Die Aufklärung der tödlichen Messerstiche vor Stift Haug im September 2023 wird nach Ansicht des Landgerichts Würzburg durch Absprachen von Zeuginnen und Zeugen erschwert. An diesem Freitag, dem sechsten Prozesstag, muss nun eine Hauptbelastungszeugin erneut aussagen. Denn es haben sich Zweifel an ihrer ersten Aussage vor Gericht ergeben.
Dass er nach einem Streit vor dem Club "Studio" einen 28-Jährigen mit Messerstichen getötet und zwei weitere Personen schwer verletzt hat, hat der inzwischen 23-jährige Angeklagte zu Prozessbeginn gestanden. Jetzt geht es um den genauen Ablauf. Und um die Frage: Stach er unvermittelt zu oder handelte er aus Notwehr?

Für die Antwort ist die Schilderung einer Zeugin besonders wichtig. Sie sei wenige Augenblicke zuvor herbeigerannt gekommen, erklärte die junge Frau bei ihrer ersten Aussage vor Gericht. Die Stiche habe sie aus nächster Nähe gesehen, am Konflikt sei sie selbst nicht beteiligt gewesen. Ihr zufolge stach der Angeklagte plötzlich auf den 28-Jährigen ein: "Er hat das Messer rausgeholt und sofort zugestochen." Der Getötete habe lediglich schlichten wollen.
Ihr markanter Schrei, aufgezeichnet von einer Überwachungskamera, nimmt eine zentrale Rolle bei der Rekonstruktion der Tat ein. Denn durch den Schrei lassen sich die unterschiedlichen Aussagen zeitlich in Verbindung bringen. Signalisiert der Schrei den genauen Zeitpunkt der Messerstiche? "Das dürfte die Kernfrage des gesamten Verfahrens sein", sagt dazu der Vorsitzende Richter Thomas Schuster.
Aufnahme des Vaters: Wurde die Aussage der Belastungszeugin beeinflusst?
Einer der Hauptgründe für die erneute Befragung der Augenzeugin ist eine Tonbandaufnahme, die im Prozess abgespielt wurde. Darauf ist zu hören, wie der Vater des Getöteten sie und einen weiteren Zeugen kurz nach der Tat intensiv zu dem Vorfall und dem Erlebten befragt.

In seinen Fragen macht der Vater sein Interesse klar: "Ich will, dass er ins Gefängnis geht", sagt er mehrfach über den Angeklagten. An einer Stelle des Gesprächs sagt er: "Wir brauchen Aussagen, die zusammenpassen." Die Frage des Gerichts ist deshalb: Inwiefern wurde die Aussage der Zeugin beeinflusst und in eine bestimmte Richtung gelenkt?
"Wichtigster" Zeuge: Junge Frau hat vor Stichen auf Angeklagten eingewirkt
Der laut Gericht "wichtigste" Zeuge im Prozess ist ein ehemaliger Garderobenmitarbeiter des Studios. Er gehört laut eigener Aussage keinem der Freundeskreise rund um das Verfahren an. Der Polizei berichtete er nach der Tat, dass die Hauptbelastungszeugin vor den Stichen auf den damals 22-Jährigen eingewirkt habe – möglicherweise um zu beschwichtigen. Der Getötete und der Angeklagte hätten sich vor den Stichen "definitiv" gegenseitig geschlagen. An viele Punkte seiner Aussage im September 2023 könne er sich nicht mehr erinnern, sagte der frühere Mitarbeiter jetzt vor Gericht. Zurück nahm er seine damaligen Angaben jedoch nicht.
Zweiter beteiligter Türsteher: Vielleicht zog der Angeklagte die Frau an den Haaren
Zwei Türsteher spielen im Prozess bisher eine Rolle: Einer der beiden soll den Konflikt eskaliert haben, seine Aussage steht noch aus. Der zweite will nach eigener Aussage deeskaliert und den Vorfall in weiten Teilen beobachtet haben. "Ich war der Meinung, dass ich sah, wie der Angeklagte eine Frau an den Haaren zu Boden riss", bestätigte er jetzt vor Gericht seine Aussage bei der Polizei.

Genau könne er sich heute aber nicht mehr erinnern, so der Zeuge. Er bekräftigte jedoch, erst einen gellenden Schrei gehört und dann gesehen zu haben, wie mehrere Personen auf den Angeklagten einschlugen.
Der Getötete: Belastungszeugin beteuert ihre Bewunderung für ihn
Über den Getöteten sagte die Zeugin, die am Freitag erneut vernommen wird, bei ihrer ersten Aussage: "Er war ein Engel. Er war wie ein Held. Er war immer da." Sie hätte vor allem beim Feiern Kontakt zu ihm gehabt, manchmal habe der 28-Jährige sie aber auch besucht. Insbesondere Frauen habe er stets beschützt. Sein Verhalten direkt vor den Stichen beschrieb die Zeugin bisher sinngemäß als leichtes Schieben. Er habe den Angeklagten lediglich aus der Konfliktsituation bringen wollen.

Auch mit der Mutter des Angeklagten war die Zeugin bis zur Tat befreundet. Mit seiner Familie war sie in den Stunden vor der Tat feiern. Der damals 22-Jährige sei in der Nacht gereizt gewesen, sagte die junge Frau. Und im Vorfeld der Tat habe er auf Social Media mit einer vermeintlichen Pistole posiert, in seiner Wohnung habe er wohl Messer gesammelt. Im Prozess bestätigte sich dies bisher nicht.
Die Verhandlung an diesem Freitag beginnt um 8 Uhr.