Mit ihrer Rente liegt Margarete Rodamer knapp über der Armutsgrenze. Damit ist die 82-jährige Seniorin aus Würzburg nicht allein. Nach Daten des Statistischen Bundesamts waren im Jahr 2021 in Deutschland 26 Prozent der Frauen und 19,5 Prozent der Männer über 65 Jahren armutsgefährdet.
Gerade Frauen sind häufig von Altersarmut betroffen: Der Verdienstunterschied zu Männern im Berufsleben bewirkt am Ende auch eine Lücke bei ihren Renten. Nach einer aktuellen Studie der Universität Köln für das Bundesfamilienministerium liegt die Rente von Frauen im Durchschnitt 46 Prozent unter der von Männern. Besonders schwierig ist demnach die Lage vieler Seniorinnen über 80 Jahren. Jede vierte von ihnen lebt unterhalb der Armutgefährdungsgrenze.
Im Interview schildert die Würzburgerin, wie sie über die Runden kommt, warum sie an Ministerpräsident Markus Söder geschrieben hat - und wie sie es mit 82 Jahren meistert, sämtliche Anträge auf Mietzuschuss oder Kostenübernahme für Zahnersatz zu stellen.
Frage: Frau Rodamer, wie viel Rente bekommen Sie?
Margarete Rodamer: 33 Jahre habe ich Vollzeit gearbeitet und liege nun mit meiner Rente knapp über der Armutsgrenze. Den genauen Betrag möchte ich nicht öffentlich sagen. Ich wohne berechtigt im Sozialen Wohnungsbau und ich bekomme Mietzuschuss. Doch Mietzuschuss ist wie Russisch Roulette: man bekommt ihn, man bekommt ihn nicht. Mein Antrag auf Mietzuschuss 2023 umfasst 38 Seiten plus Belege, plus Begleitschreiben. Leider bin ich chronisch krank, leide an einer Nierenschwäche, bin Schmerzpatientin und Diabetikerin, daher habe ich hohe Kosten für Ärzte und Medikamente. Ich muss jeden Cent umdrehen, um über die Runden zu kommen. Weil ich alleinstehend bin, lebe ich von meiner Altersrente - ohne Mütter- oder Witwenrente.

Warum fällt Ihre Rente so gering aus?
Rodamer: Gelernt habe ich Kauffrau und viele Jahre habe ich als Disponentin gearbeitet, ja sogar die Anzeigenwerbung für die 63 Filialen eines Lebensmittelmarktes koordiniert. Mein erster Lohn waren 40 D-Mark im Monat. Danach habe ich lange Zeit 200 D-Mark bekommen. Wir Frauen wurden schon immer schlecht bezahlt, aber die Arbeit durften wir machen. Oft war ich am Abend noch dagesessen. Ich habe wirklich Leistung gebracht am Arbeitsplatz. Meine Schwester, die mittlerweile verstorben ist, hat vier Jahrzehnte lang als Hauswirtschafterin in verschiedenen Haushalten gearbeitet. Ihre Rente betrug - nach 40 Arbeitsjahren - nicht einmal 800 Euro. Wir Frauen wurden benutzt und ausgenutzt.
"Wir Frauen wurden benutzt und ausgenutzt."
Margarete Rodamer über das Arbeitsleben und den Lohn
Haben die Männer im gleichen Job damals mehr verdient?
Rodamer: Frauen durften bis 1962 ohne Erlaubnis ihres Ehemannes nicht mal ein eigenes Konto eröffnen. Bis 1977 durften Ehefrauen ohne Zustimmung des Mannes noch nicht einmal arbeiten. Für die meisten Frauen im Einzelhandel war der Verdienst nur ein Zubrot. Aber die Männer, die genau die gleiche Arbeit gemacht haben, haben von Anfang an mehr verdient als wir Frauen. Die Männer machten Karriere und wurden überdurchschnittlich gut bezahlt, im Gegensatz zu uns Frauen. Das habe ich schon bald mitbekommen. Es ist so ungerecht!

Unglaublich. Konnten Sie sich nicht für einen anderen Job bewerben?
Rodamer: Damals war es gar nicht so einfach, überhaupt einen Job zu finden. Später habe ich mich immer wieder erfolglos um Umschulungen bemüht. Es ist nicht so, als ob ich nichts gemacht hätte. Ich war auch bei meinem Vorgesetzten und habe ihn um Lohnerhöhungen gebeten. Nicht nur einmal, immer wieder. Er hat das aber immer abgelehnt. Mit 50 Jahren wurde ich sehr krank, war sehr viel in Kliniken. Schließlich musste ich auch vorzeitig aus dem Berufsleben ausscheiden.
Was würden Sie jungen Frauen aus heutiger Sicht raten?
Rodamer: Eine gute Ausbildung ist extrem wichtig und überhaupt die Berufswahl. Auch heute noch arbeiten viel zu viele Frauen in schlecht bezahlten Berufen, als Friseurin, als Erzieherin oder in der Pflege. Lasst euch nichts mehr gefallen und verlangt die gleichen Gehälter und die gleichen Aufstiegschancen wie die Männer!

Sie haben keine Familie. Wer unterstützt Sie?
Rodamer: Ich habe zum Glück gute Freundinnen und Freunde, die für mich da sind und mir immer wieder helfen. Ohne sie hätte ich schon Privatinsolvenz anmelden müssen. Es ist beschämend und es ist schlimm, was uns alten Menschen alles zugemutet wird. Meine Mutter wäre nie aufs Sozialamt gegangen. Sie hat sechs Kinder geboren und sie hat uns mit Putzjobs durchgebracht. Ich gehe aufs Sozialamt, auch wenn es mich sehr viel Kraft kostet. Gerade mussten mir zwei Zähne gezogen werden und jetzt kämpfe ich seit Wochen mit der Krankenkasse, um die Kostenübernahme für den Zahnersatz.

Wie schaffen Sie es, all diese Anträge zu schreiben?
Rodamer: Alle Anträge schreibe ich handschriftlich, denn ich habe weder einen Computer, noch Internet. Um überhaupt den Ämtern alle Kopien und Anlagen zu liefern, habe ich mir per Ratenzahlung einen Kopierer gekauft. Ich habe Briefe Schreiben gelernt, ich kann das. Jede Woche sitze ich zwei bis drei Stunden da und mache das. Für die meisten älteren Menschen ist das zu viel.
Nützen Sie das Angebot der Tafeln?
Rodamer: Wir älteren Menschen können eigentlich nicht zur Tafel gehen. Das ist für uns zu belastend und oft sind die Tafeln in einem anderen Stadtteil. Ich schaffe es zum Beispiel nicht, mich stundenlang anzustellen. Das geht einfach nicht. Da müsste es ein anderes Konzept geben.
Wie und wo sparen Sie?
Rodamer: Ich war im Lebensmittelhandel tätig. Daher gefällt es mir, Angebote zu vergleichen. Und gerade habe ich Haferflocken aus dem Angebot gekauft. Ich kaufe wirklich nur nach Angeboten. Kleidung kaufe ich gebraucht, ich gehe fast nie zum Friseur und spare auch sonst, wo ich nur kann.
"Ich kaufe wirklich nur nach Angeboten."
Margarete Rodamer über ihre Möglichkeiten zu sparen
Sie haben einen Brief an Ministerpräsident Markus Söder geschrieben und ihm Ihre finanzielle Situation geschildert. Was möchten Sie damit erreichen?
Rodamer: Für die vor 1945 Geborenen also für die Kriegskinder möchte ich erreichen, dass wir nicht jedes Jahr für eine Berechtigung für den Sozialen Wohnbau aufs Sozialamt laufen müssen, dass wir nicht jedes Jahr einen neuen Antrag auf Mietzuschuss stellen müssen. Ich fordere für die Kriegskinder ein Grundeinkommen aus eigener Altersrente und plus einer zusätzlichen Grundrente von Staat von mindestens 1300 Euro.

Hat Herr Söder Ihnen geantwortet?
Rodamer: Er oder sein Büro haben geantwortet. So eine Idee sei nicht umsetzbar und würde von der Bevölkerung nicht akzeptiert. Schade.
