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Würzburg: Amichai lesen! – "Ich wurde 1924 geboren."

Würzburg

Amichai lesen! – "Ich wurde 1924 geboren."

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    Jehuda Amichai.
    Jehuda Amichai. Foto: Petra Winkelhardt/Grafik Main-Post

    Ich wurde 1924 geboren. Wäre ich eine Geige meines Alters,
    so gehörte ich nicht zu den guten. Als Wein wäre ich sehr gut 
    oder völlig sauer. Als Hund wäre ich tot. Als Buch 
    finge ich an, teuer zu werden, oder ich wäre längst weggeworfen worden. 
    Als Wald wäre ich jung. Als Maschine würde ich belächelt. 
    Und als Mensch bin ich sehr müde.

    Ich wurde 1924 geboren. Wenn ich an die Menschheit denke, 
    denke ich nur an die, die mit mir im gleichen Jahr geboren wurden, 
    deren Mütter mit meiner Mutter gebaren 
    – wo auch immer sie waren, in Krankenhäusern oder in dunklen Wohnungen.

    An diesem Tag, meinem Geburtstag, will ich 
    ein langes Gebet sprechen für euch, 
    deren Leben die Schwere von Hoffnungen 
    und Enttäuschungen längst nach unten zieht, 
    deren Taten abnehmen 
    und deren Götter sich vermehren und wieder gehen. 
    Ihr alle seid Brüder meiner Hoffnung und Gefährten meiner Verzweiflung.

    Möget ihr die rechte Ruhe finden 
    – die Lebenden in ihrem Leben, und die Toten in ihrem Tod. 
    Und der, der sich mehr an seine Kindheit erinnert 
    als die anderen, er ist der Sieger. 
    Wenn es überhaupt Sieger gibt.

    Jehuda Amichai (1982)

    Der in Würzburg 1924 als Ludwig Pfeuffer geborene Jehuda Amichai würde am 3. Mai 2024 seinen 100. Geburtstag feiern. 1936 nach Palästina ausgewandert, lebte Amichai bis zu seinem Tod 2000 in Jerusalem. Ihm zu Ehren veröffentlicht die Main-Post unter dem Motto "Amichai lesen!" in loser Folge einige seiner Gedichte in der Übersetzung von Karlheinz Müller.

    Jehuda Amichai ist der weltweit bekannteste Dichter und Schriftsteller aus Würzburg. Sein Werk umfasst einen Roman, Theaterstücke, Hörspiele und über 1500 Gedichte. Er wurde mit dem Israel-Preis und dem Würzburger Kulturpreis ausgezeichnet - und war sogar mehrfach für den Nobelpreis nominiert. Im Mai feiert die Stadt Würzburg den 100. Jahrestag seiner Geburt mit zahlreichen Veranstaltungen.

    Foto: Petra Winkelhardt/Grafik: Main-Post

    Die hier abgedruckten Übersetzungen sind dem Buch "Auf meinem Tisch liegt ein Stein. Festschrift zum 100. Geburtstag von Yehuda Amichai", die im Verlag Königshausen & Neumann erschienen ist (ISBN 978-3-8260-8769-1).

    Weitere Informationen zu den Veranstaltungen und Jehuda Amichai: www.wuerzburg-liest.de.

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