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WÜRZBURG: Aus für die Wetterwarte Würzburg: Computer übernimmt

WÜRZBURG

Aus für die Wetterwarte Würzburg: Computer übernimmt

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    Im Kämmerchen: Der Platz, an dem Wetterbeobachter Wolfgang Gutbrod die meiste Zeit seines Arbeitslebens verbrachte – Tag und Nacht im Schichtdienst. S: THOMAS OBERMEIER
    Im Kämmerchen: Der Platz, an dem Wetterbeobachter Wolfgang Gutbrod die meiste Zeit seines Arbeitslebens verbrachte – Tag und Nacht im Schichtdienst. S: THOMAS OBERMEIER Foto: Foto

    Bei Wolfgang Gutbrod piept es alle halbe Stunde. Um kurz vor Viertel vor und kurz vor Viertel nach meldet sich die Uhr an seinem Handgelenk. Dann geht er vor die Tür, auf den Balkon und schaut in den Himmel. Blick rechts, Blick links, über Heidingsfeld hinweg, rüber zur Autobahn, das Maintal entlang. Wenn das Wetter schön ist und die Sicht gut, sieht er irgendwo hinter Ochsenfurt eine kleine Schnur Windräder am Horizont. Wolfgang Gutbrod geht dann ins kleine Räumchen, in dem die Uhren anders gehen, setzt sich an den Rechner und tippt Zahlen ein: Himmelsbeobachtung, Wolkenart, Sichtweite.

    Seit Jahren und Jahrzehnten macht er das. Bis 31. Oktober noch, dann ist Schluss. Der Deutsche Wetterdienst (DWD) schließt seinen 24-Stunden-Betrieb in Würzburg. Aus der bemannten, rund um die Uhr besetzten Wetterwarte am Neuberg wird eine voll automatisierte Wetterstation. Den Mensch ersetzen Computer.

    Die Wetterwarte in Bad Kissingen traf es schon, dort ist vor drei Jahren der letzte Bedienstete gegangen. Wolfgang Gutbrod, der Leiter der Würzburger Wetterwarte, blickt wieder in den Himmel und zuckt die Schultern. „Ich kann nicht erklären, was ich nicht verstehe.“

    Begründen müsse das Aus schon die Offenbacher Zentrale. Mehr als 100 bemannte Posten betrieb der Deutsche Wetterdienst mal. Jetzt sind es noch rund drei Dutzend, und bis 2021 sollen alle, selbst die an den großen Flughäfen, komplett menschenfrei und automatisiert sein.

    „Sparzwang“, sagt Pressesprecher Andreas Friedrich in der Offenbacher Zentrale, „Einsparungen im Haushalt“. Er verweist auf Berlin. Der DWD ist eine Bundesbehörde, dem Bundesverkehrsministerium zugeteilt. Der Bundestag habe das Sparen entschieden. 3000 Mitarbeiter hatte der DWD nach der Wiedervereinigung. Jetzt, sagt Friedrich, sind es noch 2000.

    Temperatur, Feuchte, Sonnenscheindauer, Lichtintensität, Windgeschwindigkeit. Am Neuberg werden viele Daten schon seit einiger Zeit automatisch gemessen. Die beiden weiß lackierten kleinen Wetterhäuschen für die mechanischen Messgeräte, wie sie genormt und polyglott und offiziell auf der ganzen Welt verteilt stehen, lehnen abmontiert an der Hauswand in der Ecke. Das geeichte Quecksilberthermometer, auf das Gutbrod ein wenig wehmütig schaut, ist nur noch Dekoration. Die Temperatur ermitteln jetzt elektronisch die Sensoren in und über einem Stückchen Erde vor dem Haus.

    Am Handgelenk piept es. Sonnenbrille schnappen, raus auf den Balkon, Blick nach oben. Wie bedeckt ist der Himmel? Wie viele Wolken ziehen wie hoch über Würzburg? Cumulus oder Stratocumulus – wie sind die Wolken beschaffen? Das elektronische Messgerät im Garten richtet einen Laserstrahl nach oben, um die Bewölkung zu erfassen. Schwebt bei Sonnenschein eine zarte Schäfchenwolke über dem Instrument, meldet es unter Umständen: Himmel bedeckt. Per Rundumblick die Wolkenarten zu erfassen und dann einzuschätzen, welches Wetter zu erwarten ist?

    Das kann nur der Beobachter, sagt Thomas Schuhmacher, in München Leiter der für Süddeutschland zuständigen regionalen Messnetzgruppe. Bei der Technik gebe es „Einschränkungen“, das Erfasste ist nicht immer zu 100 Prozent eindeutig. Meteorologe Schuhmacher sagt: „Der Mensch ist optimal.“

    Oft genug haben die Prognosen-Ersteller in München beim Blick auf die halbstündlichen elektronischen Daten noch einmal am Neuberg angerufen: Wie sieht?s aus mit Gewittergefahr? Und was sagen die Werte um den Gefrierpunkt: Ist Glatteis zu erwarten? Wobei der Mensch Wolfgang Gutbrod strikt trennt. Er und seine sechs Kollegen betrachten das Wetter, über das jeder redet, ganz unemotional, interessieren sich für Messwerte, rein den exakten Daten verpflichtet. Sie seien keine Meteorologen, keine Vorhersager: „Wir beobachten, wir liefern Grundlagen.“

    Und Wetter machen? Bloß nicht, lacht der 65-Jährige: „Zum Glück können wir das nicht, das gäbe ein Chaos.“ Zurück an den Rechner im kargen Büro im schlicht eingerichteten Bungalow. Nächste Datenmeldung gen Offenbach. Die Uhren in der Wetterwarte sind zwei Stunden zurück. „Greenwich Mean Time“, sagt Wolfgang Gutbrod. Wetterbeobachter sind nach Weltzeit unterwegs.

    Und sie sind Beamte im mittleren Dienst, gekündigt wird keinem. An der voll automatisierten Wetterstation werden ab 1. November noch zwei Kollegen Dienst tun. Nicht mehr von 6 bis 16 Uhr oder 10 bis 20 Uhr oder 20 bis 6 Uhr. Nicht mehr zum Beobachten. Auch nicht, weil die Geräte ab und zu geprüft werden müssen. Wenn ein Vogel auf den Nässefühler scheißt, meldet der bei Sonnenschein Regen. Und wenn ein Mückenschwarm um den Sichtweitenmesser tanzt, wird Nebel angesagt bei klarstem Himmel.

    Besetzt bleibt die Station wegen der Radioaktivitätsmessung. Wolfgang Gutbrod geht die Wendeltreppe hoch aufs Dach zu zwei weißen Duschwannen. Seit 1998 gehört die Wetterwarte als 40. und letzte Station zum deutschen Radioaktivitätsmessnetz. Die Wannen sind Regensammler. Jeden Tag wird der Niederschlag mit den Staubpartikeln aus der Luft drei Stunden lang im Kochtopf langsam eingedampft. Hat es nicht geregnet, wird die Wanne mit destilliertem Wasser ausgespült und die Probe dann verdampft.

    Die Geschichte der Wetterbeobachtung in Würzburg reicht weit zurück: Seit 1879 werden hier ununterbrochen Wetterdaten erfasst. Zunächst am Physikalischen Institut der Universität, dann übernahm das Messen und Beobachten der Deutsche Wetterdienst. In Bad Kissingen saß nach dem Krieg das Zentralamt des „Wetterdienstes im amerikanischen Sektor“. Es ordnete eine kleine Wetterbeobachtungsstation bei Würzburg an. Von 1952 bis 1981 saßen die Wetterbeobachter relativ unkomfortabel auf einem Bergrücken am Würzburger Stein. Die Sicht nach allen Seiten war bestens, Kanal- oder Wasseranschluss fehlten.

    Wegen der schlechten sanitären Verhältnisse am Stein zogen die Beobachter auf die Sieboldshöhe in fast gleicher Höhenlage, in eine neu errichtete Warte am Rande der Weinberge. Mit Ausblick, den Standort-Vorgaben der Weltorganisation für Meteorologie entsprechend und ungeschützt Wind, Regen und Sonne ausgesetzt.

    Und auch wenn hochsommerliche Maximalwerte eher auf dem Marktplatz oder am Mittleren Ring gemessen würden: Die Werte, die an der Station des Deutschen Wetterdienstes erfasst werden, sollen für die weitere Umgebung, für ein möglichst großes Gebiet repräsentativ sein, sagt Thomas Schuhmacher von der Abteilung Messnetze und Daten in München. Der Wetterdienst sei „nicht vordergründig daran interessiert, mit seinem Messnetz diese Rekorde zu ermitteln“.

    Und dann sagt der Messnetzgruppenleiter aus München noch: „Die Station hat einen hohen Stellenwert.“ Bis 1988 gab es in Würzburg auch eine eigene agrarmeteorologische Beratungsstelle. Gutbrods Vorvorgänger war Meteorologe und fertigte Wettergutachten, die die Landwirte interessierten. Gibt es Frost? Wann muss das Gras vom Feld? Kann ausgesät werden?

    Und Wolfgang Gutbrod, seit 40 Jahren dabei, erinnert sich, dass früher schon mal Bürger bei der Wetterwarte angerufen haben, die eine Gartenparty planten. Oder Leute wie die Hausfrau, die aus dem Frauenland anrief. Sie wohne in der xy-Straße, dritter Stock, ob sie heute Nachmittag die Wäsche auf den Balkon hängen könne? „Es haben auch Leute angerufen, wenn sie Ufos gesehen haben“, sagt Gutbrod. „Wir waren in den Augen der Leute für alles zuständig.“

    Auch für „Das Wetter“ der Lokalredaktion. So gegen sieben jeden Abend ruft diese bei der Wetterwarte an und fragt, wie der Tag war in Würzburg. Niederschlag, Maximaltemperatur, Minimaltemperatur, Luftdruck, Feuchtigkeit. Und wie wird's? Die zwei, drei knappen Sätze ihrer Wettervorhersage haben Gutbrod und seine Kollegen zuvor aus drei Seiten Prognose aus München gezogen.

    Er hat übrigens Schriftsetzer gelernt. Doch in den 70er Jahren ließ er sich in Langen, im Ausbildungszentrum des DWD, zum Wetterbeobachter umschulen. Warum? Ein Schmunzeln: „Ich wollte nichts mit Computern zu tun haben.“ Jetzt hat Gutbrod sich nach 40 Jahren im Schichtdienst knapp vor der endgültigen Vollautomatisierung seiner Warte in den Ruhestand gerettet. Am 31. Oktober ist sein letzter Arbeitstag. Wie oft er dann noch in den Himmel blickt und aufs Thermometer schaut? Ein Lächeln: „Ich will nur wissen, ob ich eine Jacke brauche und ob ich gießen muss.“

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