Bayern braucht mehr Lehrer, das ist nicht erst seit Ausbruch der Corona-Krise bekannt. Diese hat den Notstand noch verschärft, weil Lehrer aus der Risikogruppe (über 60 Jahre alt) nicht mehr zum Präsenz-Unterricht in der Schule verpflichtet sind. Die Corona-Löcher will Schulminister Michael Piazolo (Freie Wähler) nun befristet mit Aushilfslehrern stopfen.
Weil es aber auch strukturell an Personal fehlt, wurden vor zwei Jahren an Bayerns Unis 700 zusätzliche Studienplätze für das Grundschullehramt geschaffen. Und für das kommende Wintersemester hat das Wissenschaftsministerium von Bernd Sibler (CSU) kürzlich bayernweit den Numerus Clausus (NC), also die Zulassungsbeschränkung, für künftige Grundschullehrer kassiert. An der Würzburger Julius-Maximilians-Universität (JMU) sorgt das für Entsetzen.
Druck auf Würzburger Studienplätze aus angrenzenden Bundesländern
Man befürchtet, von Erstsemestern überrannt zu werden. Die Einschreibung läuft seit dieser Woche. Alle bayerischen Unis haben sich gemeinsam gegen die NC-Streichung gewehrt, ohne Erfolg. Würzburg trifft es dabei besonders: Wegen der nahen Bundesländer Thüringen, Hessen und Baden-Württemberg (alle mit NC) ist hier der Druck auf die Studienplätze für das Grundschullehramt schon immer besonders groß. Deshalb galt an Würzburgs Uni zuletzt mit 2,0 auch der bayernweit strengste NC.

Jetzt, wo der Numerus Clausus fällt, dürften noch viel mehr Studierende nach Würzburg drängen. Und dies betrifft nicht nur Einsteiger. Auch höhere Semester können nun ohne NC-Schranke von anderen Hochschulen nach Würzburg wechseln. Die Uni rechnet laut Vizepräsidentin Prof. Ulrike Holzgrabe mit 650 Erstsemestern im Herbst – das wären doppelt so viele, als man eigentlich zulassen wollte und die Kapazität hergibt.
"Und diese Schätzung ist noch konservativ", warnt Prof. Sanna Pohlmann-Rother, Inhaberin des Lehrstuhls für Grundschulpädagogik und -didaktik. In ihrer Einführungsveranstaltung hätte sie dann 800 Studierende, weil noch 150 Studierende der Sonderpädagogik dazukommen. Erst in einigen Wochen könne man den erwarteten Zustrom genauer beziffern. Erste Anrufe am Lehrstuhl verheißen nichts Gutes: Auswärtige Studierende lassen sich bestätigen, dass es sich bei der NC-Abschaffung um keine Falschinformation handelt – und sind darüber hocherfreut.

Die Grundschuldidaktik trifft eine Überbelegung besonders, weil sie von allen angehenden Lehrern absolviert werden muss. Aber auch die einzelnen Fächer wie Deutsch oder Englisch werden mit einer Erstsemesterwelle kämpfen. Pohlmann-Rother fürchtet um die Qualität der Ausbildung, "dabei sind die Herausforderungen für Grundschullehrer heute vielfältiger denn je." Zwar könnten Digitalvorlesungen wie zuletzt von einer größeren Zahl an Studierenden frequentiert werden. "Aber wie sollen Präsenzprüfungen stattfinden?", fragt sich die Professorin. Außerdem seien Seminare auf 30 Personen beschränkt und: Es gebe nicht genügend Plätze für die Schulpraktika.
Sorge um fundierte Ausbildung: Krisensitzungen an der Würzburger Uni
In Krisensitzungen wird an der Uni derzeit beraten, wie man die Studentenwelle bewältigen soll. Im Münchner Wissenschaftsministerium verweist man auf Anfrage dieser Redaktion darauf, dass der Landtag 30 neue wissenschaftliche Mitarbeiterstellen für das Grundschullehramt bewilligt habe. Sie wurden den Unis im April zugewiesen. Nur: In Würzburg sind davon gerade mal zwei Stellen angekommen. Dagegen hat die Münchner LMU laut Uni-Vize Holzgrabe vier neue Mitarbeiter erhalten, obwohl der Druck auf die Studienplätze dort geringer sei.

Im Ministerium geht man davon aus, dass die Unis vor Ort diese zusätzlichen Stellen "mit eigenen Ressourcen ergänzen". Aber woher nehmen? Kommt der Run auf den Studiengang so wie befürchtet, will die Uni Würzburg im September im Ministerium vorstellig werden. Man brauche dann dringend mehr Personal.
Sollten sich gar noch mehr als die geschätzten 650 Studienanfänger einschreiben, "dann fehlt mir schlicht die Fantasie, wie wir das bewältigen sollen", so Pharmazeutin und Chemikerin Holzgrabe. Gar nicht auszumalen, wenn der NC dauerhaft aufgehoben werden sollte. Man hoffe inständig, dass es bei einem einmalige Aussetzen bleibt. Aus dem Ministerium gibt es dazu noch keine Festlegung. Die Entscheidung werde jährlich neu getroffen, heißt es. Grundlage seien die Zahlen der Studienanfänger des Vorjahres. Es sei denkbar, dass für einzelne Unis der NC wieder eingeführt werde, andere zulassungsfrei bleiben.

Und noch einen weiteren negativen Effekt befürchten alle bayerischen Universitäten durch die NC-Abschaffung, dokumentiert in einem Schreiben an das Ministerium: Bisher sind Studierende ohne den nötigen NC vom Grundschullehramt auf die Mittelschule ausgewichen. Diese Lehrer werden nun fehlen. Würzburgs Uni-Vizepräsidentin Holzgrabe spricht von einer "prekären Situation".
Schon in den letzten Jahren wurden in Bayern mehr Grundschullehrer ausgebildet. In Würzburg stieg die Zahl der Erstsemester zuletzt von 278 über 300 auf die für das Wintersemester geplanten 324. Laut Lehrerbedarfsprognose aus dem Kultusministerium entspannt sich der Lehrermangel an den Grundschulen ab 2025 wieder. Just dann, wenn die nun ausgelöste Welle an Lehramtsstudierenden an die Schulen strömt.