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Würzburg: Analyse: Im Eisenheim-Prozess hat das Gericht alle Möglichkeiten ausgeschöpft

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Analyse: Im Eisenheim-Prozess hat das Gericht alle Möglichkeiten ausgeschöpft

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    Rund viereinhalb Jahre nach der tödlichen Alkoholfahrt fiel im Berufungsverfahren das Urteil gegen den Hauptangeklagten.
    Rund viereinhalb Jahre nach der tödlichen Alkoholfahrt fiel im Berufungsverfahren das Urteil gegen den Hauptangeklagten. Foto: Thomas Obermeier

    Es war eine Szene, die nach der Urteilsverkündung im Eisenheim-Prozess im Trubel kaum jemand mitbekam: Ronald Stahl ging von der Nebenklägerbank auf Richter Michael Schaller zu, die beiden Männer wechselten einige Worte miteinander. "Ich habe mich bei ihm für seine gute Arbeit bedankt", erklärte der Vater von Todesopfer Theresa später. Der Vorsitzende habe ihm mit seiner Verfahrensführung und der Urteilsbegründung das Gefühl gegeben, "dass es passt". Gleichzeitig begann in den unterschiedlichsten Kommentarspalten des Internets das, was Richter Schaller in eben jener Urteilsbegründung befürchtet hatte.

    Dass die 15-monatige Jugendstrafe gegen Niclas H. zur Bewährung ausgesetzt wurde, fühle sich für den Unfallfahrer "sicher wie ein Freispruch an", wurde da behauptet. Andere forderten drastische Strafen: "Drei Jahre im Steinbruch arbeiten" gehörte noch zu den harmloseren Vorschlägen.

    Einen Zaun um das Leben des Täters gebaut

    Dabei ist die ausgesprochene Freiheitsstrafe wegen der fahrlässigen Tötung der 20-jährigen Fußgängerin – wenn auch zur Bewährung ausgesetzt – nicht nur deutlich härter als die Geldstrafe von 5000 Euro wegen fahrlässigen Vollrauschs aus erster Instanz. Mit den Bewährungsauflagen baute das Gericht gewissermaßen einen Zaun um das Leben des heute 22-jährigen Täters.

    So muss er sich während seiner zweijährigen Bewährungszeit um eine psychotherapeutische Behandlung und eine Arbeitsstelle bemühen. Bis er Arbeit gefunden hat, muss er pro Woche zehn Stunden soziale Hilfsdienste leisten. Alkohol ist für ihn tabu. Dass er den Auflagen nachkommt, muss er regelmäßig nachweisen, zudem steht er unter der Kontrolle eines Bewährungshelfers. Und ob ihm die zuständige Kreisbehörde seinen Führerschein je wieder gibt, wenn in drei Monaten ein mittlerweile fünf Jahre währendes Fahrverbot abgelaufen ist, ist völlig offen.

    Opfer wohin man schaut

    Es mag ein frommer Wunsch von Richter Michael Schaller bleiben, dass das Urteil eine Signalwirkung hat. Dass es eine Mahnung ist an alle, die es mit Alkohol im Straßenverkehr nicht so genau nehmen. Diejenigen, denen die Gesetzgebung in Deutschland ohnehin zu lasch ist, die eine fahrlässige Tötung mit Mord gleichsetzen und von "Kuschel-Justiz" sprechen, wird das Strafmaß nicht überzeugen. Vielleicht hilft da ein anderer Blickwinkel auf die Geschehnisse im Fall Theresa Stahl.

    "Alkohol am Steuer zerstört Leben auf allen Seiten."

    Staatsanwalt Ingo Krist

    "Alkohol am Steuer zerstört Leben auf allen Seiten", betonte Staatsanwalt Ingo Krist in seinem Plädoyer. Richter Schaller wurde konkreter: In dem Fall "bleiben ausschließlich Opfer", sagte er. Natürlich Theresa und ihre Familie sowie ihr Freund, der hilflos einige Meter entfernt stand, als seine Partnerin überfahren wurde, und dann alleine in stockfinsterer Nacht auf einem Acker um ihr Leben kämpfte und den Notruf absetzte. Dazu "alle vier Angeklagten", deren Leben – natürlich selbstverschuldet – überschattet ist. Auch die Ex-Freundin von Niclas H. gehört zu den Opfern: Der Täter wollte sich vor ihren Augen das Leben nehmen.

    Und schließlich ist da der Richter, der den Fahrer in erster Instanz auf Basis eines Gutachtens, das nun korrigiert werden musste, lediglich wegen fahrlässigen Vollrauschs zu der heftig kritisierten Geldstrafe verurteilt hatte – und dafür samt seiner Familie abscheulichen Anfeindungen ausgesetzt war. Dabei war auch sein Urteil formaljuristisch aus damaliger Sicht nicht falsch, möglicherweise wäre es aber durch eine intensivere Beweisaufnahme zu verhindern gewesen.

    Gericht tat alles, was möglich war, um die Wahrheit zu finden

    Das hat das Gericht in zweiter Instanz deutlich besser gemacht: Die Bemühungen, Gerüchte von Fakten zu unterscheiden und alle im Raum stehenden Verfehlungen der Angeklagten zu beweisen oder zu widerlegen, war vom ersten Verhandlungstag vor einem Jahr an spürbar. Nicht mehr und nicht weniger hatte Theresas Familie gefordert. "Wir haben den Versuch gemacht, durch möglichst umfangreiche Beteiligung aller" der Wahrheit so nah wie möglich zu kommen, so Richter Schaller. Das ist gelungen.

    So wurden einige hartnäckige Gerüchte ins Reich der Legenden verbannt. Niclas H. war der Todesfahrer, kein anderer saß zum Unfallzeitpunkt am Steuer. Dementsprechend gab es auch kein Komplott der drei Mitfahrer, wonach sie Niclas H. nach dem Unfall auf den Fahrersitz bugsiert haben sollen. "Wir sind jetzt deutlich näher an der Wahrheit, aber alles wissen wir noch nicht", bilanzierte Ronald Stahls Anwalt Philipp Schulz-Merkel. Man werde auch nicht mehr erfahren, "wenn die Mitfahrer nicht doch noch mehr verraten". Die drei jungen Männer, die zu Geldstrafen wegen unterlassener Hilfeleistung verurteilt wurden, hatten laut Staatsanwalt Krist "ein erbärmliches Nachtatverhalten" gezeigt und laut Schulz-Merkel auch im Zeugenstand ausgerechnet dann Erinnerungslücken, "wenn es für sie brenzlig wurde".

    Einige Vorwürfe gehören ins Reich der Fabeln

    Leider, so Richter Schaller, könne ein Strafprozess "die absolute Wahrheit trotz aller Bemühungen nicht liefern". Und so bleiben einige Fragen offen. Darunter die, ob Niclas H. die junge Frau doch absichtlich überfahren hat und dazu von seinem Beifahrer angestiftet worden war. Das habe man "nicht zu 100 Prozent widerlegen können", so der Staatsanwalt. "Aber die Hinweise dafür reichen nicht ansatzweise für eine Verurteilung aus." Darin waren sich alle Beteiligten einig. Im Gegenteil: Ein Gutachten habe klar gemacht, dass Niclas H. keine Zeit gehabt habe, um auf die angebliche Aufforderung "Fahr sie um!" zu reagieren, so Schaller. Die Geschichte sei daher "ins Reich der Fabeln – oder der sozialen Medien" zu verweisen, "wo sie vielleicht entstanden ist".

    So gibt es viereinhalb Jahre nach Theresas Tod – sofern das Urteil rechtskräftig wird – für ihre Angehörigen die Chance, mit der echten Trauerarbeit zu beginnen. Theresas Freund formulierte es gegenüber dieser Redaktion so: "Durch ein Urteil kann es für mich keine Gerechtigkeit geben. Aber endlich die Gelegenheit, zur Ruhe zu kommen." 

    Hinweis: Der Autor dieses Textes steht trotz Namensgleichheit mit der Familie des Opfers in keinem verwandtschaftlichen Verhältnis.

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