild: Michael Korbacher, Hannah Schmotz, Laura Schneider, Ralf Schramm, Stefanie Sprenger, Kathrin Thaler. Max Sauer (künstlerische Leitung), Corinna Huber (Dramaturgie), Ralf Schramm (Bühne). Weitere: Christine Leers, Laurenz Lorch, Mona Müller (Workshopleitung), Mona Müller, Max Sauer (Ticketing).