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Zellerau: Ausgesessen: Altes Handwerk verschwindet

Zellerau

Ausgesessen: Altes Handwerk verschwindet

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    Kerstin Zorn bei der Arbeit: Der Ohrenbackensessel ist fast fertig. Zunächst wird der Stoff angeheftet, bevor er mit dem luftdruckbetriebenen Tacker  befestigt wird. Foto: Johannes Kiefer
    Kerstin Zorn bei der Arbeit: Der Ohrenbackensessel ist fast fertig. Zunächst wird der Stoff angeheftet, bevor er mit dem luftdruckbetriebenen Tacker  befestigt wird. Foto: Johannes Kiefer

    Ein unfertiger Ohrenbackensessel steht wie ein Relikt inmitten der Räumlichkeiten. Ein Zuschneidetisch, zwei Nähmaschinen der Marke Dürrkopp-Adler, Musterbücher und Werkzeuge erinnern an die Tage, als in der Polsterei Zorn in der Frankfurter Straße 12 noch der Schweiß floss. Doch das ist mit dem 30. Juni endgültig vorbei. Kerstin Zorn gibt ihren Laden nach 24 Jahren auf. Sowohl gesundheitliche als auch finanzielle Gründe zwingen sie dazu. Ein Schritt, der ihr sichtlich schwer fällt, aber sie weiß, es geht weiter. "Wir hatten immer volle Auftragsbücher, aber am Ende hat es nie gereicht." Traurig schweift ihr Blick gen Ohrenbackensessel.

    Ein letztes Mal nimmt sie Maß an dem Möbel, wo einst "Ömchen Platz genommen hat". Sitzfläche und Lehne sind vom alten Gobelinstoff und Ziernägel befreit. Das liegt fein säuberlich nebendran auf einem Tisch zwischen Polsterhammer, Tacker und Heftnadeln. Sitzfläche und Lehne sind mittlerweile mit einem modernen blau-meliertem Stoff überzogen.

    Der Stoff muss fadengerade gespannt werden

    Kerstin Zorn schneidet den Stoff mit einer speziellen Polsterschere. Foto: Johannes Kiefer
    Kerstin Zorn schneidet den Stoff mit einer speziellen Polsterschere. Foto: Johannes Kiefer

    Worauf kommt es denn an beim Polstern? "Der Stoff muss auf jeden Fall fadengerade über das Möbel gespannt werden." Kerstin Zorn zeigt am Oma-Sessel, wie sie arbeitet. Je nach Untergrund - ob der noch mit Schaumstoff aufgearbeitet werden muss - legt man den Stoff über die Flächen und dann -  ganz wichtig - beginnt man von der Mitte oben an zu heften. Von dort arbeitet man sich nach unten und dann von rechts nach links. "Okay, es gibt auch Menschen, die von links nach rechts arbeiten, aber das sieht immer so ein bisschen aus, als würden sie über Hand arbeiten, kompliziert. Letztlich ist das aber egal - Hauptsache, das Ergebnis stimmt." Das war ihr immer wichtig, und sie vermittelte dies ihren Lehrlingen gleichermaßen wie ihren Mitarbeitern.

    "Ich wollte unbedingt etwas mit meinen Händen machen."

    Kerstin Zorn über ihren Berufswunsch

    15 bis 20 Stunden braucht sie für so einen Sessel. Der wuppt sich nun auch nicht von alleine auf die Polsterböcke. Das erfordert Kraft und geht in den Rücken. "Anstrengend ist das sicherlich, aber die Freude daran zu arbeiten, überwiegt. Außerdem kann man mit dem Polsterhammer an schlechten Tagen schon viel Wut loswerden", schmunzelt sie.

    Gut sortiert: Das Werkzeug eines Polsterers. Foto: Johannes Kiefer
    Gut sortiert: Das Werkzeug eines Polsterers. Foto: Johannes Kiefer

    Nach der Ausbildung wird wieder die Schulbank gedrückt

    Schon als Jugendliche hatte die zierliche 54-Jährige von ihrem Berufsweg eine klare Vorstellung. "Ich wollte unbedingt etwas mit meinen Händen machen. Etwas Kreatives sollte es sein. Doch seinerzeit wurden die Mädchen Friseurin, die Jungens Tankwart - zumindest bei uns im Allgäu", erinnert sie sich. Eine Schreinerei lehnt sie ab, weil man nicht bereit ist, ein extra Frauenklo einzurichten. Schließlich versucht es ein Raumausstatter mit ihr, so dass sie dort von 1979 bis 1982 ihre Lehre absolviert. Bereits während der Ausbilung überlegt sie, was sie daraus machen könnte. Die Sendung "Die VIP-Schaukel" von Margret Dünser, in der Berufe vorgestellt wurden, gibt ihr den entscheidenden Hinweis: Innenarchitekt soll es werden. Doch wie soll das mit einem Hauptschulabschluss gehen?

    Sie macht ihre Lehre zu Ende, setzt sich nochmals auf den Hosenboden und holte Mittlere Reife und Abitur nach. Letzteres 1984 in Würzburg, da ihre Familie ursprünglich von hier stammt. In Coburg studiert sie schließlich Innenarchitektur, aber auch hier stellt sie schnell fest: Planung am Reißbrett ist nicht ihr Ding.

    Es kribbelt in den Händen. Sie schließt ihr Vordiplom ab und geht zurück nach Würzburg, wo sie zunächst bei verschiedenen Raumausstattern arbeitet, mit dem Ziel, sich selbstständig zu machen. Doch dafür braucht man zu dieser Zeit noch seinen Meister. Nochmal hinsetzen, büffeln, Geld investieren - 1994 macht sie die Prüfung. Und hat sofort einen Auftrag. Mit dieser Kundin, verbindet sie noch heute eine freundschaftliche Beziehung. "Ich habe ihre Praxisräume ausgestattet und sie massiert mich heute, wenn ich Verspannungen habe."

    Anfänge in einer kleinen Werkstatt in der Antonie-Weer-Straße

    Zu dieser Zeit arbeitet Kerstin Zorn noch in einer kleinen Werkstatt in der Antonie-Werr-Straße. Ihr Können in der Polsterei spricht sich schnell herum. Mittlerweile hat sie sich wie viele ihrer Kollegen spezialisiert. Die Ausbildung zum Raumausstatter umfasst an sich vier Bereiche: Bodenbelag, Tapezieren/Streichen, Fensterkleid (Vorhänge) und Sitzen in jeder Form. "Die Polsterei hat mir aber nicht nur immer am meisten Spaß gemacht, sondern darin war ich auch schon in meiner Ausbildung am besten. Tapezieren und streichen haben mir eigentlich die Noten versaut."

    Diese zwei Biedermeierstühle finden beim Flohmarkt am 14. Juli vielleicht einen neuen Besitzer. Foto: Johannes Kiefer
    Diese zwei Biedermeierstühle finden beim Flohmarkt am 14. Juli vielleicht einen neuen Besitzer. Foto: Johannes Kiefer

    "Fast jeder Würzburger sitzt sozusagen auf mir."

    Kerstin Zorn scherzhaft über die vielen Stühle in der Gastronomie, die sie gepolstert hat.

    Das Polstern aber liegt ihr. "Ich kann mir sofort vorstellen, welcher Stoff dazu passt, habe einen Blick für Proportionen und ich finde es unendlich reizvoll, ein altes Möbel mit modern peppigen Stoffen zu versehen." Das spricht sich herum. Zu ihren Kunden zählten bislang das Bürgerspital mit seinen Seniorenheimen, das Schönborn-Cafe, das Juliusspital, Cafe Michel, der Stachel, Wittelsbacher Höh und das Time Out. "Fast jeder Würzburger sitzt sozusagen auf mir", scherzt sie.

    Viele Aufträge und der Umzug in die Frankfurter Straße

    Klar, bei dieser Anzahl von Aufträgen reicht die kleine Werkstatt in der Antonie-Werr-Straße schnell nicht mehr. Im Jahr 2004 zieht sie deshalb in die Frankfurter Straße 12 um. In die Räumlichkeiten des ehemaligen Zellerauer Raumausstatters Götz, dessen Lettern immer noch von der Fassade in der Frankfurter Straße prangen.

    Als gelernte Raumausstatterin weiß sie, wie sie die Schaufenster ansprechend dekoriert, Biedermeierstühle postiert, Vorhänge drappiert und farblich alles harmonisch zusammensetzt. Das Geschäft brummt, drei Mitarbeiter beschäftigt sie zu Hochzeiten. Auszubildende kann sie sich aber nicht leisten. Obwohl sie diese gerne öfter gehabt hätte. "Wir sprechen heute von Fachkräftemangel. Aber kleinere Handwerksbetriebe wie meines können sich die schlichtweg nicht leisten. Wir zahlen alle Pflichtabgaben, werden aber in keinster Weise von der Kammer unterstützt", moniert sie. Dafür wünscht sie sich ein Umdenken.

    Alles muss raus: Großer Flohmarkt am 14. Juli

    Diese Industrienähmaschine verfügt über einen Dreifachtransport, der verhindert, dass auch rutschige Velourstoffe sich nicht verschieben. Foto: Johannes Kiefer
    Diese Industrienähmaschine verfügt über einen Dreifachtransport, der verhindert, dass auch rutschige Velourstoffe sich nicht verschieben. Foto: Johannes Kiefer

    Umdenken muss nun auch sie. Dabei sind es weniger die gesundheitlichen Gründe, als viel mehr die finanziellen Sorgen, die sie dazu veranlasst haben, einen Schlussstrich zu ziehen. "Ich arbeite und arbeite, gönne mir nichts Großartiges und trotzdem reicht das Geld nie. Auch ich werde nicht jünger, deshalb besser jetzt als zu spät", zieht sie Bilanz, schaut aber optimistisch in die Zukunft. Ab September wird sie eine Festanstellung bei Schaumstoffe Wegerich antreten. Dort hat sie bereits ihre langjährige Mitarbeiterin Jeanette untergebracht. "Das war mir erst mal am wichtigsten." Typisch Kerstin Zorn: Sie kümmert sich.

    Gekümmert wird sich schließlich dann auch wieder um Omas Sessel. Schließlich soll der noch fertig werden und seine Besitzer ebenso glücklich machen wie einst die Großmutter.

    Die Polsterei Zorn schließt zwar an diesem Samstag, aber am 14. Juli findet von 10 bis 18 Uhr ein großer Flohmarkt in den Räumlichkeiten in der Frankfurter Straße 12 statt. Unter dem Motto "alles muss raus" können die Besucher zwischen Stoff- und Lederresten, Stühlen und Sofas aus der Biedermeierzeit, Cocktailsesseln aus den 60ern und vielem mehr noch das eine oder andere Schnäppchen machen.

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