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Würzburg/Schweinfurt: 5 Strategien gegen Flächenfraß in Unterfranken: Diese Gemeinden zeigen, wie es geht

Würzburg/Schweinfurt

5 Strategien gegen Flächenfraß in Unterfranken: Diese Gemeinden zeigen, wie es geht

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    Mit einer Drohne ist diese Aufnahme von oben von Bischofsheim in der Rhön entstanden. Die Stadt am Kreuzberg versteht es, seit Jahrzehnten Innen- vor Außenentwicklung zu betreiben.
    Mit einer Drohne ist diese Aufnahme von oben von Bischofsheim in der Rhön entstanden. Die Stadt am Kreuzberg versteht es, seit Jahrzehnten Innen- vor Außenentwicklung zu betreiben. Foto: Daniel Fergerson

    Allein im Jahr 2020 sind in Unterfranken laut Statistischem Landesamt 170 Hektar naturbelassene oder landwirtschaftliche Fläche verschwunden - das entspricht etwa 238 Fußballfeldern. Entstanden sind dort neue Siedlungen, Straßen, Industrieflächen oder Sportplätze. Mehr als die Hälfte dieses neu genutzten Bodens wird im Durchschnitt in Bayern versiegelt, also asphaltiert oder überbaut. Demnach wurde in der Region im Jahr 2020 eine Fläche von mindestens 119 Fußballfeldern versiegelt. Auf der restlichen neu entstandenen Siedlungs- und Verkehrsfläche sind heute Gärten, Sportplätze oder Grünstreifen.

    Anne Weiß, Flächensparmanagerin der Regierung von Unterfranken, warnt: "Der Boden, den wir überbauen, ist nicht nur das Geld wert, das man aktuell an diesem Standort bezahlt." Der Flächenverbrauch wirke sich auch auf den Wasserhaushalt aus. "Wir brauchen den Boden für die Grundwasser-Neubildung, damit Niederschlagswasser versickern kann und im trockenen Unterfranken genügend Wasser zur Verfügung steht", sagt die Geografin.

    Geografin Anne Weiß ist Flächensparmanagerin der Regierung von Unterfranken.
    Geografin Anne Weiß ist Flächensparmanagerin der Regierung von Unterfranken. Foto: Johannes Hardenacke

    Und auch Stefan Köhler, Präsident des Bayerischen Bauernverbands (BBV) in Unterfranken, bedauert die Umwandlung der Flächen: "Es werden auch sehr fruchtbare Böden verbaut, die für die heimische Lebensmittelproduktion wichtig wären."

    Wie aber kann Fläche gespart werden? Geografin Anne Weiß nennt fünf Erfolgsrezepte gegen den Flächenfraß - und welche Gemeinden in Unterfranken diese schon umsetzen.

    1. Vielfalt statt Einfamilienhäuser: Wohnungsbau auch für Senioren und Single-Haushalte

    Blick auf die neuen seniorengerechten Wohnungen in Nüdlingen im Landkreis Bad Kissingen.
    Blick auf die neuen seniorengerechten Wohnungen in Nüdlingen im Landkreis Bad Kissingen. Foto: Daniel Peter

    "Wir müssen uns fragen, für welche zukünftige Gesellschaft wir bauen", sagt Anne Weiß. Für nicht jede Haushalts- und Altersgruppe sei das Einfamilienhaus die ideale Wohnform. Senioren oder junge Singles hätten andere Bedürfnisse. Und ihre Zahl wird steigen: Bis zum Jahr 2040 werden nach einer Prognose des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung die Ein- und Zweipersonen-Haushalte in Unterfranken rund 75 Prozent aller Haushalte ausmachen. 

    Seniorengerechte Wohnungen findet man bislang aber vor allem in den Städten. Dabei steige der Bedarf auch auf dem Land, sagt die Geografin. Ältere, vielleicht alleinstehende Senioren könnten dann aus ihrem großen, pflegeaufwändigen Einfamilienhaus ausziehen, ohne ihr soziales Umfeld im Ort zu verlieren. Zugleich werde so großer Wohnraum für junge Familien frei.

    Einen Wohnkomplex mit 34 barrierefreien Wohnungen hat ein privater Investor jüngst in der Gemeinde Nüdlingen im Landkreis Bad Kissingen errichtet. Die Bewohner haben dort die Möglichkeit, Essen auf Rädern, den Hausnotruf oder die Tagespflege im Haus in Anspruch zu nehmen. Fast alle Wohnungen waren in kürzester Zeit vergeben, sagt Nüdlingens Bürgermeister Harald Hoffmann (CSU): "Eine Erfolgsgeschichte für unsere 4000-Einwohner-Gemeinde."

    Ähnliches plant gerade die Gemeinde Sommerach im Landkreis Kitzingen in ihrem Altort. Dort sollen in der Winzerstraße sechs bis acht teils barrierefreie, unterschiedlich große Wohneinheiten entstehen. Ziel ist ein Mehrgenerationenhaus. Außerdem soll ein denkmalgeschütztes Gebäude (altes Weidinger-Haus) zu einem Seniorendomizil werden. 

    2. Innenentwicklung statt Ausdehnung: Leerstände beheben, Altorte beleben, Baulücken schließen

    In Hellmitzheim im Landkreis Kitzingen wurde auch das ehemalige Jägerhaus in der Ortsmitte saniert. 
    In Hellmitzheim im Landkreis Kitzingen wurde auch das ehemalige Jägerhaus in der Ortsmitte saniert.  Foto: Fabian Gebert

    Grundsätzlich gelte: Innen- vor Außenentwicklung, erklärt die Flächensparmanagerin. So könnten Leerstände behoben, Baulücken geschlossen und Ortskerne wieder attraktiver werden. Mechthild Engert, Kreisfachberaterin für Landschaftspflege am Landratsamt Kitzingen, nennt das Beispiel von Hellmitzheim, Stadtteil von Iphofen. Schon in den 1990er Jahren wurde dort geplant, welche Landschaftsräume von Bebauung freigehalten werden sollen, etwa das Tal des Kirchbachs. Kindergarten, Feuerwehrhaus, Sportheim und Bürgerhaus konzentrieren sich in der Ortsmitte und wurden teils aus alten Leerständen entwickelt. Das Feuerwehrhaus entstand aus einer ehemaligen Gemeinschaftsgefrieranlage. Das Bürgerhaus mit Fledermausmuseum war ein altes Bauernhaus.

    Auch Mainbernheim im Landkreis Kitzingen versteht es, sein Ortszentrum attraktiver zu gestalten und erhielt dafür beim Bayerischen Landeswettbewerb 2021 der Städtebauförderung eine Anerkennung. Die Stadt nutzte eine schmale Baulücke im Ortskern, um ein Mehrfamilienhaus zu errichten. In einem zentral gelegenen Leerstand entstand eine Radlerherberge.

    3. Aus alt mach neu: Wiederbelebung historischer Gebäude

    Die Visualisierung zeigt, wie das Gut Deutschhof in Schweinfurt nach der Baumaßnahme aussehen soll.
    Die Visualisierung zeigt, wie das Gut Deutschhof in Schweinfurt nach der Baumaßnahme aussehen soll. Foto: Wohnen auf Gut Deutschhof GmbH

    Wenn leer stehende Gebäude neu hergerichtet werden, könne nicht nur Fläche gespart, sondern es könnten auch die vorhandenen Baustoffe recycelt werden, sagt Flächensparmanagerin Anne Weiß. Ein Beispiel ist ein ehemaliges Landgut in der Stadt Schweinfurt. 30 neue Wohneinheiten, teils barrierefrei, will die "Wohnen auf Gut Deutschhof GmbH" dort schaffen. Künftige Mieter können im alten Herrenhaus oder im früheren Rinderstall moderne Wohnungen beziehen. Dort, wo die ehemalige Schmiede stand, wird ein Neubau mit zwölf Wohnungen errichtet.

    Ähnliches wie für Gut Deutschhof geplant hat ein privater Bauherr in der Gemeinde Zell am Main im Landkreis Würzburg schon verwirklicht. Im ehemaligen Kloster Unterzell wurden 28 moderne Wohnungen geschaffen. Darüberhinaus erwarb die Gemeinde Teile des Klosters um beispielsweise den Kapitelsaal und die historische Klosterküche öffentlich zugänglich zu machen: "Ein Beispiel gelungener Innenentwicklung", findet Bürgermeister Joachim Kipke (FWG).

    4. Neue Ideen für die Verdichtung: Flächen aufstocken, recyceln, mehrfach nutzen

    Auf einer Dachfläche von zirka 14 000 Quadratmetern erzeugt die Solaranlage von ZF in Schweinfurt  Strom.
    Auf einer Dachfläche von zirka 14 000 Quadratmetern erzeugt die Solaranlage von ZF in Schweinfurt  Strom. Foto: ZF Friedrichshafen AG

    Neue Ideen sind gefragt. Selbst Neubaugebiete könne man flächensparender planen als dies in vielen Gemeinden getan werde, sagt Anne Weiß. Eine verdichtete Bauweise mit Doppel- und Reihenhäusern sei besser als Einfamilienhäuser mit großzügiger Straßenführung außen herum. Die Flächensparmanagerin wünscht sich von Kommunen mehr Offenheit für dichtere und mehrstöckige Wohnformen: "Da braucht es mehr Mut in Unterfranken!"

    "Da braucht es mehr Mut in Unterfranken!"

    Flächensparmanagerin Anne Weiß über dichtere und mehrstöckige Wohnformen

    Brachliegende Gewerbegebiete können zu Wohngebieten umgestaltet werden. Oder mehrere Nutzungen können übereinander gestapelt werden. Zum Beispiel lassen sich Gebäude für den Einzelhandel mit Geschossen für Wohnungen aufstocken oder Parkplätze mit Photovoltaikanlagen überbauen. 

    So hat zum Beispiel die Firma ZF in Schweinfurt ihren Parkplatz mit Photovoltaikanlagen überdacht. Auf 14 000 Quadratmetern sind dort knapp 8000 Solarmodule verbaut. Die Anlage, eine der größten in Deutschland, ging im November 2020 ans Netz. Der erzeugte Strom dient laut ZF ausschließlich zur Versorgung des eigenen Werkes Nord. Geschätzt würden damit jährlich 1200 Tonnen CO2 eingespart.

    5. Die Bevölkerung mitnehmen: Lotsen helfen bei der flächenschonenden Innenentwicklung

    Blick auf Bischofsheim am Kreuzberg - hier auf einer Aufnahme von Anfang 2021.
    Blick auf Bischofsheim am Kreuzberg - hier auf einer Aufnahme von Anfang 2021. Foto: Daniel Peter

    Für nachhaltige Innenentwicklung einer Gemeinde müssen die Flächen analysiert und der Bestand kartiert werden, sagt Anne Weiß. Planungsbüros könnten dabei Leerstand und Baulücken ermitteln. Sind Grundstücke ungenutzt, lasse sich durch eine Befragung die Verkaufsbereitschaft der Eigentümer herausfinden. Das Wichtige bei all dem sei: die Bürgerinnen und Bürger mitzunehmen.

    Vorbildlich sei die Bürgerbeteiligung zum Beispiel bei der Kreuzbergallianz im Landkreis Rhön-Grabfeld, zu der sich die Stadt Bischofsheim in der Rhön, Sandberg, der Markt Oberelsbach und Schönau a.d. Brend zusammengetan haben. Es gibt dort eine Immobilienbörse für Baulücken und Leerstände, Beratungsgutscheine für die Förderung von Bauvorhaben im Innenort und einen jährlich ausgelobten Sanierungspreis. Um Bauinteressenten und Immobilieneigentümer gezielt anzusprechen, hat die Allianz 13 ehrenamtliche Innenenwicklungslotsen in den einzelnen Gemeinden ausgebildet.

    Bischofsheim in der Rhön steht auch auf der Liste der Best-Practice-Beispiele des Bayerischen Umweltministeriums. Die 4800-Einwohner-Stadt hat seit 30 Jahren keine neuen Baugebiete mehr ausgewiesen - dafür sind die meisten Leerstände beseitigt. Ulla Sippach, geschäftsleitende Beamtin der Stadt, sagt: Die Befürchtung, ohne Neubaugebiete kämen keine jungen Familien mehr, habe sich nicht bewahrheitet. Im Gegenteil. Der Bevölkerungsrückgang sei durch erfolgreiche Innenentwicklung gestoppt worden - "ohne Hunderte neue Bauplätze auszuweisen".

    Fläche sparen geht vor allem auf dem LandIn Bayern entkoppelt sich das Bevölkerungswachstum seit dem Jahr 2000 immer mehr vom Flächenverbrauch. In Gegenden, in denen immer weniger Menschen leben, wird am meisten Fläche verbraucht. Auch der Flächenverbrauch pro Kopf ist auf dem Land höher als in der Stadt. Im ländlichen Raum wurden bayernweit zuletzt zwischen 8 und 10 Hektar pro Jahr neu für Siedlungs- und Verkehrszwecke in Anspruch genommen - umgerechnet 4 bis 5 Quadratmeter pro Einwohner jährlich. In Verdichtungsräumen waren es zwischen 1,2 und 2,2 Hektar Verbrauch jährlich, also 0,7 bis  1,4 Quadratmeter pro Einwohner. In Unterfranken nahm der Flächenverbrauch von 1992 bis 2013 in den Landkreisen Bad Kissingen, Haßberge, Main-Spessart und Rhön-Grabfeld jeweils um durchschnittlich 20 Prozent zu, während die Zahl der Einwohner im gleichen Zeitraum um 1 bis 5 Prozent schrumpfte.akl

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