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Schweinfurt: Zeichen setzen: Sprechstunden für Menschen am Rande

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Zeichen setzen: Sprechstunden für Menschen am Rande

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    Der Blutdruck von Diakoniechef Jochen Keßler-Rosa sind in Ordnung. Dr. Rosemarie Klingele prüft in ihrer Ehrenamtspraxis die Werte aber lieber noch mal nach.
    Der Blutdruck von Diakoniechef Jochen Keßler-Rosa sind in Ordnung. Dr. Rosemarie Klingele prüft in ihrer Ehrenamtspraxis die Werte aber lieber noch mal nach. Foto: Hannes Helferich

    Einige Male unterbricht Handyläuten das Gespräch mit Dr. Rosemarie Klingele. Am anderen Ende: Patienten. Einer fragt wegen einer Überweisung nach, ein anderer will etwas zum unentgeltlich zur Verfügung gestellten Medikament wissen. Seelenruhig klärt die 84-jährige Ärztin auf, während draußen auf der Terrasse ihrer Ehrenamtspraxis in den Räumen der Sozialen Dienste der Diakonie Schweinfurt schon ein Wohnsitzloser wartet.

    Jeden Dienstagvormittag hält Rosemarie Klingele hier seit 2019 Sprechstunden für Menschen am Rande der Gesellschaft ab. Menschen, die wohnungslos, auf der Durchreise, auf der Flucht oder nicht krankenversichert sind. Im Mittelpunkt steht „der Mensch, der keinen Zugang zu ärztlicher Versorgung hat, nach den Gründen fragen wir gar nicht“, sagt Diakoniechef Jochen Keßler-Rosa. Mit der sozialpädagogischen Beratung nebenan könne so eine wichtige präventive Versorgung erfolgen.

    Es begann mit Flüchtlingen

    Rosemarie Klingele und die Diakonie kamen 2015 erstmals zusammen. Ihr inzwischen gestorbener Ehemann Herbert Klingele war Chefarzt für Strahlentherapie am Leopoldina Krankenhaus. Wegen eines Engpasses überredete er in den 1980ern seine Frau, eigentlich gelernte Kinderärztin, vorübergehend auszuhelfen. Das „Vorübergehend“ dauerte dann ein wenig länger, lacht Klingele, die in ihrer hauptberuflichen Zeit dann auch die Nuklearmedizin am Leo leitete. Bis 2012 hat sie dort gearbeitet, also noch weit über das Ruhestandsalter hinaus.

    Immer wieder holen sich Patienten telefonischen Rat von Dr. Rosemarie Klingele
    Immer wieder holen sich Patienten telefonischen Rat von Dr. Rosemarie Klingele Foto: Hannes Helferich

    „Ich war mein Leben lang Medizinerin“, sagt sie und begründet damit auch ihr anhaltendes ehrenamtliches Engagement, das einen weiteren Grund hat: Die soziale Grundeinstellung von ihr und ihrem Mann. „Wir haben immer versucht, über den Tellerrand zu schauen“, sagt sie bescheiden und meint die von beiden in Afrika und Mittelamerika geleistete Entwicklungshilfe. Noch heute hat sie enge Verbindung zu den Hilfsprojekten. Ihre englischen wie französischen Sprachkenntnisse waren dort und sind aktuell hilfreich.

    2015 dann der Flüchtlingszustrom. Die Diakonie suchte nach ehrenamtlichen Medizinern für die Geflüchteten in den Conn Barracks, die damals noch Gemeinschaftsunterkunft der Regierung von Unterfranken waren. Rosemarie Klingele meldete sich. Vier Jahre betreute sie dort Flüchtlinge, dann wechselte das Ankerzentrum von der Ledward-Kaserne in der Stadt in die Conn-Kaserne im Landkreis und Rosemarie Klingele war nicht mehr gefragt.

    Geräte und Möbel hat sie selbst zusammengesammelt

    Bei der Diakonie macht sie aber weiter als Ärztin für alle benachteiligten Menschen, die mit dem Angebot nun einen Zugang zum Gesundheitssystem erhalten. Die Praxis An die Schanzen 6 ist eigentlich nur ein Raum. Was sich darin befindet, hatte Klingele für die Flüchtlingsunterkunft selbst mühsam zusammengesammelt, weil es von der Regierung keine Unterstützung gab: Behandlungsliege, medizinische Geräte, Waage, Rollcontainer mit Verbandsmaterial und Desinfektionsmitteln. Die kostenlosen Medikamente sind in der Schrankwand untergebracht.

    Die Ärztin unterstützen die ehemaligen Krankenschwestern Hilde Hofmeister und Herlinde Heinisch und die Ex-Arzthelferin Florence Kreiselmeier. Sie waren ihrerseits dem Aufruf der Diakonie gefolgt. Die Sozialpädagogin Catrin Sauer, bei der Diakonie zuständig für die Sozial- und Energieberatung sowie für Wohnungslose, kümmert sich um alles Administrative. Über sie auch erfahren Wohnsitzlose oder Tafelscheinberechtigte von der Existenz der Ehrenamtspraxis. „Zeitung haben diese Leute ja nicht.“

    Dankbar ist Rosemarie Klingele für die regelmäßige Unterstützung durch die allgemeinmedizinische Praxis Leibold/Hezner. Erst kürzlich wieder. Die Ärztin erklärte sich bereit, bei der Tafel zu impfen. Zum Impfstoff von Johnson&Johnson verhalf die Praxis in der Gartenstadt. Eine Praxis-Kollegin half sogar beim Impfen für 56 nun Geschützte. Bewusst hatte Klingele diesen nur einmal nötigen Impfstoff ausgewählt.

    Helfen, wo andere es nicht tun

    Kleine Fälle behandelt Rosemarie Klingele selbst, etwa die seit Tagen andauernden Kopfschmerzen eines Patienten. Einem anderen verabreicht sie blutdrucksenkende Mittel, beim dritten kommt das Blutzuckermessgerät zum Einsatz. Oft ist das Medizinische nicht der Hauptgrund. Dann ist Zuhören nötig, was Zeit bedeutet, die Rosemarie Klingele aber investiert. Wenn´s fachmedizinisch wird, schickt die Ärztin gezielt weiter an Kollegen. Sie stellt Kontakte zu Apotheken und im Bedarfsfall zu den Krankenhäusern her.

    Ihr Netzwerk ist eng, sagt Catrin Sauer, die das problemlose Miteinander hervorhebt. Kirchliche Sozialarbeit ist für den Diakonie-Geschäftsführer Keßler-Rosa „dort zu agieren, wo leider nicht ausreichend agiert wird“, mit der Ehrenamtspraxis leiste man das, „unbürokratisch“, betont er. Zudem sei Klingeles qualifiziertes und effektives Handeln nah am Menschen auch eine Entlastung der niedergelassenen Ärzte. 2018 erhielt die Ärztin den Bayerischen Verdienstorden. Ihr damit gewürdigtes Engagement für die Vergessenen, Vernachlässigten und Verzweifelten wird noch ein bisschen andauern. Klingele: „Solange es geht, werde ich weitermachen.“

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