Unterfrankens Bürgermeister sehen sich immer öfter Anfeindungen, verbalen Attacken und sogar tätlichen Übergriffen ausgesetzt. Die überwiegend ehrenamtlich tätigen Kommunalpolitiker erleben, dass sie bei öffentlichen Auftritten beschimpft oder bedroht werden. In ihren Briefkästen landen Schmähbriefe, in ihren Mailaccounts Hasskommentare. Etliche unterfränkische Kommunalpolitiker geben an, dass nicht nur sie selbst, sondern auch ihre Ehepartner oder die Kinder Opfer von Verbalattacken geworden sind. Rund ein Dutzend unterfränkische Amtschefs mussten Drohungen gegen "Leib und Leben" schlucken.
Umfrage "Anfeindungen gegen Amtspersonen" ging an 308 unterfränkische Bürgermeister
Das ist das Ergebnis einer großen Umfrage, die das Medienhaus Main-Post im Juli durchgeführt hat. Allen 308 unterfränkischen Bürgermeistern wurde ein Online-Fragebogen zugesandt; die darin enthaltenen Fragen zum Thema "Anfeindungen gegenüber Amtspersonen" beantworteten 124 der angeschriebenen Ortschefs – also mehr als ein Drittel. Die überwiegende Mehrheit von ihnen (66 Prozent) stimmt der Aussage zu, dass die persönliche Anfeindungen mehr geworden sind in den vergangenen Jahren. Ein Drittel der auskunftsbereiten Ortschefs meint sogar, dass die Anfeindungen in den letzten Jahren "stark zugenommen" haben.
Bürgermeister von Lülsfeld erinnert sich noch gut an Nazizeichen im Ort
Wolfgang Anger, seit elf Jahren Bürgermeister von Lülsfeld (Kreis Schweinfurt), erinnert sich noch gut an einen besonders unschönen Vorfall, obwohl dieser schon ein paar Jahre zurückliegt. Die Erinnerung glüht deshalb noch hell, weil Anger sich so sehr geärgert hat.
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Er habe damals, als so viele Asylbewerber nach Unterfranken kamen, erwogen, das leerstehende Schulgebäude des kleinen Ortes für die Unterbringung von Geflüchteten zu nutzen, berichtet der Bürgermeister, der über die Unabhängige Wählergemeinschaft ins Amt gekommen ist. Im Ort verbreitete sich schnell die Nachricht, dass das Landratsamt das Gebäude begutachten würde: "Und da haben mir Unbekannte ein Nazizeichen vors Gebäude gemalt. Diese 88, die für Adolf Hitler steht." Empört erstattete Anger Anzeige bei der Polizei.

Angers Geschichte ist insofern für die Region untypisch, als lediglich fünf Prozent der Bürgermeister die Flüchtlingspolitik als Grund für die heftigsten Attacken angegeben haben. Anfeindungen haben mehrheitlich kommunalpolitische Entscheidungen zum Anlass, nämlich 53 Prozent.
Zurück nach Lülsfeld: Die Nazi-Schmierer wurden nie gefunden, das Gebäude wurde aus technischen Gründen nie für Asylbewerber genutzt. Und Anger? Abgesehen davon, dass er beklagt, dass Facebook-Nutzer seine Gemeindearbeit übergriffig, zum Teil bösartig kommentiert hätten und der Bürgermeister deshalb Facebook nicht mehr nutzt, schätzt Anger trotzdem sein Amt. "Ich bin gern Bürgermeister." Damit liegt er im Trend: 86 Prozent gaben an, dass sie noch nicht bereut haben, Bürgermeister geworden zu sein.
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Bürgermeister aus Eisenheim zieht wegen "respektlosem Ton" den Schlussstrich
Anders der Bürgermeister des im Kreis Würzburg gelegenen Marktes Eisenheim, Andreas Hoßmann (Unabhängige Wähler). Auch er ist ein Ehrenamtlicher, der sich zwischen Brotberuf und Politik-Amt aufreibt, und er tut dies seit 23 Jahren. Jetzt allerdings mag er nicht mehr. Bei den Kommunalwahlen 2020 tritt Hoßmann, 54 Jahre alt, nicht mehr an. Er begründet diese Entscheidung explizit mit "dem rauhen Ton, dem vorwurfsvollen Ton, dem respektlosen Ton" ihm als Amtschef gegenüber. "Noch vor zehn, 15 Jahren hätte man sich nicht getraut, dem Bürgermeister gegenüber so respektlos zu sein", sagt er.
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Die Mehrheit der unterfränkischen Bürgermeister beklagt "Verlust von Hemmschwellen"
Die um sich greifende Respektlosigkeit quält nicht nur Hoßmann, sondern praktisch alle seine unterfränkischen Amtskollegen. Gefragt, worin sie die Gründe für zunehmende Anfeindungen sähen, antwortete in der Main-Post-Umfrage eine Vielzahl von Amtschefs ausführlichst – und man kann daraus schließen, wie stark gerade der "Verlust von Hemmschwellen" den Bürgermeistern ihr Engagement verleidet. Der Respektverlust betrifft einerseits die Arbeit in den Gremien: "Immer öfter gibt es Gemeinderatsmitglieder, die mit demokratischen Entscheidungen nicht mehr umgehen können. Das führt zu verbalen Ausfällen, die eines Ratsgremiums nicht würdig sind und der Kommune schweren Schaden zufügen", lautet etwa ein typischer Kommentar.
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Aus Sicht der Bürgermeister verlieren aber vor allem auch die Bürger zunehmend den Respekt: Generell werde ehrenamtliche Tätigkeit heute weniger geschätzt; im direkten Kontakt erlebe man oft eine "Verrohung der Sprache", eine "Verrohung im persönlichen Umgang". Aus Sicht der Bürgermeister am schlimmsten ist aber der Umstand, dass immer mehr Bürger glaubten, es stehe ihnen zu, über Mail oder Facebook schnell mal den Ortschef anzugehen. Jeder glaube, er sei informiert, jeder glaube, ihm stehe trotz mangelnder Sachkenntnis ein Urteil zu, schreiben Bürgermeister. "Das führt zu hemmungslosen Kommentaren aus der teilweise anonymen Scheinwelt heraus", schreibt ein Bürgermeister. Dass immer mehr Bürger immer öfter die Gelegenheit nutzen, trotz mangelnder Sachkenntnis ihrem Bürgermeister über soziale Meiden kurz mal die Meinung zu geigen und dabei nicht vor Verbalattacken zurückschrecken, empfinden alle Ortschefs als besonders hässliche Entwicklung. "Unzureichende Berichterstattung in der Presse" trage zum Sittenverfall auch bei, finden manche.
Bürgermeister wünschen sich "Mut-Bürger" mit der Fähigkeit, sachlich zu diskutieren
Gibt es Abhilfe? Was soll die Gesellschaft tun? "Es braucht mehr Mut-Bürger, damit die Wut-Bürger sich künftig auch wieder sachlich mit den Themen auseinandersetzen. Kritsch sollen sie sein, aber sachlich und fair sollen sie bleiben", wünscht sich ein Bürgermeister aus dem Kreis Bad Kissingen. Damit drückt er den wichtigsten Wunsch aller unterfränkischen Amtschefs aus.
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