Unter dem Titel "Herr Gerlinger, Ihre Sammlung darf nicht im Tresor verschwinden" hat die Redaktion am 15. Januar einen Samstagsbrief an den Würzburger Kunstsammler Hermann Gerlinger veröffentlicht. Autor Michael Czygan äußert darin sein Bedauern, dass die Kunst der "Brücke"-Maler, die der Unternehmer in fast 70 Jahren mit großer Leidenschaft zusammengetragen hat, jetzt versteigert werden soll.

Lieber Herr Czygan,
gerne möchte ich von der Möglichkeit Gebrauch machen, um zu einigen Punkten in Ihrem Samstagsbrief Stellung zu beziehen. Vor allem stelle ich fest, dass ich genau wie Sie der Meinung bin, dass die Sammlung nicht im Tresor verschwinden darf. Auf diesen Punkt komme ich am Ende zurück.
Die ersten Werke meiner Sammlung wurden nicht in der Absicht gekauft eine Sammlung zu beginnen - daran war gar nicht zu denken. Ich habe noch als Student einige wenige Käufe getätigt, weil mich diese Kunst faszinierte, ich sie schätzte und liebte, sie um mich haben wollte, um mit ihr zu leben. Es gab damals kaum Ausstellungen, keine Kataloge oder Werkverzeichnisse und kaum Resonanz in der Öffentlichkeit. Der Expressionismus, besonders die Künstler der „Brücke“, waren mit dem Makel der „Entarteten Kunst“ behaftet. Dies führte damals dazu, dass die Preise noch extrem niedrig waren und ein äußerst minderbemittelter Student sich auch von Zeit zu Zeit ein interessantes und bedeutendes Werk kaufen konnte.
So kam lange vor meiner Heirat doch ein erklecklicher Bestand zusammen. Meine Frau, in kunst- und kulturgeprägter Familie aufgewachsen, hat sich meinen Interessen zugewandt und mich beim Ankauf von „Brücke“-Werken unterstützt. Es wurden, ganz allmählich im Verlauf der Jahre, so viele Arbeiten, dass sie über die Möglichkeiten hinauswuchsen diese bei uns fach- und sachgerecht zu hängen. Wir verfolgten dann die Idee auch andere Kunstliebhaber an unserer Freude teilhaben zu lassen, sie also einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Als Schutz vor unliebsamen Besuchern hatten wir damals wirklich niemanden von der Sammlung erzählt.
Erste Gespräche mit dem Mainfränkischen Museum
Einige wichtige Bilder hingen zwar dauerhaft an den Wänden, aber Fragen von Gästen wurden durch gleichgültige Antworten abgelenkt. Es war und ist nicht meine Art, mich mit meiner Sammlung zu profilieren. Als der erste Schritt in der Öffentlichkeit anstand, habe ich Professor Max von Freeden, dem damaligen Direktor des Mainfränkischen Museums in Würzburg, gebeten, sich bei uns zu informieren. Er hat dies gerne getan und mit seiner Empfehlung mir die Möglichkeit eröffnet, eine Alarmanlage an das Netz der örtlichen Polizei anzuschließen, so dass ein weitestgehender Schutz gegeben war.

Aber nun: Auf welchem Weg und an welcher Stelle die Sammlung anbieten? Durch eine Zeitungsnotiz, dass das damalige Mainfränkische Museum in Würzburg zusätzlich Räume im Erdgeschoss erhalten solle, schien mir die Gelegenheit günstig, die Sammlung dort zu offerieren. Ich hoffte auf Akzeptanz, obwohl ich wusste, dass mein Bestand für das Museum Neuland war. Lediglich Werke von Erich Heckel hatten direkten Bezug zu Würzburg. Mein Angebot führte - leider - zu einer krachenden Abfuhr. Würzburg sagte nein!
Keine Resonanz aus Franken und Bayern
Aus Franken und aus Bayern kam keinerlei Resonanz. Ich musste, um nach Möglichkeiten zu suchen, immer weiter entfernte Orte in Kauf nehmen. Im Schleswig-Holsteinischen Landesmuseum Schloss Gottdorf, dem am weitesten von Würzburg entfernt liegenden Museum in Schleswig, fand ich mit Prof. Dr. Heinz Spielmann einen Museumsleiter, der großes Interesse an meinem „Brücke“-Bestand hatte. Er begeisterte sich an den Leihgaben, gestaltete wunderbare Ausstellungen und Publikationen und gab der Sammlung einen würdigen Rahmen. Auf Prof. Spielmanns Anregungen wurden umfangreiche kunstwissenschaftliche Themen bearbeitet. So entstand auch die Reihe der „Brücke“- Almanache.

Viele Besucher aus Würzburg haben die Ausstellungen gesehen. Selbstverständlich war ich auch mehrmals mit verschiedenen Freundesgruppen aus Würzburg dort, die ich mit großer Freude durch die Ausstellungen führen durfte. Diese Glanzzeit hatte Bestand, bis zur zweimal verschoben Pensionierung von Prof. Spielmann. Leider hat sich der Nachfolger nicht an die getroffenen Vereinbarungen gehalten. Eine Eröffnung, die er selbst terminiert hatte, wurde von ihm nicht besucht. Die „Brücke“- Sammlung wurde aufs Abstellgleis geschoben und blieb seitens des Museums ohne Beachtung, so dass die Sammlung abgezogen werden musste.
Begeisterung spürbar
Mit großer Begeisterung und Freude übernahm Dr. Katja Schneider, die Direktorin des Museums Moritzburg in Halle/Saale die komplette Sammlung. Die Reihe der Ausstellungen, Publikationen, „Brücke“-Almanache und Forschungsarbeiten, wurde erfolgreich fortgesetzt, bis zum Ende der Tätigkeit von Frau Dr. Schneider.
In diese Zeit, nämlich am 3. September 2011, fiel die von Ihnen geschilderte Fahrt zur Besichtigung der „Brücke“-Ausstellung in Halle. An der Reaktion der Teilnehmer war deren Begeisterung spürbar. Dies hat in Würzburg anschließend dazu geführt, dass ich von Mitgliedern eines hiesigen Sportvereins, in dem ich seit Jahrzehnten Sport treibe, gebeten wurde, auch eine Busfahrt zu veranlassen. Gerne bin ich dieser Bitte nachgekommen.

Nach ausführlicher Besprechung, unter anderem, ob ein oder zwei Tage, wurde eine Zweitagesfahrt gewünscht. Ein renommierter Reiseveranstalter hat ein sehr preiswertes Programm ausgearbeitet und es gab über 30 Voranmeldungen. Als das Programm den Wünschen entsprechend erschien, hat sich kein einziger Interessent wirklich angemeldet. Die Reise musste abgesagt werden. Dies zur Klärung von dem schwindenden Interesse der Öffentlichkeit. Es gab übriges noch zwei andere ähnliche Fehlschläge.
Vertrauen ging verloren
Der im Museum Moritzburg in Halle neu installierte Direktor, sowie ein neuer Generaldirektor, bremsten die eingeschlagenen Wege erheblich. Ein Riesenschreck war dann für mich das Verschwinden eines ganz wichtigen Werkes aus meinem Leihbestand. Es verschwand im Museum Moritzburg in Halle, blieb bis heute verschwunden und ist nicht wieder aufgetaucht. Das Museum Moritzburg in Halle hat zwar den Verlust durch Bezahlung des Versicherungswertes erstattet, aber mein Vertrauen für die Zuverlässigkeit dieses Institutes ging verloren. Ich habe den Leihvertrag gekündigt.

Meine anfängliche Hoffnung im Buchheim Museum, Bernried, einen endgültigen Platz zu finden, hat sich trotz furiosem Auftakt nicht bestätigt. Wegen grundlegender Meinungsverschiedenheiten zwischen Leihnehmer und Leihgeber, also dem Museum und mir, ist es zu einer Auflösung des Leihverhältnisses gekommen, und zwar ab September 2021. Soviel über meine Erfahrungen mit Museen. Zwischen den einzelnen Museumsstationen, nicht während der einzelnen Ausstellungen, habe ich überlegt, ob und gegebenenfalls es für die Sammlung doch in Würzburg ein angemessenes Refugium geben könnte.
Weitere Versuche verliefen im Sand
Es wurden von mir auch konkrete Versuche unternommen. So hatte ich mit dem Buchheim Museum, Bernried, vereinbart, dass jeweils eine dort konzipierte Ausstellung auf Nachfrage auch in Würzburg gezeigt werden könne. Dies habe ich allen hierfür Verantwortlichen in Würzburg mitgeteilt und auch das Gleiche in der Main-Post veröffentlicht. Keine einzige diesbezügliche Anfrage erfolgte! Auf meine Nachfrage wurden Stimmen laut: „Die Sammlung ist zu groß“. Man beachte hierzu auch den Leserbrief in der Main-Post vom 13. Januar 2022, von Herrn Dr. Gerhard Hainlein. Um die Sache zu fördern, habe ich eine relativ kleine Ausstellung vorbereitet und diese dem vormaligen Mainfränkischen Museum, Würzburg, im September/Oktober 2020, angeboten. Aus verschiedenen sachlichen Gründen war diese Ausstellung dort nicht möglich, ist aber dem Museum Kulturspeicher in Würzburg angeboten worden. Von dort keine Reaktion! Auch einige weitere Versuche verliefen im Sand! Leider, leider!!!

Erlauben Sie bitte noch eine korrigierende Anmerkung: Der Erlös der Auktion wird nicht, wie Sie schreiben, den drei ausgewählten gemeinnützigen Institutionen zu gleichen Teilen überwiesen, sondern projektbezogen, nach den dann vorliegenden Notwendigkeiten ausbezahlt. Dazu sei vermerkt, dass ich bitte, von weiteren Ersuchen um Beihilfen abzusehen.
Holzschnitt als Initialzündung
Sie erwähnen in Ihrem Samstagsbrief über die Fahrt nach Halle/Saale meinen Kauf eines Karl Schmidt-Rottluff Holzschnittes als Anekdote. Es war aber die Initialzündung, die am Beginn meiner Sammeltätigkeit stand. Meist wird umgangssprachlich der Begriff Anekdote als scherzhafte Darstellung in humorvoller Form gebraucht. Dort aber ist von Ihnen, sehr geehrter Herr Czygan, korrekterweise als unveröffentlichtes Faktum eine Tatsache geschildert und entspricht auch den faktischen Gegebenheiten. Ich hoffe nun, dass so wie ich durch den Kauf eines Karl Schmidt-Rottluff Holzschnittes als Initialzündung erlebt habe und dadurch die Sammlung entstand, viele Kunstinteressierte von der Möglichkeit Gebrauch machen, eines oder mehrere Kunstwerke anzukaufen und dazu angeregt werden, eine. Sammlung zu beginnen. Dazu wünsche ich viel Erfolg.
Professor Hermann Gerlinger