Wo lässt es sich am besten einsteigen, um Jeremias Finster und sein Unternehmen vorzustellen? In Brüssel? In Nordschweden, innerhalb des Polarkreises? Auf dem Jakobsweg, in Spanien? Oder zuhause, vor der Haustür, in der Hörnau in Gerolzhofen? Alles würde passen. Doch beginnen wir in Lissabon. Dort feierte der 27-Jährige aus Gerolzhofen vor zwei Jahren den Abschluss seines Master-Studiengangs International Management.
Als die Feier zu Ende war, sprach er im Morgengrauen mit einem Kommilitonen über eine Geschäftsidee. Nach einem zweistündigen Plausch war klar: Beide liegen auf einer Wellenlänge. Ab Herbst 2022 folgten regelmäßige Videokonferenzen, dann wöchentliche Treffen. Vor einem Jahr waren sie so weit: Am 23. März 2023 gründeten sie ihr Unternehmen "Atacama New Vision GmbH".
Wobei formal betrachtet ist Finster deren alleiniger Geschäftsführer. Geschäftssitz ist Gerolzhofen, von wo Finsters Eltern stammen und er noch nicht lange lebt. Aufgewachsen ist er in Nürnberg. Sein Partner, ein gebürtiger Ungar, der in Deutschland lebt, tritt namentlich noch nicht in Erscheinung. Er hat eine Festanstellung und möchte nicht, dass sein Arbeitgeber über Umwege davon erfährt, dass er sich in Kürze ganz ihrer gemeinsamen Geschäftsidee zuwenden möchte.
Wasserstoff spielt eine zentrale Rolle
Im Kern geht es dabei darum, dass Finster und sein Partner Konzepte entwickeln, wie sich wirtschaftliche, aber auch soziale und gesellschaftliche Ressourcen einer Region so miteinander verknüpft lassen, dass alle nachhaltig davon profitieren. Eine zentrale Rolle spielt dabei der Einsatz von Wasserstoff, einem grünen Energieträger.
Finster beschreibt das als "ganzheitliche Perspektive". Er verdeutlicht das mit einem Beispiel aus dem äußersten Norden Schwedens. Dort soll ein Stahlwerk künftig fast ohne den Ausstoß klimaschädlicher Abgase auskommen, mithilfe von Wasserstoff, der aus regenerativer Energie erzeugt wird. Um das Gesamtpotenzial des Milliarden-Projekts, von dem sich die schwedische Regierung laut Finster 2500 neue Arbeitsstellen in der abgelegenen Region verspricht, zu erfassen, wurde eine Studie ausgeschrieben. Atacama New Vision erhielt den Zuschlag.

In der ab April 2023 in knapp drei Monaten gefertigten Studie zeigten Finster und sein Partner auf: Die bei der Elektrolyse, dem Herstellen von Wasserstoff, anfallenden Nebenprodukte Wärme und Sauerstoff stellen vor Ort eine "riesige Ressource" dar. Mit ihnen könnten etwa Gewächshäuser in der unwirtlichen Bergbauregion nördlich des Polarkreises betrieben werden, in denen – so eine Prognose – 20 Prozent der in Schweden verbrauchten Tomaten wachsen. Der bei der Elektrolyse abfallende Sauerstoff könnte eine landbasierte Fischzucht ermöglichen.
Studie weckt das Interesse der Nachbarn
Diese in ihrer Vorstudie vorgestellten Aussichten stießen laut Finster auch in Nachbarregionen auf offene Ohren. Dort könnte Ähnliches entstehen, und am Ende in größerem Rahmen den Ausbau von Infrastruktur erfordern, etwa von Eisenbahnnetzen, um Gemüse abzutransportieren.

Mit solchen, wie Finster es nennt, "grünen Clustern" in Verbindung mit Wasserstoff beschäftigt sich der Jungunternehmer schon länger. Nachdem er International Business Studies an der Uni Erlangen-Nürnberg studiert und seinen Master in Mailand (Titel seiner Masterarbeit: "Grüne Wasserstoff-Cluster in Chile") abgeschlossen hatte, hat er für ein Energieunternehmen in Brüssel gearbeitet, das mit Wasserstoff handelt.

Während einer Auszeit pilgerte er auf dem Jakobsweg. Dabei wuchs in ihm der Entschluss, sich beruflich zu verändern. Das war rückblickend die Keimzelle, die zur Unternehmensgründung führte.
Grünes Stahlwerk in Asturien
Aktuell beschäftigen ihn zwei Projekte. Das eine ist vergleichbar mit der Studie für die nordschwedische Bergbauregion. Nur liegt der Auftraggeber viel weiter südlich, im spanischen Asturien. Auch dort soll ein Stahlwerk mithilfe von Wasserstoff möglichst klimaneutral werden.
Das andere Projekt läuft zusammen mit einer Ausgründung der Uni Würzburg. Es wird eine Software entwickelt, die ihren Kundinnen und Kunden Modelle an die Hand gibt, deren Parameter veränderbar sind, erläutert Finster. Kundinnen und Kunden könnten dann wirtschaftliche Entwicklungen in ihrer Region nachsteuern. Bis Ende April soll es ein Vorführmodell der Software geben – rechtzeitig zur "Munich Creative Business Week" Mitte Mai, auf der Finsters Unternehmen sich präsentieren darf.

Finster sieht Atacama New Vision nicht als klassisches Start-up, das möglichst rasch an Wert gewinnen soll, um es möglichst profitabel zu verkaufen. "Wir suchen auch nach keinem Investor", sagt der Jungunternehmer. Ziel sei es, eher qualitativ zu wachsen, nachhaltig. Ein Wunschpartner, meint Finster, brächte nur so viel Geld mit, dass er sich nicht die Macht erkauft, das Unternehmen eigenen Bedingungen zu unterwerfen.
Menschen in der Region kommen zu Wort
Zu seinen Geschäftsvorstellungen zählt auch, dass er sich im April die Zeit nimmt, für vier Wochen nach Asturien zu fahren, um sich dort für die beauftragte Studie umzuschauen. Finster, der neben Spanisch auch Englisch, Französisch und Italienisch fließend spricht, und ein bisschen Holländisch, möchte vor Ort auch mit den Menschen reden. Deren Ansichten und Ansprüche möchte er berücksichtigen. Betroffene einzubinden und sie mitgestalten zu lassen, sei für ihn ein zentraler Ansatz, sagt Finster.

Ebenso wichtig sei es, möglichst alle Prozesse und Zusammenhänge in einer Region zu erkennen und zu berücksichtigen, wie im Bereich Energie oder (Land)Wirtschaft. Solche Anforderungen könnten verantwortliche Stellen der Regionalverwaltungen, die personell dafür nicht ausgestattet sind, normalerweise nicht leisten, sagt Finster.
Fluss macht nicht an Grenzen halt
Um die beschriebenen Zusammenhänge zu erkennen, spielen für ihn politische Grenzen und Zuständigkeiten zunächst keine Rolle, wenn er eine Region betrachtet. Deutlich macht er dies mit dem Lauf eines Flusses: Egal, was an welcher Stelle auch immer passiert, es wirke sich auf alle Anrainer aus, egal um welches Land es sich handelt. Also müsste ein Konzept immer den kompletten Flusslauf berücksichtigen, und nicht an Grenzen haltmachen.

Solche Erkenntnisse gewinnt der 27-Jährige unter anderem bei seinen regelmäßigen Rundgängen in Richtung Hörnau, entlang des Volkach-Baches und in den Alleen an der Gerolzhöfer Stadtmauer. Diese Zeit nutzt er für Geschäftsgespräche. Das Format bezeichnet er für sich als "Walk'n'Talk". Es hat ihn in seinem Leben schon weit gebracht. Was er sich noch wünscht: Einen Beraterauftrag für eine Region in Mainfranken.